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Prüfstein für den interkulturellen Dialog

Mit der Preisverleihung des Hessischen Kulturpreises - unter anderem an den Schriftsteller und Muslimen Navid Kermani - hat ein monatelanger Streit ein Ende genommen. Nachdem Kermani auf Betreiben Kardinal Lehmanns der Preis kurzfristig aberkannt wurde, zeigten sich die ausgezeichneten Religionsvertreter bei der offiziellen Verleihung versöhnlich.

Von Mario Scalla |
    Hessens Ministerpräsident Koch wollte aus dem Streit um den Hessischen Kulturpreis eine Lehre ziehen und seinen Kritikern entgegen kommen. In seiner Eröffnungsrede rekapitulierte er die Ein- und Ausladung Navid Kermanis und fand selbstkritische Worte:

    "Die Umstände der Entscheidung des Kuratoriums, den Preis nur an die übrigen Preisträger zu verleihen, waren hektisch. Die Kommunikation mit Doktor Kermani und der Öffentlichkeit ist nicht gelungen. Das gilt ganz besonders für die Tatsache, dass Doktor Kermani die Information sozusagen im Wettlauf mit den schon bei Kuratoriumsmitgliedern recherchierenden Zeitungen durch telefonische Anfrage von Journalisten erfuhr. Das hat den sachlichen Konflikt enorm kompliziert, emotional verschärft und auch Doktor Kermani in eine persönlich komplizierte Situation gebracht. Und dafür, Herr Doktor Kermani, sage ich: Dafür entschuldige ich mich persönlich und für alle, die daran beteiligt waren."

    Somit war zumindest die Grundlage vorhanden für den viel beschworenen interreligiösen Dialog. Dialog aber heißt Streit auf einem kultivierten Niveau. Die Frage war, ob die Preisträger nun die große Harmonie ausrufen und oberflächlich eine allgemeine Versöhnung proklamieren, um der Öffentlichkeit vorzuspielen, dass jetzt alles wieder gut ist. Konkrete, klare Worte waren gefragt - und die Frage stand im Raum, ob nach den monatelangen Querelen um diesen Kulturpreis die Preisträger der Harmonieversuchung widerstehen können.

    Kardinal Lehmann, der Urheber des Streites, der mit seinem Brief an Roland Koch für die Ausladung Kermanis gesorgt hatte, trug zehn Thesen für einen interreligiösen Dialog vor - und sorgte mit einer von Allgemeinplätzen strotzenden Rede für die große Enttäuschung des Abends.

    "Das heute leicht abstrakt verstandene Thema der Religion und der Religionen braucht und bekommt durch die Betrachtung wenigstens der großen Weltreligionen eine bestimmte Konkretheit, Lebendigkeit und Vielfarbigkeit. Dies ist unbedingt nötig, um gerade im interreligiösen Dialog das konkrete Phänomen gelebter Religion zum Bewusstsein und zur Sprache bringen."

    Das klang so gut wie unverbindlich und nichtssagend. Kein Wort des Bedauerns, kein Rückblick, von Selbstkritik keine Spur. Kardinal Lehmann hat über einen Dialog der Religionen gesprochen und einen selbstgefälligen Monolog gehalten. Nicht viel anders hielt es der Protestant Peter Steinacker, der noch einmal alte Vorwürfe aufwärmte und Kermani vorhielt, er habe sich von ihm nicht respektiert gefühlt.

    Salomon Korn und Navid Kermani hingegen demonstrierten, wie ein Dialog der Religionen aussehen kann - Korn in einer klugen Rede über das Verhältnis von Religion und Aufklärung, und Kermani in einer offenen und streitbaren Ansprache. Zunächst sprach er über eine gesellschaftliche Veränderung:

    "Die Unterstützung praktisch der gesamten veröffentlichten Meinung für den Angehörigen einer Minderheit ist in Zeiten, da weltweit Mehrheiten immer häufiger ihren Leitanspruch und ihre kollektive Identität herausstellen, alles andere als selbstverständlich. Sie wäre auch in diesem Land vor zehn oder 20 Jahren kaum denkbar gewesen. Auf ganz unerwartete Weise fühlte ich mich in meinem Eindruck bestätigt, dass Deutschland in den letzten Jahren weltoffener und kulturell vielfältiger geworden ist."

    Dann benannte Kermani Differenzen. In einer erfrischenden Rede kritisierte er die Politik des hessischen Ministerpräsidenten und sprach über den Unterschied zu den anderen Religionen. Kermani wollte den Dissens benennen. Er wollte sich streiten - konkret, mit guten Argumenten und offenem Visier. Die Vertreter der beiden großen deutschen Amtskirchen ließen die Einladung zur Teilnahme an diesem Abend ungenutzt verstreichen.