Dienstag, 23. April 2024

Publizist Joachim Fest zum Kriegsende
"In den Menschen steckt das Böse"

In den letzten Kriegsmonaten erlebte Joachim Fest als Soldat, wie das Oberkommando der deutschen Wehrmacht bei der Schlacht vom Hürtgenwald ganze Bataillone in den sicheren Tod schickte. Mehr als 50.000 Amerikaner und 20.000 Deutsche fielen. Die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit wurde sein Lebensziel.

Von Käthe Jowanowitsch und Stephanie Rapp | 08.05.2005
Historiker Joachim C. Fest
Historiker Joachim C. Fest (picture alliance / schroewig/ Redaktionsbüro)
Reims, 7. Mai 1945, 2.41 Uhr morgens. Generaloberst Jodl unterzeichnet die bedingungslose Kapitulation. Einen Tag später setzt Generalfeldmarschall Keitel in Berlin-Karlshorst seine Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde, die ihm der sowjetische Marschall Georgi Schukow vorgelegt hatte.

"An den 8. Mai 1945 habe ich eine sehr präzise Erinnerung. Ich weiß noch, dass wir in dem Gefangenenlager in der Nähe von Reims in Frankreich an dem schwarzen Brett standen, oder als ich da die Lagerstraße hinunterkam, stand ein Riesenhaufen an dem schwarzen Brett und las die Meldung. Und es erhob sich gerade, als ich dazukam, eine heftige Auseinandersetzung, weil einer nämlich gesagt hatte: Na Gott sei Dank ist der Krieg vorbei. Und da sagte jemand: Ach, du freust dich darüber, dass wir den Krieg verloren haben. Darüber entspann sich ein heftiger Streit."
"Alle Gruppen der Gesellschaft haben versagt"
Joachim Fest, Jahrgang 1926, stammte aus einem demokratisch-republikanischen und der katholischen Kirche eng verbundenen Elternhaus. Der Vater war Führer des SPD-nahen Reichsbanners im Gau Berlin-Brandenburg und wurde unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers als höherer Beamter aus dem Dienst entlassen.

"Meine Nichtzugehörigkeit zur Hitlerjugend hatte zum Teil mit diesem bildungsbürgerlichen Hintergrund zu tun, aber natürlich auch mit der Feindseligkeit, die mein Vater gegenüber den Nazis empfand. Ich bin immer sehr ungehalten, wenn ich höre, das Bildungsbürgertum habe schlimmer als alle anderen Gruppen der Gesellschaft versagt, denn alle anderen haben auch versagt."

In den letzten Kriegsmonaten erlebte Joachim Fest als Soldat, wie das Oberkommando der deutschen Wehrmacht bei der Schlacht vom Hürtgenwald ganze Bataillone in den sicheren Tod schickte. In der "Hölle vom Hürtgenwald", die heute als das "Verdun des Zweiten Weltkrieges" gilt, kamen mehr als 50.000 Amerikaner und 20.000 Deutsche ums Leben.

Auch Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway war damals als Frontberichterstatter dabei. In seinem Roman "Über den Fluss und in die Wälder" berichtet er von der Wehrmacht, die "mit ihren Mörsern alles zu Klump hämmerte" und von hochnäsigen Generälen, die immer mehr GIs "in die Hölle" führten, wo es "Pferdescheiße satt zu essen gab, bis man schwer verwundet ist oder getötet wird oder verrückt".


Noch während im Hürtgenwald die Kämpfe tobten, begann Hitler am 16. Dezember 1944 die Ardennenoffensive. Sie brach im alliierten Bombenhagel zusammen. Anfang März 1945 standen die US-Truppen am Rhein. Joachim Fest gehörte zu einer Pionierkompanie, die zur Verteidigung der Brücke von Remagen kommandiert wurde.

"Wir sind in eiligen Fußmärschen von Düsseldorf durch das ganz und gar zerstörte Köln nach Remagen oder, genauer gesagt, auf die andere Seite nach Unkel gekommen und haben dort so eine Art Befestigung ganz schnell ausgebaut, die die Amerikaner aufhalten sollte. Es war aber viel zu spät."
Als stünde die Zeit still ... Das Bild zeigt das zerstörte Nürnberg, Text: 8. Mai 1945,
"Mit Befreiung hatte das nichts zu tun"
Wochenschau: "Zwölfhundertzwölf bringt Frontnachrichten: Von Bonn und Weißenturm stoßen Feindpanzer aufeinander zu. Remagen musste gestern Abend bereits geräumt werden. Letzten Meldungen zufolge soll die Rheinbrücke dem Feinde in die Hände gefallen sein."

Am 7. März 1945 gelang es der 9. amerikanischen Panzerdivision, die letzte intakte Rheinbrücke zu erobern. Damit war die Westfront gefallen. Der Weg ins Ruhrgebiet war frei.
US-Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower rief aus: "Die Brücke ist ihr Gewicht in Gold wert."

"Ich bin gefangen genommen worden von einem amerikanischen Leutnant, und ich hatte so eine Kartentasche dabei und auch hier und da in meinen Taschen das eine oder andere Buch, im ganzen 14 Bücher. Und dieser amerikanische Offizier, der perfekt deutsch sprach, auch aus Deutschland stammte, nahm mir diese Bücher weg und warf sie so auf einen Dreckhaufen und sagte immer: Das brauchen Sie jetzt nicht mehr, dass brauchen Sie jetzt nicht mehr oder: Das brauchst du jetzt nicht mehr. Und dann habe ich ihn gebeten, als er die Goetheschen Gedichte wegwarf, lassen Sie mir das doch. Und dann sagte er: Ihr Nazibengels werdet euch ein für allemal daran gewöhnen müssen, dass ihr nun nichts mehr zu sagen habt. Und warf das auch da hin. An Befreiung habe ich überhaupt nicht gedacht. Besiegt waren wir natürlich, ja selbstverständlich, aber mit Befreiung hatte das nichts zu tun."
Fest widmete sich der historischen Aufarbeitung
Nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft ging Joachim Fest nach Freiburg. Er hatte sein Lebensthema gefunden: die historische Erforschung und publizistische Aufarbeitung des Dritten Reiches und der Rolle, die Adolf Hitler und andere Nazi-Größen gespielt hatten. Verantwortung ist für Joachim Fest das Wort, das die Beziehung der Deutschen zur Nazizeit kennzeichnet.

"In den Menschen steckt das Böse. Das ist im Grunde genommen Hitlers und auch Stalins und Pol Pots und wessen auch immer nicht angenommenes Vermächtnis, das verweigerte Vermächtnis des 20. Jahrhunderts: dass wir alle immer noch glauben, der Mensch sei gut, man müsse ihn nur auf die richtige Weise erziehen, man müsse ihm soziale und wirtschaftliche Benachteiligungen ersparen, wenn man ihm halbwegs zureichende Verhältnisse verschaffe - der ganze Sozialstaat, die Sozialstaatsideologie beruht darauf - dann sei auch der Mensch gut. Nichts ist falscher und törichter als dies."