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Psychische Belastungen am Arbeitsplatz

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz können durch falsches Zeitmanagement, wenig Anerkennung, mangelnde Kollegialität und Misstrauen entstehen. Doch nur wenige Betriebe haben Instanzen, die diese Faktoren berücksichtigen.

Von Kerstin Steinbrecher | 17.08.2012
    An diesem Nachmittag schlendern nur wenige Kunden zwischen den meterhoch gestapelten Paletten voller Balkonpflanzen, packen duftende Lavendeltöpfe und rosefarbenes Löwenmaul in den Einkaufswagen. Die Freifläche mit Balkon- und Kübelpflanzen ist nur ein Teil des Berliner Gartenbaubetriebs Rothe. Gewächshäuser und ein großer Laden gehören dazu. Lutz Grille leitet den Familienbetrieb mit etwa 50 Angestellten schon seit Jahren. Sein Büro ist mittendrin, direkt neben dem Geschäft. Die Tür steht immer offen, sagt Lutz Grille. Kommunikation mit den Mitarbeitern ist ihm wichtig. Vor allem in der Hochsaison von April bis Juni gehen die Angestellten bis an die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit.

    "Es ist warm in den Gewächshäusern, die Kunden fordern, die Kunden sind ungehalten. Man sagt nicht, na, dann komme ich eben morgen, ich melde mich an, sondern, was ist das für ein Laden, können sie das nicht sofort machen. Es herrscht Unverständnis, wenn man die Mails nicht spätestens am nächsten Tag beantwortet hat. Warum geht das nicht alles sofort und prompt. Das macht den Mitarbeitern Druck."

    Druck, den der Gartenbaubetrieb auffangen muss. Lutz Grille beschäftigt Fachkräfte, die auf dem Markt gesucht sind. Er weiß, dass ein gutes Betriebsklima wichtig ist, um die Mitarbeiter zu halten. Der Altersdurchschnitt liegt bei 40 Jahren.

    "Wir haben regelmäßige Gespräche mit den Abteilungsleitern, die sollten das dann mit den Mitarbeitern weiter führen. Wir lesen in Fachzeitschriften, was man vielleicht auch besser machen kann und sind offen für Anregungen. Die Kollegen unter sich helfen sich auch. Also eine gewisse Kollegialität ist da und wird auch erwartet. Das zeigt sich eben auch daran, dass wir eine geringe Fluktuation haben in der Firma, auch wenn ich sagen würde, gut, das Betriebsklima für sich kann immer noch besser sein."

    Alle paar Jahre kommen Prüfer der Berufsgenossenschaft, inspizieren, füllen Formulare aus und stellen Fragen wie: Läuft der Gabelstapler rund, gibt es gefährliche Ecken und Kanten, wie heiß ist es in den Gewächshäusern? Nach der psychischen Belastung seiner Mitarbeiter ist Lutz Grille noch nie befragt worden. Das entspricht der bundesweiten Praxis der vergangenen Jahre. Nur die wenigsten Betriebe haben eine so genannte Gefährdungsbeurteilung, die die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz berücksichtigt. Viele, vor allem kleine und mittelständische Betriebe, können mit dem Begriff gar nichts anfangen, meint David Beck. Er forscht bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zum Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz.

    "Das ist für viele Betriebe Neuland, nicht so was Vertrautes wie Lärmmessung oder Sicherheit von Maschinen, was über viele Jahrzehnte erprobt und Routine ist in der Arbeitsschutzpraxis. Das ist bei psychischen Belastungen seltener der Fall und insofern braucht es erste Schritte um sich mit dem Thema vertraut zu machen."

    Es geht um Zeitmanagement, um innerbetriebliche Werte wie Anerkennung, Kollegialität und Vertrauen. Auch ungeeignete Arbeitsmittel können Grund sein für Stress und psychische Belastungen. Wenn zum Beispiel im Call Center die Software während des Kundengesprächs abstürzt, wenn Drucker und andere Geräte nicht funktionieren. Gabriele Richter von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz weiß, dass es keine Konzepte von der Stange gibt. Im Rahmen einer bundesweiten Arbeitsschutzstrategie sollen künftig mehr geschulte Mitarbeiter, etwa von Berufsgenossenschaften, vor allem kleine Betriebe unterstützen.

    "Da gibt es ein Umdenken, dass auch psychische Belastung angesprochen werden wird und das auch bei jeder Begehung. Also es wird nicht so sein, dass gesagt wird, na, da ist kein Problem, da erkennen wir nichts, sondern das wird auf jeden Fall zukünftig mit dazugehören."

    Unternehmer wie Lutz Grille vom Berliner Gartenbaubetrieb sind skeptisch.

    "Das macht schon neugierig. Ich halte das für interessant aber doch schon wieder viel Theorie. Dicke Bücher rauszubringen, die kleine Firmen dann beackern dürfen, das halte ich für unwahrscheinlich, dass das intensiv angenommen wird."