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Punkband Slime kehrt mit Vertonungen Erich Mühsams zurück

Die Punkrocker von Slime lieferten lange den Soundtrack zur linken Protestkultur. Von Vielen wurden sie auch als legitime Nachfolger der Band Ton, Steine, Scherben gefeiert. Mehrmals hat sich die Band aufgelöst. Nun gibt es ein neues Album nach 18 Jahren mit Texten von Erich Mühsam.

Von Dirk Schneider | 23.06.2012
    Der Schriftsteller Erich Mühsamden wurde 1878 in Berlin geboren.
    Der Schriftsteller Erich Mühsamden wurde 1878 in Berlin geboren. (picture alliance / dpa)
    Wovon singt man im Jahr 2012 als politische Punkband? Wenn man einen Ruf als linker Parolengeber zu behaupten hat, aber der bisher maßgebliche Texter, Schlagzeuger Stephan Mahler, nicht mehr mit von der Partie ist?

    Slime waren schlau und bedienten sich bei einem alten Gewährsmann: dem Schriftsteller und Anarchisten Erich Mühsam. ein Querdenker, der in keiner der politischen Strömungen seiner Zeit wirklich zuhause war und der 1934 von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

    "Für ihn war wichtig, neben der politischen Ideologie, der Mensch. Als fühlendes Wesen im Mittelpunkt. Das war ihm wichtig und das war der Grundgedanke der Freiheit, und darauf aufbauend auch der Gedanke der Freiheit in der Gesellschaft. Und das ist natürlich, das weiß man heute auch, erstmal ein unlösbares Problem, das überhaupt so zu schaffen. Aber das hat ihn für uns einfach so sympathisch gemacht."

    Erklärt Christian Mevs, einer der beiden Gitarristen. 13 von 14 Liedtexten auf dem neuen Slime-Album "Sich fügen heißt Lügen" stammen von Erich Mühsam. In seinem Werk aktuelle politische Bezüge zu finden, war offenbar nicht schwer.

    Und die alte Kraft von Gitarren, Schlagzeug und Gesang scheint bei Slime ungebrochen – was die Band selbst erst entdeckt hat, als sie sich 2010, zum 30-jährigen Gründungsjubiläum, noch einmal für eine Tour zusammenfand, wie Michael "Elf" Mayer, ebenfalls an der Gitarre, erzählt:

    "Im Grunde war das, sodass wir selbst so viel Spaß daran hatten und auch gemerkt haben, dass wir immer noch eine Relevanz haben, auch für junge Leute. Davon waren da eine ganze Menge. Und dass die das immer noch interessiert, das hat uns natürlich auch schwer begeistert."

    Junge Kollegen wie Absolute Beginner haben schon Slime zitiert, die Band Deichkind hat kürzlich zu gemeinsamen Aufnahmen eingeladen. Natürlich sind Slime für viele junge und alte Fans eine lebende Legende, auch dank Songs wie "Polizei SA/SS" und "Wir wollen keine Bullenschweine". Die landeten in den 80ern auf dem Index, und sind immer noch skandalträchtig: Vor einem Jahr mussten Slime vor einem Konzert in Jena bei der Polizei unterschreiben, dass sie die indizierten Stücke nicht live spielen würden.

    "Sonst hätten wir eine Anzeige zu erwarten wegen dem, was in den Texten vielleicht drin liegt: Volksverhetzung, Aufruf zur Gewalt. Wir konnten nichts anderes machen, als das zu unterschreiben."

    Dabei hängt die Band, anders als wohl viele ihrer Fans, längst nicht mehr an diesen Liedern:

    "Die Songs sind auch schon älter. Das sind die ältesten Songs."

    "79, 80 geschrieben, da waren wir 16 Jahre alt. Also ich habe die beiden Texte geschrieben und so was würden wir heute natürlich in keinster Weise noch mal machen. Also letztendlich ist es eine Provokation, das gehört zu Punk dazu, dass man versucht, die bürgerliche Gesellschaft, die Staatsorgane auch einfach mal krass zu provozieren."

    Provokativ sind Erich Mühsams Texte nicht. Freiheit ist das durchgängige Thema, und die sieht hier natürlich etwas anders aus als in den Reden von Joachim Gauck.

    Mühsams Worte passen gut zu den harten Gitarrenakkorden und Dirk Joras kraftvollem Gesang. Und tatsächlich darf gerade diese Band auch von Freiheit singen: Mehrmals haben sich Slime aufgelöst, um nicht in eine Verwertungsmaschinerie zu rutschen, der sich auch eine erfolgreiche Punkband nicht entziehen kann. Davon, alternde Profiteure ihres eigenen Legendenstatus zu sein, sind sie weit entfernt. Den Staub von 100 Jahren aber, der hörbar auf Mühsams Versen liegt, können auch Slime nicht abschütteln. So gültig diese Texte auch heute noch sind, sie klingen wie politische Rhetorik von Urgroßvaters Dachboden. Den Soundtrack zu einer aktuellen Bewegung wie Occupy werden Slime damit kaum liefern.