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Prüfungen auf den Knien schreiben

Überfüllte Hörsäle, schlechte Betreuung der Studierenden – das ist trauriger Alltag an Deutschlands Universitäten. Ein besonders extremes Beispiel ist die Ethnologie an der Universität Leipzig: 400 Studierende kommen dort auf eine Professur.

Von Ulf Walther | 20.01.2010
    "Wenn man Ethnologie in Leipzig studiert, dann ist das Ausbildung auf niedrigstem Niveau."

    Das sagt Sven Reichelt, Sprecher der Studierendenschaft am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig. Völlig überfüllte Lehrveranstaltungen, Prüfungen schreiben auf dem Fensterbrett, lange Wartezeiten auf kontrollierte Hausarbeiten – das ist für die angehenden Ethnologen Alltag:

    "Wir haben eine sehr schmale Bibliothek mit den wenigsten Büchern, mit nur den notwendigsten Sachen, von denen dann auch jeweils nur eine einzige Präsenzausgabe vorhanden ist, die dann entweder verschollen oder in Benutzung ist."

    Das Institut ist nicht nur schlecht ausgestattet, vor allem die Betreuung ist katastrophal:

    400 Studierende kommen bei der Leipziger Ethnologie auf eine Professur. Auf die einzige Professur an diesem Institut. Diese hat derzeit Bernhard Streck inne. Vor der Wende hat sein Vorgänger am ältesten Ethnologie-Institut in Deutschland sechs Studierende pro Studienjahr betreut. Danach kamen jedes Semester 30 bis 50 neue Magisterstudenten auf ihn zu. Institutsdirektor Bernhard Streck forderte schon vor zehn Jahren mehr Personal, eine zweite Professur:

    "Meine Forderung hat man immer beantwortet: Ja, wer soll denn was abgeben in der Fakultät?"

    Mit dem neuen Bachelor-Studiengang 2008 erhoffte sich die Ethnologie mehr Qualität im Studium und ein besseres Betreuungsverhältnis. Bernhard Streck ging von folgenden Bedingungen aus:

    "Qualitativ hochwertiger Unterricht, das heißt: Unterricht in kleinen Gruppen. Und so haben wir dann unseren Bachelor of Arts in Ethnologie geplant und dann standen 96 Studierende im Hörsaal."

    Statt der erhofften 35 Studierenden. Als dann im vergangenen Oktober sogar 110 Erstsemester im Institut standen, war das Maß auch bei den Studierenden voll. Geschlossen fordern sie seit dem als Minimal-Ziel einen Numerus Clausus und eine zweite Professur. Eigentlich müsste gar eine dritte Professur her. Denn an der Uni in Frankfurt zum Beispiel kommen auf 512 studierende Ethnologen sechs Professuren, an der Uni im 40 Kilometer entfernten Halle werden 154 Studierende durch drei Professuren betreut – und noch mal zum Vergleich: in Leipzig 400 Studierende auf eine Professur. Dem Sprecher der Studierenden Sven Reichelt ist klar, dass drei Professuren wenig realistisch sind:

    "Deswegen fordern wir nur eine zweite Professur, die keinesfalls den Mangel beseitigen kann, aber zumindest das Studieren hier angenehmer gestalten würde."

    Für die Uni-Leitung ist währenddessen die Erfüllung des Hochschulpakts wichtig: Durch möglichst wenig zugangsbeschränkte Studiengänge die Zahl der Neu-Einschreibungen auf dem Vorjahres-Niveau zu halten oder zu steigern – dann gibt es Geld, sagt der Prorektor für Forschung und Lehre Wolfgang Fach:

    "Die Finanzierung: 600.000 Euro haben wir gekriegt für 1000 mehr Studierende – die kann ich in einem Jahr ausgeben, dann ist das relativ kommod. Aber im Folgejahr ist das weg. Im Folgejahr kriege ich die 600.000 Euro für den nächsten Jahrgang. Und der erste Jahrgang guckt dann in die Luft."

    Das ist die Zwickmühle, in der sich das Rektorat befindet. Auch Fach hält die zweite Professur für notwendig, um den ältesten Ethnologie-Studiengang in Deutschland zu erhalten. Wann diese kommt, kann er angesichts weiterer drohender Einsparungen aber nicht sagen. Ein Gespräch zwischen Studierendenvertretern und dem Rektorat heute brachte immerhin einen kleinen Teilerfolg, sagt der Sprecher der Studierenden Sven Reichelt:

    "Uns wurde jetzt zum Wintersemester ein Numerus clausus zugesichert und auf lange Sicht auch eine zweite Professur in Aussicht gestellt. Das wird wahrscheinlich noch ein langer Weg, auf dem wir auch noch viele weitere Gespräche mit dem Rektorat führen werden."

    Professor Bernhard Streck indes geht im Sommer, fast schon resigniert, in den Ruhestand. Ein erstes Auswahlverfahren für seinen Nachfolger ist, so heißt es, aus Mangel an geeigneten Bewerbern gescheitert. Zunächst wird wohl eine Vertretungsprofessur kommen.