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Punkt, Punkt, Komma, Strich

Nicht nur die Dinge, auch unsere Verkehrsformen, die Kommunikation sind Design, unterliegen Moden, Konventionen, Einflüssen. Einer, der wesentlich an der Gestaltung unserer Zeichenwelt, industrieller Logos und Gebrauchsgrafik mitwirkte, war Anton Stankowski. Die Stuttgarter Staatsgalerie zeigt sein Werk.

Von Christian Gampert |
    Wenige Künstler haben jenen Gipfel der Bekanntheit erklommen, wo mit einem Namen wie selbstverständlich ein Werk assoziiert wird. Man denkt bei solchen Gelegenheiten gern an "Das letzte Abendmahl", die Mona Lisa oder "Les Demoiselles d’Avignon".

    Kriminalistisch ergiebiger sind natürlich jene Künstler, deren Werk im Alltag ständig präsent ist, deren Name aber dahinter verschwindet. Dass das einprägsame Logo der Deutschen Bank, ein blaues Quadrat mit schrägem Balken, von Anton Stankowski stammt, wird selbst den Bank-Mitarbeitern nur in Ausnahmefällen bekannt sein. Auch jener simple Kreis, der einen stilisierten Fernsehturm umschließt, jahrelang das Wahrzeichen des inzwischen wegfusionierten Süddeutschen Rundfunks, wurde von Stankowski entworfen. Das große "S" der Sparkasse mit der darüber schwebenden Münze, der von einem Querstreifen überdachte Schriftzug des Versicherungsunternehmens "Iduna" - alles von ihm.

    Kurz: in der Welt der Werbegrafik und sogenannten visuellen Kommunikation ist der erst 1998 verstorbene Stankowski ein Superstar, und es ist folgerichtig, dass man ihm zum 100.Geburtstag nun den roten Teppich ausrollt. Denn Stankowski war ein genialer Vereinfacher, Versachlicher, Verdichter. Informationsvermittlung durch radikale Reduktion auf eine wesentliche grafische Aussage. Dieses Credo modernen Werbedesigns wird zwar mittlerweile (am Computer) vielen flachen und fragwürdigen Zwecken dienstbar gemacht; aber an Stankowskis Werk lässt sich wunderbar studieren, wie sehr unser Alltag von der künstlerischen Avantgarde des letzten Jahrhunderts geprägt ist, wie stark das Bauhaus und die Konkrete Kunst heute in jedem Verkehrsleitsystem, jeder Firmenpräsentation, jedem öffentlichen Gebäude stecken.

    Stankowskis Zauberformel war die Schräge: schon in seinen frühen Fotos aus den zwanziger Jahren ist dieses dynamisierende Stilmittel allpräsent, paradigmatisch im berühmten "Zeitprotokoll im Auto": eine fahrende, also in der längeren Belichtungszeit verwischt erscheinende Luxuslimousine strebt diagonal aus dem Bild heraus, vorbei an einem statuarisch stehenden Verkehrspolizisten. Viel später hat der Schweizer Fotograf René Burri diese Manier perfektioniert, die Welt von oben quasi soziographisch in Schattenrisse aufzufächern. Bei Stankowski aber gerannen die in der fotografischen Aufsicht gewonnenen Erkenntnisse zu Zeichen, Symbolen, grafischen Elementen, die immer neu zu immer anderen Zwecken angeordnet werden konnten.

    Der aus Gelsenkirchen stammende, nach einer Glasmalerlehre an der Folkwangschule ausgebildete Stankowski ging 1929 zu der Züricher Werbe-Agentur Max Dalang und entwickelte dort ein visuelles Vokabular, ein Konzept, mit dem er die zu preisenden Gegenstände als einsame Ikonen im leeren Raum inszenierte, kommentiert von wenigen Schriftzeilen in der für ihn "heiligen", klaren Akzidenz-Typographie. Mit dieser Methode setzte er nicht nur die Vorzüge von Karteikästen und Bürostühlen ins Bild, sondern blies auch die Speichen eines Fahrrads in der Untersicht zu kraftvoller, industrieller, konstruktivistischer Wucht auf. Er erklärte visuell die Arbeitsgänge des Bierbrauens oder argumentierte per Luftaufnahme mit der schieren Größe von Fabrikanlagen. Er ließ Schweizer Hausfrauen sich freudig erregt über ins Bild geschnittene, schwebende Suppenwürfel beugen. Dass Stankowski gleichzeitig auf Fotogrammen quasi mit Röntgenaugen Mücken und Stecknadeln untersuchte oder auf seinen Fotos "Spuren im Schnee" verfolgte, ist kein Widerspruch: bei allem interessierte ihn die Geometrie menschlichen Daseins, ein übergeordnetes Prinzip, in dem das Chaos der Gesellschaft sich ordnen, sich in eine Aussage bringen ließ.

    Die von Ulrike Gauss kuratierte Stuttgarter Ausstellung bändigt die Vielfalt dieses Werks erstaunlich gut, sie lässt Fotogramme und Gebrauchskunst in Dia-Projektionen durchlaufen, zeigt aber auch Plastik, Skizzenbücher, Plakate, sie holt Buchkunst aus ausziehbaren Tischen und präsentiert die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Farbfeldmalerei. Stankowski hat viele Jahre durch Kriegsdienst und Gefangenschaft verloren, er fing in den 50iger Jahren in Stuttgart als Fotoreporter und Illustrierten-Redakteur ganz neu an. Wie Farben und Formen sich in- und gegeneinander verhalten, sich überlappen und kombinatorisch ergänzen, Dreiklänge und Synästhesien bilden, sich seriell verwerten lassen, das hat Stankowski mit quasi naturwissenschaftlicher Präzision untersucht. Und wer durch diese Ausstellung geht, geht auch durch seine eigene Geschichte: noch jede Berlin-Broschüre der sechziger und siebziger Jahre, die man als Schüler bei der obligaten Fahrt in die geteilte Stadt überreicht bekam, wurde gestaltet von - Anton Stankowski.