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Prügelknaben der Nation

Die neue französische Regierung zeigt weitaus weniger Sympathie für die katholische Kirche als ihre Vorgänger. Etliche Gläubige werten das als Affront: Die Auseinandersetzungen spitzen sich immer weiter zu, so wie jüngst bei den Themen Homoehe und Obdachlose.

Von Suzanne Krause | 20.12.2012
    Die französische Wohnungsministerin sorgt für polemische Debatten: Sie fordert die Kirche öffentlich auf, ungenutzte Gebäude als Unterkunft für Obdachlose zur Verfügung zu stellen. Die Bischöfe kontern: In Sachen Solidarität brauche die Kirche keine Belehrungen

    "Gibt es Catho-Bashing in Frankreich?", betitelt die katholische Tageszeitung "La Croix" ein Dossier, das seit Anfang Dezember auf ihrer Webseite abrufbar ist. Mit der Frage, ob die Katholiken im Land zu Prügelknaben werden, reagiert das christliche Blatt auf die Äußerungen von Wohnungsministerin Cecile Duflot, Obdachlose auch in Gebäuden im Kirchenbesitz unterbringen zu wollen. Gegebenenfalls mit Zwang. Harsch reagierte der konservative Abgeordneten Bruno Le Maire in der Nationalversammlung noch am selben Tag:

    "Frau Ministerin, Sie hielten es für gut, die katholische Kirche anzugreifen, um die Beschlagnahmung verfügbarer Unterkünfte zu verlangen. Wenn Sie schon unbedingt Wohnraum beschlagnahmen wollen, sollten Sie mit den Dienstwohnungen der Stadt Paris und des Regionalrates anfangen."

    Auch die katholischen Bischöfe protestieren lautstark gegen Duflots Vorstoß. In seiner Wochenchronik beim katholischen Privatsender KTO TV verliest Jean-Michel Di Falco, Kardinal und ehemaliger stellvertretender Generalsekretär der französischen Bischofskonferenz, die Schilderung der staatlich angeordneten Beschlagnahmung einer Kirche. Der Text stammt von 1906, ein Jahr nachdem in Frankreich per Gesetz die Trennung von Staat und Kirche beschlossen wurde.

    "Ich frage mich, ob die Ministerin nun eine ähnliche Beschlagnahmung im, wie sie sagt, ungenutzten Kirchenbesitz durchführen will. Niemand leugnet, dass wir uns weiter anstrengen müssen, um den Bedürftigen zu Hilfe zu kommen. Aber wenn es einen Bereich gibt, in dem die Kirche keinerlei Belehrungen verdient, dann ist es der der Solidarität."

    In den letzten Jahren hat die katholische Kirche Programme aufgelegt, Obdachlosen unter anderem Winternotquartiere anzubieten. Dort engagieren sich Tausende von Gläubigen ehrenamtlich. Die landesweit wichtigste Lobbygruppe für die Wohnungslosen ist die Stiftung Abbé Pierre. Und das seit 1954: Im damaligen mörderisch kalten Winter gelang es dem Geistlichen, das ganze Land für konkrete Hilfsaktionen für Wohnungslose zu gewinnen. Die Wohnungsnot im Land ist chronisch: Über 100.000 Menschen leben laut aktuellen Schätzungen auf der Straße. Deshalb steht Christophe Robert von der Stiftung Abbé Pierre hinter Ministerin Duflot.

    "Wenn man sich heute die Frage stellen muss, ob man diese oder jene Immobilie beschlagnahmen soll, sich an die Kirche oder wen auch immer wenden soll, dann deshalb, weil man bislang keine anständige Wohnbaupolitik auflegen konnte. Deshalb bin ich für die Beschlagnahmungen."

    Schon Ende Oktober kündigt Ministerin Duflot Zwangsbeschlagnahmungen an. Erst für Immobilien im Staatsbesitz, dann für brachliegende Objekte privater Eigentümer. Erst anschließend wendet sich die grüne Politikerin, in ihrer Jugend Mitglied der christlichen Arbeiterjugend, an die Kirche. Dennoch unterstellt nun mancher Gläubige, Duflots Vorstoß sei eine Retourkutsche. Sie greife die Kirche an, weil diese seit dem Sommer vehement gegen das geplante Gesetz zur Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartner, trommelt. Philippe Portier, Professor an der Sorbonne mit dem Spezialgebiet Laizität, sagt: Der Zwist reicht eigentlich noch tiefer.

    "Bei seiner großen Wahlkampf-Auftaktveranstaltung in Le Bourget schlug Francois Hollande vor, das seit 1905 gültige Laizitätssystem zu hinterfragen. Bezüglich des Sonderstatus, der damals in Elsass und Lothringen der katholischen Kirche zugestanden wurde. Kurz darauf erklärte er in einem Brief an das nationale Komitee für die Laizität, man müsse gewisse gesetzliche Vorgaben im Bereich Privatschule überdenken, er als zukünftiger Staatspräsident fände manches zu vorteilhaft für die katholische Kirche."

    Hollande spielte vor allem an auf die staatliche Subventionspolitik für die – fast ausschließlich katholisch geführten – Privatschulen. Ohne staatliche Gelder haben sie keine Zukunft. Immerhin jeder fünfte Schüler in Frankreich besucht eine private Lehranstalt. Doch den Worten des Staatspräsidenten folgten keine Taten. Insgesamt zeigt die neue Regierung allerdings weitaus weniger Sympathie für die katholische Kirche als die Vorgängerregierungen, sei es unter dem Sozialisten Mitterrand oder dem konservativen Sarkozy. Auch Kleinigkeiten demonstrieren das. Als André Vingt-Trois, Kardinal von Paris und Vorsitzender der französischen Bischofskonferenz, zur Anhörung über das Gesetz zur Homo-Ehe geladen wurde, war seine Redezeit äußerst knapp bemessen, der Sitzungsleiter kanzelte den Würdenträger regelrecht ab. Der jüngste Vorstoß der Wohnungsministerin wirkt so in der aufgeheizten Atmosphäre wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, sagt Sorbonne-Professor Philippe Portier:

    "Man kann verstehen, dass die Kirche, deren Diskurs sich darauf stützt, wie wichtig der religiöse Einfluss bei der Regelung sozialer und politischer Belange sei, es keinesfalls schätzt, dass die ihr eigenen Prinzipien nun so an den Rand gedrängt werden. Dass sie selbst aus dem Zentrum des öffentlichen Raums in Frankreich verdrängt wird. Dies ist wohl eine Erklärung für die aktuellen Spannungen zwischen der Kirche und der Regierung."