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Pubertät auf der Nonnenschule

Die Innenwelt junger Mädchen: eine krause Mischung aus Süßem und Bitteren, Naivität und Altklugheit, aus Liebeslust und Todessehnsucht. Ruth Benrath, die 1966 in Heidelberg geboren wurde und bisher Lyrik und Kurzprosa veröffentlichte, hat jetzt ihren ersten Roman mit dem sprechenden Titel "Rosa Gott, wir loben dich" vorgelegt.

Von Sabine Peters |
    Dieser Titel spielt zunächst auf einen Verhörer der Hauptfigur an: Die noch kleine Marie versteht das Kirchenlied nicht. Doch der gelobte "rosa Gott" lässt sich natürlich auch als ironischer Seitenhieb auf die göttliche Existenz "des Mädchens" einst und immer lesen.

    Marie befindet sich Anfang der 80er-Jahre in der schönsten Pubertät. Ihr Vater legt Wert auf eine religiöse Erziehung, zu der auch der Besuch einer von Nonnen geleiteten Mädchenschule gehört. Die erotisch aufgeladene Freundschaft zur Mitschülerin Lisa führt zu ersten, am Hohelied der Bibel orientierten Briefen und Gedichten. Leider wendet sich die Freundin bald der Rivalin Verena zu, aber Marie hat längst die Macht der Sprache begriffen. Selbst das Lateinische hilft ihr: "Ceterum censeo, Lisam et Verenam esse delendam." Proben für ein Theaterstück bringen Jungens an die Schule; Marie verliebt sich in Ravi. Die literarischen Vorbilder der Tagebucheinträge sind jetzt Else Lasker-Schüler und Goethe. Nachdem der gestrenge Vater Marie und ihren Schwarm im Kino erwischt hat - ausgerechnet die sittenlose "Rocky Horror Picture Show" musste es sein - verbietet er ihr den Umgang mit Ravi. Marie schneidet sich die Pulsadern auf, wird gerettet und erkennt, dass die erste große Liebe vorbei ist. Sie wendet sich vom Vater wie vom Freund ab, um weiter zu schreiben.

    "Rosa Gott, wir loben dich" - die Aneignung und Verfremdung eines klassischen Zitats aus der Kirchenliteratur deutet schließlich auch auf eine Initiation hin: Das Infans, also das sprachlose Kind, wird zu einer jungen Frau, die der Sprache huldigt. Das Muster ist bekannt: Schreiben als Königsweg zum autonomen Subjekt. Durch Nacht zum Ich. Rosa Gott.

    Man kann Benraths Roman entgegenhalten: Es gibt literarisch überzeugendere Versuche, den Weg zur Schreibexistenz darzustellen; man denke etwa an Ariane Breidensteins erstes Buch unter dem Titel "Und nichts an mir ist freundlich". Dieser Text riskiert mehr; die Suche nach Sprache artikuliert sich von Satz zu Satz, während Benrath sich oft etwas distanzlos auf das schlichte "Aussagen" und Erzählen verlässt. Im Übrigen wirkt der Selbstmordversuch am Ende des Buchs aufgesetzt, und die letzten Seiten grenzen auch sprachlich ans Peinliche.

    Trotzdem: Ein fesselndes Buch, das man in einem Rutsch durchliest. Denn es geht hier nicht, wie bei Breidenstein, um den abstrakten und äußerst reflektierten Ausbruch in die Sprache selbst. Benrath erzählt ganz konkret und bodenständig von einer wirren Mädchenseele, die zwischen heiligem Ernst und haltloser Neugier geschüttelt ist. Das macht den Roman fassbar, auf wohltuende Weise anschaulich. Maries religiöse Erziehung gibt einige Komik her. Und das Portrait des Vaters kann jedem Patriarchen als Vorbild dienen. Im Übrigen verschont Ruth Benrath auch die Heldin nicht mit ihrem Spott. Marie ist oft so peinlich, dass sie selbst wie ihre Leser zusammenzucken. Das macht sie natürlich auch rührend. Ach, diese Mädchenseelen! Da wird Prometheus in der Schule gelesen; Lisa erklärt, das ist der Kerl, der in der Hütte vor sich hinstänkert. Marie aber wird zum ersten eigenen Protestgedicht inspiriert, woraufhin sie sich die Haare abschneidet, und mit den Stoppeln fühlt sie sich "wie Prometheus".

    Benraths Heldin ist zwar keine Rebellin, aber auch kein braves bildungsbeflissenes Heimchen. Sie holt sich, was sie brauchen kann. Das heißt auch: Der Roman zeichnet kein schlichtes Schwarzweißbild, in dem "die" finsteren Autoritäten, also Eltern, Lehrer und Geistliche von "der" lichtsuchenden, aufmüpfigen Jugend abgegrenzt werden - es sind die Nonnen, die Marie auf erstaunlich unorthodoxe Weise die Liebe zur Literatur beibringen.

    Benraths Roman hat einen hohen Wiedererkennungswert für Leser, die aus entsprechenden Jahrgängen und Milieus kommen. Im Klassenzimmer wirbeln die Stricknadeln, christliche Jugendliche röhren zur Gitarre, während die Avantgarde der Schülerinnen Sticker mit der Aufschrift "Baum ab? Nein danke" trägt und sich die Kleidung selbst färbt, um ein Zeichen gegen den Konsumterror zu setzen.

    Neben dieser detailgenauen, realitätsgesättigten Schilderung einer im Nachhinein recht unschuldig wirkenden Jugendkultur hört man in diesem Roman aber auch individuelle Töne. Im Unterschied zu dem Geschnatter vieler cooler "neuer Mädchen", die sich ihres Körpers so gewiss sind, ist "Körper" für Benraths Heldin tatsächlich eine terra incognita, die es zweifelnd und mit großem Staunen zu entdecken gilt. Alle vorgefertigten Redewendungen versagen, wenn der Körper sich zu Wort meldet. Und die ersten Flirts, die ersten Brührungen zwischen Marie und Ravi werden in einer Sprache geschildert, die gleichzeitig scheu und schlafwandlerisch sicher daherkommt.

    Also: Ein Buch, das sich dem Leser zuwendet, das einen mitnimmt in die Gemütswelt einer jungen Mädchenblüte - und man muss sich nicht fürchten vor allzu viel Rosa: Benraths Roman ist insgesamt doch sehr farbenfroh.

    Ruth Johanna Benrath: Rosa Gott, wir loben dich. Roman. Steidl-Verlag, 176 Seiten, 16.-