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Psychologie beim Elfmeter
Zehn nach links und schießen!

Es ist ein nervenaufreibendes Kräftemessen, das bei der WM schon mehrfach für Überraschungen gesorgt hat: Elfmeterschießen. Um das sportliche Entscheidungsritual ranken sich viele Mythen. Dabei gibt es auch handfeste Forschung dazu, wann ein Elfmeter im Netz landet – und wann nicht.

Von Volker Mrasek | 05.07.2018
    Harry Kane aus England trifft beim Achtelfinale Kolumbien-England im Spartak-Stadion in Moskau per Elfmeter gegen Torwart David Ospina aus Kolumbien zum 0:1
    Harry Kane aus England trifft beim Achtelfinale Kolumbien-England per Elfmeter zum 0:1 (dpa / Christian Charisius)
    Reporter: "1:1 nach 120 Minuten. Es gibt das Elfmeterschießen zwischen Kolumbien und England."
    Daniel Memmert: "Letztendlich gibt's viele Mythen, die sich um Elfmeter tatsächlich noch ranken."
    Reporter: "Falcao hat sich vorgenommen: Wir fangen an, damit wir die Engländer immer schön unter Druck setzen."
    Memmert: "Ein Mythos ist beispielsweise, dass die Mannschaft, die beginnt, 'ne stückweit größere Wahrscheinlichkeit hat, das Elfmeterschießen zu gewinnen."
    Reporter: "Wir schießen als Erste."
    Welche Mannschaft beginnt, spielt für das Ergebnis keine Rolle
    Memmert: "Von den Statistiken her, die uns zugänglich sind und die öffentlich nachlesbar sind, ist das nicht der Fall. Also spielt es keine Rolle tatsächlich."
    Doch welche Dinge spielen eine Rolle? Wie schaffen es Spieler und Mannschaft, Strafstöße möglichst sicher zu verwandeln? Wie können Torhüter genau das am besten verhindern?
    Reporter: "Das erste Duell in diesem Elfmeterschießen."
    Mit solchen Fragen beschäftigt sich Daniel Memmert schon seit Jahren. Er ist Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln und leitet das Institut für Trainingswissenschaft. Kürzlich hat Memmert sogar ein Buch speziell über Elfmeter veröffentlicht, zusammen mit einem Fachkollegen.
    Reporter: "Er sagt: Elfmeterschießen kann man üben! Man kann sich darauf vorbereiten."
    Memmert: "Zwei Verhaltensweisen, die zu vermeiden wären, wären: Wenn man den Ball abgelegt hat, dass man dem Torwart den Rücken zudreht und dann zu seinem Anlaufpunkt schreitet. Und die zweite Verhaltensweise ist, dass, wenn der Schiedsrichter gepfiffen hat, man direkt möglichst schnell anläuft, um dann auch zu schießen. Das sind zwei Verhaltensweisen, die fallen so in die Kategorie Fluchtverhalten."
    Reporter: "Wo die Knie immer weicher werden und der Torwart immer größer."
    Memmert: "Dieses Fluchtverhalten suggeriert dem Torwart: Ja, ich halt' den Elfmeter! Und andersherum: Wenn man quasi den Ball ablegt und dann rückwärts läuft zum Ausgangspunkt, und wenn der Schiedsrichter gepfiffen hat, innerlich noch 'mal so bis drei zählt und dann erst losläuft - das suggeriert genau das Gegenteil: Der Torwart denkt dann, und das berichtet er uns, dass der Schütze Selbstbewusstsein ausstrahlt. Er hat Augenkontakt. Er mag diese Stresssituation. Und der Torhüter rechnet sich selbst 'ne geringere Wahrscheinlichkeit aus, den Ball zu halten."
    Fluchtverhalten sollte ein Schütze vermeiden
    Reporter: "Ja, so musst Du den machen! Vollspann unter die Latte gehämmert!
    Der Torhüter sei beim Elfmeter in einer komfortableren Situation als der Schütze, sagt Daniel Memmert. Denn laut Statistik zappelt der Ball am Ende in drei von vier Fällen im Netz:
    Memmert: "Er hat quasi nicht den Druck, den Ball halten zu müssen. Das wird nicht von ihm erwartet, weil er ja im Mittel nur eine 25-prozentige Wahrscheinlichkeit hat, den Ball zu halten. Das heißt, das ist für ihn eher so eine Hoffnungsaufgabe."
    Reporter: "War dran. Und dann an den Pfosten gelenkt."
    Memmert: "Für den Schützen dagegen ist es eine klare Pflichtaufgabe. Weil das so ist, haben unsere Studien auch ergeben, dass die Persönlichkeit des Schützen eine Rolle spielt. Das heißt, pflichtbewusste Spieler haben eine höhere Wahrscheinlichkeit zu treffen. Dieser Pflichttyp passt auch besser zur Pflichtsituation."
    Soll heißen: Man könnte ja 'mal über Persönlichkeitstests unter Fußballprofis nachdenken.
    Reporter: "Das haben wir jetzt natürlich auch, diese Psychospielchen."
    Doch was können Torhüter in einem Elfmeter-Krimi zu ihren Gunsten tun? Etwas höchst Erstaunliches, wenn man Memmert und anderen Fußballforschern glauben darf! Ein Keeper kann den Elfmeterschützen demnach dazu verleiten, in eine bestimmte Torecke zu schießen. Indem er sich zunächst in die Mitte des Kastens stellt, dann aber acht bis zehn Zentimeter zur Seite rückt - nicht mehr!
    Memmert: "Der Schütze bemerkt das nicht. Wenn wir Schützen fragen, ob der Torwart in der Mitte steht oder nicht, sagen die: 'Ja, der Torwart steht in der Mitte!' Aber das visuelle System des Schützen hat das schon registriert. Und zu 60 bis 80 Prozent schießt tatsächlich dann der Schütze in das physikalisch größere Eck. Und dahin müsste dann der Torwart springen."
    Reporter: "Entscheidet sich früh für die Ecke. Guter Ball für den Keeper."
    Memmert: "Und das wird schon eingesetzt, weil das etwas ist, wogegen der Schütze kaum etwas tun kann."
    Von den immer wieder zu beobachtenden Psychospielchen der Schlussmänner war ja schon die Rede. Störmanöver vor dem Pfiff, Rumhampeln auf der Linie, die Arme weit ausstrecken - auch das kann den Studien zufolge helfen, Elfmeterschützen zu irritieren. Na ja, die Engländer ab jetzt sicher nicht mehr!
    Reporter: "Sie können es auf einmal! Unfassbar!"