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Pulque - das Bier der Indios

Die weißliche Flüssigkeit glitscht in die Gläser. Pulque heißt das Getränk, welches der Wirt José Alvaro ständig aus dem großen Fass hinter dem Tresen schöpft. Pulque ist das Bier der Indios – der armen Landbevölkerung von Mexiko. Ausgeschenkt wird der gegorene Agaven-Saft in sogenannten Pulquerias. Nur in den Spezial-Kneipen bekommt man das Getränk und außer Pulque gibt es hier auch nichts anderes, so José Alvro:

Von Markus Frenzel | 27.12.2004
    Das ist das traditionelle Getränk Mexikos. Die Leute kommen dafür von überall her. Aus den verschiedenen Stadtteilen. Vom Banker bis zum Fabrikarbeiter.

    Es war nicht leicht, die Pulqueria zu finden. In ganz Mexiko-Stadt – einem Moloch von 25 Millionen-Menschen – gibt es noch ungefähr 60 solcher Orte. Die Zahl ist rapide gesunden. Anfang des 20. Jahrhunderts waren es noch 3000 Kneipen. In den 1970er Jahren immerhin noch etwa 1000. Wenn es so weiter geht wird es bald überhaupt keine mehr geben. Unsere Pulqueria liegt im Zentrum von Mexiko-Stadt. Die Wände sind mit weiß-blauen Kacheln gefliest. In einer Ecke steht ein Fernseher. An den drei Plastiktischen sitzt ein halbes Dutzend älterer Männer. Der 54-jährige Jorge Tino Cornandes wohnt gleich um die Ecke.

    Der Pulque ist wirklich ein 100 Prozent natürliches Getränk. Er hat eine aphrodisierende Wirkung. Seit 25 Jahren trinke ich fast jeden Tag nach dem Essen einen halben Liter Pulque. Ich mag ihn lieber als irgendwas anderes. Wir haben wirklich Glück, dass wir Pulque trinken dürfen.

    Pulque ist eines der ältesten Getränke der Menschheit. Schon im 12. Jahrhundert haben die Azteken aus dem Saft der Maguey-Pflanze – einer Unterart der Agave – ein alkoholisches Getränk gebraut. Allerdings durften nur die hohen Priester Pulque trinken. Mit dem Vorläufer des Biers hielten sie sich in Trance während ihrer Gebete – und auch der kultischen Menschenopfer. Bis die europäischen Eroberer kamen.
    Eigentlich galt Pulque als Getränk der mexikanischen Elite. Nach der Eroberung brachten die Spanier Wein mit. Aber die Leute tranken weiter Pulque. Wein ließ sich nicht verkaufen. Daher versuchten die Spanier alles, was mit der Maguey-Pflanze und mit Pulque zu tun hat, zu zerstören. Es war ein Wirtschaftskrieg. Später kam dann noch die Bierindustrie nach Mexiko. Die Industriebosse versuchten das gleiche wie die Spanier. Sie starteten eine Propaganda-Schlacht für ihr Bier. Pulque wurde also immer bekämpft.

    Everardo Gonzalez hat vor kurzem einen Dokumentar-Film über Pulque abgeschlossen. Dafür hat er sich tief in die Geschichte des traditionellen Getränks eingearbeitet. Pulque habe sich – trotz der großen Widerstände – bis in die Zeiten der mexikanischen Revolution als Nationalgetränk behaupten können. Reiche Gutsherren produzierten auf großen Haziendas Hunderte Liter Pulque täglich. Erst die globalisierte Wirtschaft drängt das Getränk immer mehr vom Markt und aus den Kneipen.

    Pulque kann man nicht exportieren. Das liegt an dem Gärprozess. Man kann das Getränk nicht in Dosen abfüllen. Es ist ein lebendes Getränk. Wenn man Pulque trinkt, dann gärt es im Magen weiter. Die Dosen würden also explodieren. Es passt nicht mit dem Kapitalismus zusammen. Man kann Pulque einfach nicht am Fließband herstellen.

    Für seinen Film hat Gonzalez ein Jahr lang in der Pulqueria La Pirata im Stadtteil Escandón gedreht. Für ihn ist Pulque auf das Engste mit dem Schicksal des mexikanischen Volkes verbunden. Getrunken wird das 4- bis 8-prozentige Bier gerade von der armen Landbevölkerung, welche auf der Suche nach einem besseren Leben aus den Provinzen in die Stadt strömt.

    Wenn die Leute vom Land in die Stadt kommen, dann brauchen sie etwas, das sie an ihre Wurzeln erinnert. Pulquerias sind genau das. Sie sind wichtig für die Leute aus den Tälern und den Regionen außerhalb von Mexiko-Stadt. Dort finden sie das gleiche Getränk wie in ihren Dörfern – und die gleichen Leute wie in ihren Dörfern.

    Pulque zu produzieren ist teuer. Zehn Jahre dauert es, bis eine Maguey-Pflanze ihren ersten Saft abgeben kann. Dann muss ein Landarbeiter – der sogenannte Tlachiquero – zweimal täglich die Pflanze anritzen, damit sie Flüssigkeit abgibt. An den Blättern rinnt dann das sogenannte
    Aguamiel herab und sammelt sich im Pflanzeninneren. Der Tlachiquero schöpft es heraus und bringt es zum Gären in ein spezielles Gebäude. Dort wird das Aguamiel in tiefe Gruben geschüttet. Nach einigen Tagen ist der Saft durchgegoren und kann in die Städte gefahren werden. Prinzipiell keine besonders aufwändige Methode – allerdings eine zeit- und arbeitsintensive. Und bei einem Literpreis von gerade ein paar Pesos – weniger als ein Euro – nicht sonderlich lohnenswert.

    Die Maguey-Pflanze stirbt aus. Und als Folge wird es keinen Pulque mehr geben, und natürlich auch keine Pulquerias mehr. Es ist egal, ob es noch zwei, drei oder vier Jahre dauert. In zehn Jahren werde ich meinen Kindern diese Kultur nicht mehr zeigen können. Das ist das Schlimme.

    Es ist zehn Uhr abends. Wirt José Alvaro schließt seine Pulqueria. Die Gäste haben ordentlich gebechert.

    Man muss Pulque zum richtigen Zeitpunkt trinken. Sonst könnte es sein, dass er in deinem Magen weitergärt. Er ist einfach sehr lecker. Das Wichtigste ist, dass der Pulque stark ist. Damit man die Wirkung des Pulque auch spürt. Und damit die Gärung ihre volle Wirkung entfalten kann.