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Puppen-Körper-Automaten

Durchforstet man das ausgehende 20. Jahrhundert nach seinen medienwirksamen Symptomen, so stößt man im wesentlichen auf zwei - Sexualität und Gewalt, oder, etwas vornehmer ausgedruckt: Eros und Thanatos. Auf überaus fruchtbaren Boden fielen diese Phänomene bei den Surrealisten. Sie spielen denn auch die Hauptrolle in dem Buch "Puppen Körper Automaten", das die Düsseldorfer Kuratorin Pia Müller-Tamm gemeinsam mit der Bochumer Kunsthistorikerin Katharina Sykora, herausgegeben hat.

Georg Imdahl |
    "Das sind", erläutert Müller-Tamm "zwei Ebenen, die dauerhaft zusammenkommen, wo immer Künstler sich mit künstlichen Wesen, mit hybriden Wesen auseinandersetzen, das Zerstückeln des Körpers, das Wiederzusammensetzen des Körpers, die Aufladung mit sexuellen Inhalten, das sind zwei Themen, die absolut zentral sind."

    Das umfangreiche Kompendium stellt eine Fundgrube dar für ein Motiv, das sich hartnäckig durch die Kunst des gesamten Jahrhunderts zieht. Anders als die Ausstellung, die sich auf die erste Jahrhunderthälfte beschränkt, geht das Buch auch auf die Gegenwart ein.

    "Das war uns sehr wichtig", erläutert Muller-Tamm, "dass wir diesen Blick in die Gegenwart tun, so wie wir das Thema auch in unserem Katalog historisch fundiert haben. Wir wollten im Katalog keinesfalls nur einen komprimierten Leitfaden zur Ausstellung liefern, sondern wir wollten es durchaus in dem ihm angemessenen größeren Rahmen darstellen. Aus diesem Grund haben wir zum einen den Essays innerhalb des Kataloges mehrere Bildpassagen vorangestellt; es ist im Grunde ein Musée imaginaire der hybriden Körper, bei denen unter zehn verschiedenen inhaltlichen Gesichtspunkten Bilder sehr bewusst hart gegeneinander gesetzt sind, so dass sich das Hohe und das Niedrige, das Skurrile und das Bizarre zum Thema treffen."

    Liest man all die Beiträge etwa über die Zukunftsvisionen der russischen Avantgarde, über "Prothesenkörper, Maschinenherzen und Automatenhime" oder über den Weg "vom konstruierten zum liquiden Körper", so werden drei Konzepte erkennbar, mit denen sich die Künstler an die Puppe heranmachen. Dazu Müller-Tamm:

    "Der erste Zugriff wäre ein solcher, an deren Anfang der menschliche Körper steht, aber am Ende eines langwierigen Prozesses der künstlerischen Stilisierung, der Typisierung, der Abstrahierung, der Formalisierung, so dass schließlich die Puppe als Kunstfonn in Erscheinung tritt. Der exemplarische Fall hierfür ist Oskar Schlemmer, der sein gesamtes Werk der Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur gewidmet hat und die er unter dem Gesichtspunkt ihrer Verpuppung oder ihrer Marionettenhaftigkeit zum Thema macht."

    Damit bezog sich Schlemmer auf die romantischen Vorstellungen eines Heinrich Kleist, der in der Marionette ein Inbild der Grazie erblickte. Innerhalb der Avantgarden zwanziger Jahre ist Schlemmers Rückwendung zur Romantik ein ungewöhnlicher, ja einmaliger Fall.

    "Die zweite Umgangsform", erläutert Müller-Tamm, "würde ich so charakterisieren: Am Anfang des künstlerischen Werkprozesses steht die Puppe, und sie wird vom Künstler aus einem nichtkünstlerischen Zusammenhang adoptiert und in einen neuen Kontext übertragen. Da war der exemplarische Fall dwe "Exposition Internationale du Surralisme" in Paris, bei der eben Mannequins aus ihrem Zusammenhang in den Kunstkontext übertragen und eingekleidet wurden."

