Archiv


Puccinis Unvollendete

Als Giacomo Puccini 1921 mit der Komposition seiner zwölften und letzten Oper "Turandot" begann, war er schon schwer krank. Drei Jahre später starb er in einer Brüsseler Klinik nach einer erfolglosen Kehlkopfoperation. Seine letzte Oper, die kompositorisch reifste und komplexeste, blieb unvollendet. Am 25. April 1926 wurde sie in der Mailänder Scala uraufgeführt.

Von Dietmar Polaczek |
    In Giacomo Puccinis letzter Oper geht es um die drei wichtigsten Dinge: um Macht, um Tod und um Liebe. Als "Turandot" am 25. April 1926 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde, war der Komponist schon fast anderthalb Jahre tot, unter unsäglichen Schmerzen seinem Kehlkopfkrebs erlegen. Von den realistischen Stoffen seines Opernschaffens hatte er sich abgewandt, um bis zuletzt an der Vertonung des Märchens von Carlo Gozzi zu arbeiten, das ein altes Motiv aufgreift. Die Schlüsselszene: Der Fremde muss drei Rätsel lösen oder sterben. Die Lösung des dritten Rätsels ist Turandot selber, die scheinbar liebesunfähige chinesische Prinzessin.

    Den eigentlichen Höhepunkt der Oper, die Erlösung der Turandot aus ihrer unmenschlichen Eiseskälte durch die Liebe, hat Puccini nie geschrieben, nur geplant:
    "Ein großes Duett. Die zwei Wesen, fast aus der Welt, werden durch die Liebe zu Menschen, und diese Liebe muss am Ende alle auf der Bühne in einem großen Orchesterschluss ergreifen."

    Diesen Schluss hat der Mitarbeiter Franco Alfano nach Puccinis Skizzen erst 1926 fertiggestellt. Puccini war sich über seine tödliche Krankheit im Klaren. Wenige Wochen, bevor er starb, soll er gesagt haben:

    "Die Oper wird unvollständig aufgeführt werden, und dann wird jemand an die Rampe treten und sagen: An dieser Stelle ist der Maestro gestorben."

    In der Tat: Als Arturo Toscanini die Uraufführung dirigierte, brach er ab, unmittelbar nachdem sich die Sklavin Liù aus Liebe geopfert hat, und wandte sich mit belegter Stimme ans Publikum:

    "Hier endet die Oper, weil an dieser Stelle der Maestro gestorben ist."

    70 Jahre nach dem Tod erlöschen die Autorenrechte - aber erst, nachdem alle Mitautoren gestorben sind. Die meisten Opern Puccinis sind urheberrechtlich frei. Am Libretto der "Turandot" arbeitete neben Giuseppe Adami noch der Chinakenner Renato Simoni mit, der 1952 starb. Somit verfallen die Rechte an diesem immer häufiger gespielten Werk erst 2022, zur Freude des Verlags Ricordi und der Erben. Luciano Berio hat im Auftrag des Verlags eine neue Fassung des Schlussakts hergestellt, die 2002 in Los Angeles uraufgeführt wurde und den Urheberrechtsschutz weiter verlängert.

    Anfangs wurde das Werk mit Respekt, aber kühl aufgenommen. Der "Corriere della Sera" schreibt am 27. April 1926 :

    "Ein bewegender Augenblick des Abends, der sich nicht wiederholen wird, wenn bei der zweiten Aufführung das letzte Duett und das kurze Schlussbild hinzugefügt werden, wovon Puccini die Musik nur skizziert hat. Doch ein Moment, der mit dem Schlusstakt in Moll das Gefühl einer schmerzlichen Wirklichkeit vermittelte, während die Tonart des Erfolgs der Oper sich konstant in Dur bewegte. Denn ein ernsthafter Erfolg war es, ohne Übertreibungen oder unangebracht forcierten Applaus, von wem auch immer."

    Der Regierungschef Benito Mussolini war zur Uraufführung eingeladen worden, und Toscanini hätte darum zu Beginn die "Giovinezza", die faschistische Hymne dirigieren müssen. Doch Toscanini blieb hart:

    "Entweder ich oder die Hymne!"

    Die Scala war mutig: Sie entschied sich für Toscanini. Der beleidigte Mussolini kam nicht. Die Zeitungen druckten eine Propagandamitteilung des "Minculpop", des Ministero della Cultura Popolare, um seine Abwesenheit zu erklären:

    "Das fehlende Auftreten des Duce verdankt sich einer ausgesucht feinfühligen Überlegung. Er wollte vermeiden, dass die obligaten, unvermeidlichen Bekundungen der Verehrung für seine Person die Strenge des Abends beeinträchtigen könnten, an dem alle Verehrung dem verblichenen Maestro gebührte."

    Toscanini siegte. Heute ist die beste der anderthalb Dutzend Gesamtaufnahmen der Oper wohl die von 1972 unter Leitung Zubin Mehtas. Und "Nessun dorma" (Keiner schlafe!), die Arie des Prinzen Calaf, der Turandots Rätsel löst, ist zu einem der bekanntesten Stücke Puccinis geworden. Erfolgsgewiss singt Luciano Pavarotti: "Vincerò, ich werde siegen!"