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Psychorealismus aus Irland

Ganz weit im Westen, in der irischen Provinz, wo die Wiesen dieses fiese Grün haben und vom Atlantik der Wind pfeift, wo die Männer arbeitslos, depressiv und versoffen sind und die Frauen frustriert und geschwätzig, da kann man noch in Nahaufnahme beobachten, wie es um die Erziehung des Menschengeschlechts steht. Ziemlich schlecht, sagt der Dramatiker Martin McDonagh, und zwar ohne Bedauern. McDonagh, obgleich in London aufgewachsen, gehört nicht zur großmäuligen, großstädtischen "Shoppen-und-Ficken"-Fraktion seiner britischen Kollegen; ihn beschäftigt eher das Kleine, Verdruckte, das Tier im Katholiken, das Amoralische im Kleinbürger – und das findet er im Land seiner Eltern, die aus Galway stammen.

Von Christian Gampert |
    McDonaghs Figuren sitzen da und kommen nicht weg. "Sie bewegen sich nicht von der Stelle", heißt es bei Beckett, in "Warten auf Godot", und genauso ist es bei Martin McDonagh – nur dass die Absurditäten des menschlichen Daseins nun in ranzigen Wohnküchen verhandelt werden und auf einsamen Friedhöfen. Und dass die Kroetzsche Dumpfheit der Figuren folkloristisch aufgeheitert wird durch viel Flüche, Suff, Schlägerei und Geschwätz, wie bei O’Casey oder Brendan Behan.

    Die Stücke der Leenane-Trilogie sind alle in Deutschland schon ein-zeln gespielt worden, und die Frage war nun, ob die Konzentration des Dreierpacks auf einen Abend eine neue Qualität ergeben würde. Leider ist dem nicht so. Zwar ist der Tod das übergreifende Thema, Gevatter Tod müsste man bei dem kumpelhaften Umgang sagen, den McDonagh mit ihm pflegt; aber die Hassliebe, in der die Figuren zu-einander entbrannt sind, wird nur in der "Schönheitskönigin von Lee-nane" in eine ergiebige Dramaturgie komprimiert: eine verlebte 40jährige, einst war sie schön, versorgt unwillig ihre senile Mutter, welche zwischen Tee und Porridge wiederum die Tochter terrorisiert und jede Männerbeziehung der Jüngeren zu verhindern sucht.
    Die beiden anderen Stücke, "Ein Schädel in Conemara" und "Der ein-same Westen", erzählen von exzentrischen, skurrilen Außenseitern am Rande der Zivilisation, die den Schädel ihrer Ehefrau aus dem Grab buddeln wollen oder sich endlose Bruderkriege liefern. Das sackt sehr schnell ins Geschwätzige ab, und leider gelingt es dem Regisseur Sebastian Nübling nicht, die Trauer, Verzweiflung und Sprachlosigkeit in all dem Gerede sichtbar zu machen.
    Nübling liebt die Stilisierung, das Kabarett, die Verkünstlichung, das Entertainment. Schon in seinen "Furiosi" am Stuttgarter Theaterhaus, einer Einar-Schleef-inspirierten chorischen Brüllübung für aggressive Fußballfans, hat er das bewiesen; auch sein Basler Shakespeare-Versuch, der King Lear vor die UNO verpflanzte, war eher unergiebig: eine Idee pro Inszenierung, das ist nicht viel, dazu viele hübsche Details.
    Die "Schönheitskönigin" hat er in einen angedeuteten Küchenwinkel auf grüner Wiese verpflanzt. Bulleröfchen, Sofa, Schrank und Klei-derstange. Hier sitzt ein verblüffend junges Mutter-Tochter-Gespann und macht sich das Leben zur Hölle. Nübling aber huscht nur über den Text drüber, lässt die eigentlich sehnsuchtvolle alte Jungfer Maureen exaltiert auf dem Tisch agieren und mit einem Mann aus dem Dorf clowneske Sex-Versuche unternehmen. Die Mutter fängt Liebesbriefe ab und hockt da wie ein Stein.
    Als Jürgen Bosse das Stück 1996 in Essen inszenierte, da hatte er die senile Mutter mit einem Mann besetzt, mit Manfred Meihöfer. Der quengelte boshaft an der Tochter herum und sah aus, als hätte ein greiser, füllig gewordener Anthony Perkins sich noch mal in Mama verwandelt. Das war Psycho, das war Terror. In Basel rotzt die paten-te, aber viel zu junge Katja Reinke die Mutter immer nur als "alte Fotze" zusammen – die Verzweiflung, das Geheimnis der Figur verflüchtigt sich in wild entschlossenes Agieren. Die will noch einen Mann abkriegen, aber dann bringt sie nur die Mutter um. Zwischendrin ein hibbeliger Dorfjugendlicher und ein verhinderter Liebhaber.
    Dieses Drang zum Unterhaltsamen, Oberflächlichen setzt sich in den beiden anderen Stücken fort, die freilich nicht mehr den Innendruck der "Schönheitskönigin" erzeugen können. Zwar ist Urs Bihler ein wunderbar lakonischer Totengräber, es gibt nette Dorftrottel und amoralische Polizisten, aber im letzten Teil rutscht die Inszenierung dann vollends in schlechtes Comedy-Format ab: zwei endlos zankende Brüder und ein Priester, der von einem jungen Mädchen in Versuchung geführt wird, ermüden uns doch ziemlich.
    Zwischendrin eine Blaskapelle, die immer wieder elegisch zur Beerdigung aufspielt und dann einen fröhlichen Leichenschmaus-Twist hinlegt. Dieser Widerspruch wär ein Programm gewesen. Nüblings Inszenierung aber beerdigt die Trilogie unter lauter Slapsticks und aufgesetzten Pointen.