    Diese spektakuläre Ausstellung von 1938 rekonstruiert Elena Filipova in einem überaus lesenswerten Beitrag. Er macht deutlich, welch wirbelnden Furor die Surrealisten auf dem Höhepunkt ihres Schaffens entfachten.

    "Als dritten Fall", fährt Müller-Tamm fort, "würde ich den Fall Hans Bellmer nennen wollen, ein Künstler, der sich sein ganzes Leben lang obsessiv mit der Puppe auseinandergesetzt hat und zur Hauptfigur seiner fotografischen Inseznierungen gemacht hat. Ein Künstler, der die magisch-animistische Seite der Puppe voll und ganz ausgelotet hat und im Grunde die Puppe zu einem Teil seines panerotischen Universums gemacht hat."

    Den skurrilen Fall einer ebenso beispielhaften wie tragischen Verbindung von Kunst und Leben, den das Jahrhundert so markant auf seine Fahnen geschrieben hat, beschreibt Beate Söntgen in ihrem Beitrag zu Oskar Kokoschka und seiner Liebe zu Alma Mahler-Werfel. Der F,xpressionist konnte das Scheitern seiner Liebe nicht überwinden und ließ sich 1918 ein Modell von der Geliebten anfertigen. Allerdings:

    "Kokoschka war tief deprimiert, als er eine große Kiste öffnete und ein Fetzenbündel, das ihn mehr an einen Bettvorleger erinnert hat an als Alma MahlerWerfel, vor sich hatte. Und Kokoschka tut genau das, was ein Künstler von hohen Graden tut in einer solchen Situation. Er verlebendigt dieses tote Puppenwesen in seiner Kunst und ersetzt im Grunde den Fetisch Puppe durch den Fetisch Malerei."

    Wie sich die Simulation des Körpers, die Kokoschka so wenig befriedigte, in der Gegenwart zu einem fragwürdigen Paradigtna entwickelt hat, schildert Karlheinz Lüdeking. Lüdeking geht von der These aus, dass der Körper in der zeitgenössischen Kunst kaum mehr darstellt als eine kodierte Oberfläche, mit der man spielen kann. Dazu Müller-Tamm:

    "Lüdeking legt Wert auf den historischen Bruch der künstlerisch avancierten Positionen der Gegenwart dahingehend, dass er im Grunde die Oberflächenphänomene, auf die sich heute die Auseinandersetzung bezieht, in den Vordergrund rückt, dass er den Körper als einen Medieneffekt darstellen möchte, als ein Ergebnis von sehr unterschiedlichen Formen der Verflüssigung des Körpers, das ist sozusagen für ihn eine Metapher für die sowohl fonnale als auch ideelle Neubesetzung des Körpers. (Der Körper ist ein verfügbarer geworden für ihn, der Körper ist nicht mehr durch irgendwelche vorgegebenen Begriffe, durch keine Essenz, durch keine Substanz mehr definiert, sondern er ist ein im gewissen Grad verfügbarer geworden."

    Diese Utopie des Verfügbaren gehört offenbar zur conditio humana. Horst Bredekamp zeigt dies anhand historischer Beispiele, um nach seiner bewährten Manier den Bogen bis in die Gegenwart zu spannen. Dazu Müller-Tamm: "Sein Fazit lautet, dass es eine dauerhafte Sehnsucht gibt, dass wir heute am Punkte der größten Annäherung des Menschen, der menschlichen Figur und der Maschine, der technischen Infrastruktur sind und dass an diesem Punkt deutlich wird, dass es eben immer einen Rest geben wird, der nicht einzuholen ist, dass es keine Offenbarung einer anderen Welt geben wird, dass es immer eine Wunschprojektion des Menschen bleibt, sich im selbstgeschaffenen Gegenüber zu distanzieren, zu spiegeln und selbst zu erkennen."