Mittwoch, 17. April 2024

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Punk in der Elbphilharmonie
Ein Haus für alle?

Für Gegenkultur, gegen das Establishment. Das ist immer noch das Image der "Einstürzenden Neubauten" aus Berlin. Am Samstag hat die experimentelle Punkrockband um Sänger Blixa Bargeld das erste Popkonzert in der Hamburger Elbphilharmonie gespielt.

Juliane Reil im Interview mit Marietta Schwarz | 23.01.2017
    Die Band "Einstürzende Neubauten" mit Sänger Blixa Bargeld spielen am 21.01.2017 im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg.
    Die Band "Einstürzende Neubauten" mit Sänger Blixa Bargeld spielen am 21.01.2017 im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg. (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Marietta Schwarz: Anfang der 80er Jahre wurden die 'Einstürzenden Neubauten' als Bürgerschreck und Protestband bekannt. Mit Presslufthammer, Bohrmaschine und Stahlplatten improvisierten sie um Frontmann und Sänger Blixa Bargeld brachiale Klangcollagen und wurden damit auch im Ausland bekannt. Viel Zeit ist seither vergangen und wie so viele andere Künstler haben es auch die Einstürzenden Neubauten von der Punk-Szene in die bürgerliche Kunstwelt geschafft. Dafür steht auch ihr vorgestriges Konzert in der frisch eröffneten Hamburger Elbphilharmonie, das Juliane Reil für uns besucht hat. Haben sich, Juliane Reil, Blixa Bargeld & Co denn von der Noblesse der Elbphilharmonie beeindrucken lassen?
    Juliane Reil: Ja ich würde sagen, sie haben sich beeindrucken lassen. Auf der anderen Seite sind sie selber sehr elegant und haben eine gewisse Noblesse. Sechs Gentlemen standen da am Samstag auf der Bühne, alle dunkel, teilweise im edlen Zwirn gekleidet. Allein Alexander Hacke, der Bassist der Band, der fiel dezent sympathisch aus dem Rahmen: Barfuß, langes Haar, Walrossbart und das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft. Das war so der erste Rocker, den wir auf der Elbphilharmoniebühne sehen konnten. Dagegen hat Blixa Bargeld fast etwas zugeknöpft gewirkt in seinem schwarzen Anzug, aber natürlich, wie in den letzten Jahren, der elegante Dandy, der ziemlich gut aufgelegt war am Samstagabend. Er begrüßte das Publikum humorvoll mit den Worten "das Ensemble, die Einstürzenden Neubauten, würde Werke aus dem letzten Jahrhundert spielen, und zwar auf historischen Instrumenten".
    Unkonventionelles Schlagwerk
    Schwarz: Ha. Historische Instrumente, damit hat er vermutlich nicht Gambe und Cembalo gemeint oder?
    Reil: Nein, damit hat er Bassgitarre, Keyboard und natürlich, wie sollte es anders sein, das unkonventionelle Schlagwerk der Einstürzenden Neubauten gemeint - ein großer, blauer Plastikkanister stand da zum Beispiel auf der Bühne, rotierende Sägeblätter, Stahlrohre, die aussahen wie Orgelpfeifen und eine erhöhte Blechwanne, aus der dann während des Konzertes auf einmal hunderte Metallstäben zu Boden krachten.
    Schwarz: Ja. "Höre mit Schmerzen" war mal so ein erklärtes Motto der Band aus Anfangstagen. Tat dieses erste elektrisch verstärkte Konzert in der Elbphilharmonie wirklich weh?
    Reil: Nein, das tat nicht weh. Am Anfang des Konzertes, am Eingang, wurden Ohrstöpsel verteilt. Ich hab meine allerdings im Parkett vor der Band gar nicht gebraucht. Die Neubauten sind mit den Jahren leiser geworden, das war so mein Eindruck. Ihr Konzertprogramm, das war ein Konzertprogramm von Stücken aus den letzten 30 Jahren, die mit der Zeit einfach immer ausgeklügelter geworden sind. Und diese Feinheiten, die wurden dann auch in diesem Konzertraum sehr genau hörbar gemacht. Mir kam das so vor, als ob die Musik wirklich wie ein Filetstück vor uns zelebriert und gleichzeitig seziert wird. Blixa Bargeld, der aus dem Stand auf einmal in ohrenbetäubender Höhe kreischt und dann im nächsten Moment in einer tiefen Sprechstimme beinah flüstert, ein spannendes Hörerlebnis für mich in diesem Raum. Und diese spezifische Akustik dieses Raums, sie war anscheinend auch ein ausschlaggebendes Argument für die Einstürzenden Neubauten, dort in der Elbphilharmonie überhaupt zu spielen. Das sagte mir der Bassist der Band, Alexander Hacke, vor dem Konzert:
    Alexander Hacke: Neben unserer Tätigkeit als Entertainer sind wir ja auch Forscher. Es ist natürlich interessant für uns, diesen Raum zu bespielen, als erste. Was für uns halt interessant ist, ist, dass wir die ersten sind, die mit einer Beschallungsanlage, mit einer P.A. dieser Art in dem Raum da arbeiten werden.
    Reil: Und eine zusätzliche Herausforderung dieses Raums, das ist ganz einfach, dass, anders als bei einem herkömmlichen Konzert, das Publikum nicht einfach frontal, sondern in 360 Grad um die Band herumsitzt, also quasi wie im Amphitheater.
    Subtile Subversion
    Schwarz: Die Elbphilharmonie will ja ein Haus für alle sein, was, wenn man sich das Programm genauer anschaut bedeutet, sie will ein möglichst breites Publikum abholen. Da fragt man sich natürlich, wie viel Subversionen von den Einstürzenden Neubauten überhaupt noch übrig bleiben kann.
    Reil: Tja. Also wenn Subversion da war, dann war die ziemlich subtil eingesetzt. Blixa Bargeld hat sich irgendwann in der Mitte des Konzertes demonstrativ eine Zigarette vor dem Mikrofon angezündet, und das war wirklich der Moment im Saal, in dem das Publikum mal kurz die Luft angehalten hat. Aber tatsächlich war dieses Zigarette-Anzünden nur Teil der Inszenierung eines Songs, leider, wie ich sagen würde. Denn insgesamt war ich enttäuscht, dass sich die Band so kommentarlos in diesen Rahmen der Elbphilharmonie eingefügt hat. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass die Einstürzenden Neubauten seit Ende der 80er-Jahre auch im Theater spielen, wie sie eingangs sagten, die bürgerliche Kunstszene. Das ist nichts Neues für sie. Und die Elbphilharmonie, die bringt nun mal im Gegensatz zu anderen Orten in Hamburg zwei wichtige Voraussetzungen für eine solche Band mit: Die akustischen Möglichkeiten und die Kapazität, nämlich 2100 Plätze, die am Samstag zweimal für zwei Konzerte ausverkauft war.
    Schwarz: Juliane Reil über das Konzert der Einstürzenden Neubauten am Samstag in der Hamburger Elbphilharmonie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.