Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Prozessberichterstattung
Die Justiz und die Journalisten

Journalisten und die Justiz – da prallen oft Welten aufeinander. Die einen wollen über die anderen berichten, verstehen aber deren Logik nicht. Vielen Juristen ist es hingegen zuwider, wie ein Journalist jeden noch so komplexen Fall auf ein paar Zeilen oder eine halbe Minute eindampft.

Von Stefan Fries | 15.03.2014
    "Grundsätzlich ist die Justiz der Gerechtigkeit und der Wahrheit verpflichtet und leistet eine gesellschaftliche Aufgabe, damit dieses Gemeinwesen insgesamt funktioniert. Und die Presse tut das gleiche, spiegelbildlich, indem sie zum Beispiel dann auch über das Funktionieren und vielleicht leider Gottes manchmal auch über das nicht ganz so gut Funktionieren der Justiz berichtet."
    Journalisten müssen komplizierte Sachverhalte vereinfachen
    Doch es gibt auch eine Kehrseite dessen, was Richter Christian Friehoff beschreibt: Denn beide Seiten wollen dasselbe Ziel mit unterschiedlichen Mitteln erreichen. Der Jurist versucht den Sachverhalt so detailliert wie möglich aufzuklären und alles in seine Urteilsfindung miteinzubeziehen. Der Journalist muss vereinfachen, um sein Publikum zu erreichen. Kein Wunder, dass der Jurist manchmal unwillig ist, mit dem Journalisten zusammenzuarbeiten, wie auch Peter Marchlewski immer wieder beobachtet, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im NRW-Justizministerium.
    "Dass das durchaus natürlich bei der Sachbearbeitung aus der Sicht eines Richters manchmal vielleicht etwas nervt, wenn immer wieder dieselben Fragen gestellt werden, aber dass das ein hohes Gut ist und dass die Information der Öffentlichkeit ungemein wichtig ist. Und das ist bestimmt auch ein Teil, den wir den Richterinnen und Richtern auch noch intensiver vermitteln müssen. Das ist allerdings ein Lernprozess."
    ...wie sich etwa in München gezeigt hat, als das Oberlandesgericht für den NSU-Prozess die Sitzplätze für Journalisten neu vergeben musste. Richter Manfred Götzl hatte die Plätze wie jahrzehntelang üblich nach Eingang der Anmeldungen vergeben. Ihm konnte es nur darum gehen, exakt das richtige Maß an Öffentlichkeit zu bekommen, damit das Verfahren in dieser Hinsicht revisionssicher ist. Die Bedürfnisse der Medien standen nicht im Vordergrund.
    Problematisch mit Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen
    Problematisch für Juristen ist auch die Frage, was sie wann über wen an die Öffentlichkeit herausgeben, wenn es nicht ohnehin schon durchgesickert ist? Richter Christian Friehoff, zugleich Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes in Nordrhein-Westfalen, sieht ein grundsätzliches Problem.
    "Nehmen Sie die Situation, dass über eine berühmte Persönlichkeit in vielen Zeitungen alles mögliche an Einzelheiten berichtet wird, dass man sich als Normalbürger schon die Frage stellt: Holla, was is´n da los? Und dann haben sie ein Berichtgeflecht, das irgendwann so dicht wird, dass kaum noch einer ernsthaft an die Unschuld glaubt."
    Leser, Zuschauer und Hörer beurteilen die Sache mit der Unschuldsvermutung oft anders als Juristen, vor allem bei Prominenten, die sie zu kennen glauben. Da haben sie schnell ein Urteil bei der Hand, mögen die Verdachtsmomente auch noch so klein sein. Und in solchen Fällen macht es ihnen ein Staatsanwalt wie Jörg Fröhlich aus Hannover leicht. Fröhlich plauderte in einer Pressekonferenz höchst ungewöhnlich aus den laufenden Ermittlungen gegen den langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy.
    "Die aktuellen Ereignisse zwingen allerdings dazu, von dieser Marschrichtung abzugehen und nunmehr heute die Öffentlichkeit zu suchen, letztendlich auch bedingt dadurch, dass ohnehin fast das gesamte Verfahren der Öffentlichkeit transparent gemacht wurde."
    Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit möglich
    Fröhlich hatte bei Edathy zwar nichts Illegales gefunden, sprach aber trotzdem von Material an der Grenze zur Kinderpornografie. Vorwürfe wie diese können die bürgerliche Existenz eines Beschuldigten leicht vernichten. Auch in harmloseren Fällen sind Details aus Ermittlungen von Staatsanwälten durchgesickert, etwa in den Fällen Christian Wulff und Uli Hoeneß. Medienanwalt Christian Schertz beklagt, dass die Ermittlungsbehörden heute längst keine verschlossene Auster mehr seien. Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprach in der ARD-Talkshow „Anne Will“ auch von einer zunehmenden Öffentlichkeitsarbeit nicht nur von Verteidigern, sondern auch der Justiz.
    "Sie versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, weil sie etwas sehr Wesentliches und eigentlich Tragisches erkannt haben, nämlich dass das eigentliche Urteil nicht mehr im Gerichtssaal fällt, sondern im Medium der Öffentlichkeit."
    Es muss berichtet werden, findet auch Christian Friehoff als Vertreter des Richterbundes. Er sieht aber nur einen Ausweg, um sowohl dem Interesse der Justiz an fairen Ermittlungen gerecht zu werden als auch dem des Beschuldigten, nicht vorverurteilt zu werden.
    "Ich glaube wirklich, dass man dieses Problem nur lösen kann, wenn man diese juristischen Probleme, die dahinter stecken - Unschuldsvermutung und dass alles unterm Strich ja vielleicht doch ganz anders sein könnte - stärker im Bewusstsein der Bevölkerung hat und vielleicht auch zuweilen stärker in diese Berichterstattung einfließen lässt."
    Nicht gerade etwas, aus dem sich eindeutige Schlagzeilen machen ließe - kein Wunder, dass juristische Fußnoten vor allem in der kurzen Prozessberichterstattung oft wegfallen.