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Psychologin zu Linkshändigkeit
"Umschulung der Händigkeit ist ein Eingriff in das Gehirn"

Wenn Linkshänder umgeschult werden, könne das zu Konzentrationsstörungen, feinmotorischen oder sogar psychischen Problemen führen, sagte die Psychologin Johanna Sattler im Dlf. Dennoch riet sie davon ab, einfach wieder mit links zu schreiben. Besser sei es, sich vorher professionell beraten zu lassen.

Johanna Sattler im Gespräch mit Lena Sterz |
Die Hand einer Frau mit Kugelschreiber setzt ein Ausrufezeichen hinter den Satz: "Ich schreibe mit links".
Ob die Rückschulung auf links sinnvoll sei, sollte man bei einer fachkompetenten Beratung abklären lassen, sagte die Psychotheratpeutin Johanna Barbara Sattler im Dlf (dpa / picture alliance / Hans-Jürgen Wiedl)
Lena Sterz: Wie gehen Grundschulen heute mit Linkshändern um, und was sind die Auswirkungen bei Kindern, das hat uns gerade Benjamin Dirks erklärt, aber gravierender noch als bei Kindern sind häufig die Spätfolgen bei manchen Erwachsenen, die als Kinder von links auf rechts umgeschult wurden. Das sagt Johanna Barbara Sattler, Psychologin und Psychotherapeutin und Leiterin der ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in München. Meine Frage an Sie, warum kann es für Menschen noch im Erwachsenenalter ein Problem sein, dass sie als Kinder umgeschult wurden?
Johanna Sattler: Die Umschulung der Händigkeit ist ein Eingriff in das Gehirn, und der setzt sich sozusagen fort. Die falschen Reaktionen im Gehirn, die laufen auch bei den Erwachsenen. Also das können sie nicht einfach wirklich umswitchen, sondern die dominante Gehirnhälfte möchte nach wie vor reagieren, und deswegen, so erklärt man sich das heute, gibt es nach wie vor Umschulungsfolgen auch bei Erwachsenen.
"Sekundärfolgen im psychischen Bereich"
Sterz: Sie sagen, das Ganze kann auch psychische Folgen haben. Sie nennen es sogar einen der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn ohne Blutvergießen. Was bedeutet das in der Praxis? Welche Auswirkungen zeigen die Umschulungen bei den Menschen?
Sattler: Ich unterscheide zwischen den Primärfolgen, also den Folgen, die auftreten erst mal an erster Stelle, zum Beispiel Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, manchmal auch Lese- und Rechtsschreibschwierigkeiten und feinmotorische Probleme. Die Intelligenz wird dabei nicht reduziert, aber die Manifestation der Intelligenz, das heißt, der Mensch kann die Sachen durchaus denken, aber er bringt so nicht so rüber, im Schriftlichen wie im Mündlichen, wie er sie eigentlich im Kopf hat. Aus diesen Primärfolgen können dann Sekundärfolgen im psychischen Bereich entstehen, zum Beispiel deswegen, weil man weiß, man weiß es doch, man kennt doch die Antwort, und in dem Moment findet man sie nicht oder sie ist wie verschwunden im Gehirn. Manche nennen es auch den Knoten im Gehirn – den Begriff finde ich sehr schön – oder ein Wackelkontakt im Gehirn, und sowas macht einen unsicher.
Fachkompetente Beratung bei Linkshänder-Berater machen
Sterz: Was raten Sie Betroffenen, die sich jetzt beim Hören dieses Gesprächs vielleicht Gedanken machen, ob und welche Auswirkungen eine Umschulung bei ihnen hatte? Was können die Betroffenen tun?
Sattler: Auf der einen Seite sollten sie nicht einfach anfangen mit links zu schreiben. Man muss da langsam rangehen. Man sollte eigentlich erst eine fachkompetente Beratung bei einem Linkshänder-Berater oder -Beraterin in Anspruch nehmen, um darüber nachzudenken und Rückmeldung zu bekommen, ob das in der jeweiligen Situation überhaupt sinnvoll ist. Wenn jemand viele andere Probleme hat, in seiner Familie zum Beispiel oder gesundheitlicher Art, dann ist es nicht immer angebracht, den Menschen auch noch zurück zu schulen. Das kann zu viel sein. Das heißt, da muss erst mal ein Beratungsgespräch stattfinden oder sollte, und wenn da alles günstig aussieht, also nicht zu viel Belastung im Leben dieses Menschen und auch eine gute grafomotorische Fähigkeit, also dass auch die linke Hand fähig ist, doch noch einiges zu zeichnen, zu kritzeln und dann die Schrift übernehmen kann, das sind wichtige Voraussetzungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.