
Kaum hat Punch seinem Baby ein Wiegenlied gesungen, da gehen auch schon seine sadistischen Triebe mit ihm durch: Das Baby landet erst im Kochtopf und dann im Ofen. Auch vor Vorstellungsbeginn scheint die Baby-Puppe schon einiges mitgemacht zu haben im verlotterten Haushalt von Punch und seiner Ehefrau Judy, denn es fehlen ihr zwei Arme.
Bei der Uraufführung 1968 in Aldeburgh sorgte der abendfüllende Opernerstling von Harrison Birtwistle für einen handfesten Skandal. Und auch der Abend in der Werkstattbühne der Staatsoper ist nichts für die feinfühlenden Ästheten unter den Opernliebhabern - denn das Totschlagen geht nach dieser Eröffnungsszene bis zum Ende in Monty-Python-artiger Drastik weiter. Birtwistle und sein Librettist Stephen Pruslin haben für ihr Werk die englische Tradition der "Punch and Judy Shows" - eine brutale Variante des Kasperletheaters - aufgegriffen und zu einem anarchischen "Theater der Grausamkeit" geformt.
Im Untertitel haben sie ihr Werk eine "tragische Komödie oder eine komische Tragödie" genannt. Dem Regisseur Derek Gimpel ist es gelungen, der Ambivalenz dieses Unternehmens tatsächlich gerecht zu werden. Die bewusst holzschnitthaft und antipsychologisch konzipierten Figuren werden weder im Sinne der Tragödie sentimentalisiert, noch bleibt die Inszenierung der Komödie ihre bis an die Grenze des Zynismus reichende Schwärze schuldig. Gimpel folgt eher der sehr britischen Tradition eines slapstickhaften Lavierens zwischen Nonsense und dem im wahrsten Wortsinn entblößenden Blick in die menschlichen Abgründe: Seine Figuren tragen Pappnasen und Unterhosen, sind von einer kindlich entfesselten Lust an der Perversion angetrieben und jederzeit bereit, einander mit Äxten, Messern oder Hämmern zu traktieren.
Mitglieder des Opernstudios: Fabelhaftes Niveau
Es ist der Klang von Jahrmarkt und Gosse, die Birtwistle höchst kraftvoll in seiner Musik auf die Spitze getrieben hat. Die Form ist kaleidoskopisch in knapp 100 schlaglichtartige Einzelnummern gegliedert, die jedoch in variierter Weise immer wiederkehren und so surreale Déjà-vu-Erlebnisse suggerieren. Nebenbei jongliert Birtwistle auch mit Stilanleihen quer durch die Musikgeschichte. Die Drastik der grellen instrumentalen Gesten und die bisweilen schier brüskierende Unmittelbarkeit dieser Musik liegen bei den Mitgliedern der Staatskapelle Berlin und der Orchesterakademie der Staatsoper unter Christopher Moulds Leitung in den besten Händen.
Alles dreht sich um die unendliche Geschichte von Punch, der serienweise mordet, was sich ihm in den Weg stellt, gleichzeitig aber von tiefer Liebe zu der von ferne angebeteten Polly angetrieben wird. Mal wird er gekrönt und mal zum Tode verurteilt. Albträume plagen ihn, Hexen und Wahrsagerinnen rücken ihm auf die Pelle. Am Ende kann er der Hinrichtung durch einen Trick entgehen. In einer Apotheose - die bei Gimpel allerdings in der Hölle spielt - erhört ihn schließlich seine geliebte Polly. Richard Suart singt und spielt diesen bösen Bruder von Strawinskys "Petruschka" bis in die feinsten Abtönungen der Anzüglichkeit und der Aggressivität hinein mit großartiger stimmlicher wie darstellerischer Präsenz. Aber auch das fabelhafte Niveau der Mitglieder des Opernstudios in weiteren Rollen trägt zum Gelingen dieser Premiere bei.