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Psychologie
Was der Herzschlag mit Rassismus zu tun hat

Hör auf dein Herz, heißt es so schön. Eine Studie der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature Communications" legt jetzt aber etwas anderes nahe. Forscher aus Großbritannien berichten dort, dass ein Herzschlag zur unrechten Zeit der Auslöser für rassistische Taten sein kann.

Von Anneke Meyer | 24.01.2017
    Modell eines menschlichen Herzens
    Modell eines menschlichen Herzens (dpa/picture-alliance/Emily Wabitsch)
    Falcon Heights, eine Kleinstadt im US-Bundesstaat Minnesota im Juli letzten Jahres. Eine junge Afroamerikanerin veröffentlicht im Live-Stream auf Facebook ein Video. Darauf ihr stark blutender Freund. Der Polizist, dessen Pistole immer noch ins Auto gerichtet ist, hat viermal auf den Afroamerikaner geschossen – im Glauben, der Mann würde eine Waffe ziehen.
    "Sie sagten doch, er soll seinen Führerschein zeigen", sagt die junge Frau.

    Dramatisch und kein Einzelfall. Über 40 unbewaffnete Afroamerikaner sind im vergangenen Jahr durch Polizeigewalt gestorben. Oft hatten die Officer beim Griff nach Ausweis oder Handy eine Waffe vermutet. Eine tödliche Verwechslung, der schwarze Amerikaner mehr als doppelt so häufig zum Opfer fallen wie weiße, erklärt Manos Tsakiris:
    "Sozialpsychologen untersuchen dieses Phänomen schon länger und viele Studien haben seine Existenz bestätigt. Aber warum es dazu kommt, den genauen Mechanismus dahinter, den kennen wir nicht."
    An der Royal Holloway University of London untersuchen der Psychologe und sein Team den Einfluss, den der Körper auf Gedanken und Gefühle hat. Vor ein paar Jahren konnten sie zeigen, dass weiße Versuchspersonen weniger unterbewusste Vorurteile gegenüber Schwarzen hatten, nachdem sie eine Zeit lang das Gefühl gehabt hatten, selbst dunkelhäutig zu sein.
    In ihrer aktuellen Studie untersuchen die Wissenschaftler, ob der Körper auch beim gegenteiligen Effekt seine Finger im Spiel hat: Wenn unterbewusste Vorurteile zum Auslöser für Gewalt werden. Wie das funktionieren könnte, erklärt Sara Garfinkel von der University of Sussex. Sie ist Co-Autorin der Studie.
    "Jedes Mal, wenn das Herz schlägt, werden Druckrezeptoren in den Blutgefäßen aktiviert. Sie senden bei jedem Herzschlag Signale an das Gehirn. Und zwar an die Amygdala. Einen Teil des Gehirns, in dem Angst und Bedrohung verarbeitet werden."
    Je schneller das Herz schlägt, je stärker die Angst
    Kann diese Kopplung zwischen Herz und Hirn tatsächlich unsere Wahrnehmung und damit unser Verhalten beeinflussen? Um diese Idee zu überprüfen, nutzten die Wissenschaftler einen bewährten Test auf impliziten Rassismus und stimmten ihn zeitlich auf den Herzschlag der Versuchspersonen ab.
    30 weiße Versuchspersonen sahen für wenige Hundertstel Sekunden das Gesicht eines weißen oder schwarzen Menschen, gefolgt von dem Bild eines Werkzeugs oder einer Waffe. Wenn die Präsentation der Gesichter auf den Herzschlag, die Systole, synchronisiert war, hielten die Probanden ein Werkzeug überdurchschnittlich häufig für eine Waffe – aber nur, wenn das Gesicht zuvor schwarz gewesen war. Wurden die Gesichter zwischen zwei Herzschlägen, in der Diastole, gezeigt, war das nicht der Fall. Ein zweiter, leicht abgeänderter Versuch bestätigte das Ergebnis.
    "Indem wir die Stimuli in der Systole zeigen, greifen wir einen Punkt ab, wo die Amygdala-Aktivierung hoch ist und damit die Empfänglichkeit für Gefahr. Je schneller und stärker ein Herz schlägt, desto leichter fahren Ängste Trittbrett. In dem von uns untersuchten Beispiel führt das zu stärker vorurteilsbehaftetem, rassistischem Verhalten."
    Schlagendes Herz, ängstliches Hirn. Was hilft dieses Wissen gegen rassistische Polizeigewalt? Abstellen können wir den Herzschlag ja nun nicht. Aber vielleicht lernen, ein bisschen vorsichtiger auf den Rat unseres Herzens hören. Eine unabhängige Studie, an der Sarah Garfinkel beteiligt war, belegt, dass Menschen, die ein gutes Gespür für ihren Körper haben, den furchteinflößenden Effekt des Herzschlags abschwächen können.
    Generell: Körper und Geist sollten nicht getrennt betrachtet werden, meint Manos Tsakiris. Selbst, wenn Rassismus im Kopf entsteht. Dort bleiben tut er nicht:
    "Wir wissen natürlich alle, dass Vorurteile zu einem großen Teil durch unsere Lebensweise entstehen. Aber was wir in dieser Studie gezeigt haben ist, dass sie sich auch in den physiologischen Prozessen unseres Körpers verankern. Das sollten wir berücksichtigen, wenn wir darüber reden, wie es zu rassistischen Handlungen kommt."