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Psychothriller, Abenteuerfilm und Bluegrass-Country-Tragödie

Mit dem Thriller "Side Effects" mit Rooney Mara und Jude Law in den Hauptrollen liefert Regisseur Steven Soderbergh eine ziemlich böse Diagnose einer Gesellschaft auf Psychodrogen. Außerdem neu: "The Broken Circle" von Felix Van Groeningen und Kletter-Doku "Jäger des Augenblicks".

Von Hartwig Tegeler | 24.04.2013
    "Jäger des Augenblicks"

    Am Ende schaffen Stefan Glowacz und Holger Heuer es beim zweiten Versuch, den Tafelberg Roraima im Dreiländereck von Brasilien, Venezuela und Guyana zu besteigen - als Freikletterer.

    "Letztendlich hängt ja das Leben vom Partner ab."

    "Jäger des Augenblicks" ist der Titel dieser Dokumentation, die von den Extremen dieses Sport berichtet, aber auch von der tiefen Sehnsucht der Männer, ohne größere technische Hilfsmittel in schwindelerregenden Höhen zu klettern.

    "Also, eigentlich bin ich so der Augenblick-Jäger."

    Aber auch, wenn die wenigsten Motive eines Extremsportlers nachvollziehen können, zeigt "Jäger des Augenblicks" magische Bilder einer existenziellen Grenzerfahrung.

    "Jäger des Augenblicks" - empfehlenswert.

    "Side Effects" von Steven Sonderbergh

    Emilys Mann im Knast, die Frau des Börsenmaklers ist vollkommen durch den Wind. Erfahrungen mit Therapien und Psychopharmaka liegen bei ihr jede Menge vor. So sitzt Emily - Rooney Mara - am Anfang von Steven Soderberghs Film "Side Effects" nach einem Selbstmordversuch mittels eines recht merkwürdigen Autocrashs Jonathan gegenüber. Jonathan, gespielt von Jude Law, ist Psychiater.

    "Eine Betonmauer ist gewöhnlich ein guter Grund, auf die Bremse zu treten."

    Psychiater Jonathan glaubt die Seelenlage der jungen, reichen Frau gut einschätzen zu können. Er bietet ihr eine Einweisung an, aber Emily will nicht:

    "Martin ist gerade erst wieder zu Hause, ich muss mich um ihn kümmern."

    So wird Emily Jonathans Patientin, er verschreibt ihr Psycho-Pillen.

    "Hoffentlich wirken die Dinger auch."

    Emily scheint stabil; ihr Mann ist wieder zu Hause. Doch nach der ersten Nacht rammt Emily dem ein Küchenmesser in den Bauch. Aber ist Emily zurechnungsfähig gewesen? Oder hat Psychiater Jonathan gar fahrlässig eine Psychopille verordnet, die noch nicht ausgetestet war? Nun darf man sich das Figurenensemble von Steven Soderberghs Film nicht fein säuberlich aufgeteilt in Gut und Böse vorstellen. Jeder - ob die durchgedrehte Börsenmaklers-Gattin, die Therapeutin - herrlich fies gespielt von Catherine Zeta-Jones - oder dieser aufstrebender Psychiater, der seinen Lebensstandard gerne pflegt -, kurzum, jeder in "Side Effects" ist vertritt eine Welt, die süchtig scheint nach Aufhellern in Pillenform:

    "Die nimmt jeder. Anwälte, Musiker, Leute vor wichtigen Vorstel-lungsgesprächen. Die verändern nicht deine Persönlichkeit, die machen es nur leichter, du selbst zu sein."

    Steven Soderbergh mag in seine Erzählung ein paar Wendungen und Thrills eingebaut haben, die nicht überzeugend sind. Doch unterm Strich ist "Side Effects" eine ziemlich böse Diagnose einer Gesellschaft auf Psychodrogen.

    "Side Effects" von Steven Soderbergh - empfehlenswert.

    "The Broken Circle" von Felix Van Groeningen

    Robert Altman (engl. Original:

    "Ich wollte die Country-und-Western-Kultur in ein Panorama setzten, das etwas über die Politik und das Selbstverständnis der US-Amerikaner aussagt. Meint Robert Altman zu seinem Film "Nashville", der kritisch-bissig eine Welt voller Manipulation und falschen Scheins zeigt. Die Mutter als Country-Filme, 1974 entstanden, ist jetzt das erste Mal bei uns auf DVD erschienen."

    Didier, Hauptfigur in Felix Van Groeningens Film "The Broken Circle" würde der Altmanschen Diagnose über Country- bzw. Bluegrass-Musik und über Amerika natürlich heftig widersprechen:

    "Amerika ... das ist ... einen schöneren Ort gibt es nicht von der Welt. Egal, wo man herkommt, du kannst ganz von vorne anfangen. Ja, es ist ein Land für Träumer."

    Ein sich verwirklichender Traum daheim in Belgien jedenfalls ist die Begegnung des Banjospielers einer Bluegrass-Band mit Elise, die ein Tattoo-Studio hat und auf dem ganzen Körper Tattoos.

    "Komm doch rein, ich steche dich eins."

    Liebe auf den ersten Blick. Dann wird Elise schwanger; als Maybelle auf die Welt kommt, scheint alles perfekt. Bis das Mädchen mit sechs Jahren an Krebs stirbt. Felix Van Groeningens Film "The Broken Circle" erzählt nun, wie die fragile Beziehung zwischen der Träumerin und dem Rationalisten, denn das sind Elise und Didier, langsam bricht unter der Last der Trauer über die verlorene Tochter. Den Sound dazu geben die alten Country- und Bluegrass-Traditionals, die im Film von Didiers und Elises Band gesungen werden, unter anderem das titelgebende "Can The Circle Be Unbroken".

    Kann unser Kreis wieder irgendwann wieder ganz sein? Natürlich birgt jeder Film, der von dem Verlust eines Kindes erzählt, die Gefahr in sich, ins Melodram abzugleiten. Felix Van Groeningen entgeht dem, indem er "The Broken Circle" nicht linear erzählt; mal zeigt er uns Didier und Elise in den vor Lebendigkeit quasi explodierenden Anfängen ihrer Beziehung, dann springt Regisseur von Goeningen in die spätere tiefe Verzweiflung seiner beiden Trauernden. Das verleiht dem Film eine ungeheuere Kraft jenseits aller Sentimentalität.

    "The Broken Circle" von Felix Van Groeingen - ungeheuer musikalisch. Herausragend.
    Elise (Veerle Baetens) und Didier (Johan Heldenbergh) mit ihrem Baby in Felix van Groeningens "The Broken Circle Breakdown"
    Elise (Veerle Baetens) und Didier (Johan Heldenbergh) mit ihrem Baby in Felix van Groeningens "The Broken Circle Breakdown" (picture alliance / dpa / Menuet/Pandora Film)