Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Putin-Dekret
"Freilassung von Pussy Riot ist sicher ein PR-Schritt"

Mit den Freilassungen von Michail Chodorkowski und den Pussy-Riot-Aktivistinnen setze Präsident Putin ein außenpolitisches Signal, sagt Russlandexperte Hans-Henning Schröder im Deutschlandfunk. Trotzdem bleibe der Beigeschmack einer PR-Aktion.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.12.2013
    Friedbert Meurer: Zehn Jahre Haft in einem Straflager, danach ist Michail Chodorkowski per Gnadenakt des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin freigelassen worden. Gestern Mittag gab er dann eine Pressekonferenz in Berlin. Dort kündigte Chodorkowski zwar an, er will sich nicht mehr politisch betätigen, aber er erinnerte an andere Häftlinge und für die wolle er sich einsetzen. Heute Morgen und dann auch am Vormittag sind jetzt die beiden inhaftierten Frauen der Punk-Band Pussy Riot freigekommen.
    Hans-Henning Schröder ist Professor, Politikwissenschaftler und Leiter einer Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Schröder!
    Hans-Henning Schröder: Guten Tag, Herr Meurer.
    Meurer: Ich zitiere noch einmal kurz Maria Alyokhina, eine der beiden Frauen von Pussy Riot. Sie sagt jetzt nach ihrer Freilassung: "Diese Amnestie ist kein humaner Akt, das ist ein PR-Schritt." Sehen Sie das auch so?
    Schröder: Zumindest die Freilassung von Pussy Riot ist sicher ein PR-Schritt. Chodorkowski muss man noch ein bisschen davon trennen, denn Chodorkowski ist entlassen worden am Ende offensichtlich eines Deals, bei dem er die Rechtsansprüche auf die Yukos-Anteile aufgegeben hat.
    Meurer: Wie sieht der Deal genau aus? Er besitzt nichts mehr an Yukos, oder wie muss man das verstehen?
    Schröder: Nein. Ich meine, das ist schwer zu übersehen im Moment, weil dazu ja nicht offen geredet wird. Aber nach seiner Pressekonferenz hat er offensichtlich zwei Zugeständnisse gemacht: Er wird keine rechtlichen Schritte mehr unternehmen, um sich Yukos zurückzuholen. Das ist ja damals auf einem sehr zwielichtigen Wege umgewandelt worden in ein Staatsunternehmen namens Rosneft. Es gibt eine Reihe von Verfahren vor internationalen Gerichten, die andere Anteilseigner von Yukos angestrengt haben, und Rosneft war immer auf der Verliererstraße. Ich nehme an, dass der Deal ist, dass diese Verfahren alle eingestellt werden, sodass Rosneft jetzt nicht mehr international vor Gericht gezogen wird, und dafür wird er dann freigesetzt.
    Meurer: Herr Schröder, Chodorkowski war Milliardär, hat ein Vermögen gemacht unter ungeklärten Umständen. Taugt er als Protagonist für die Demokratiebewegung in Russland?
    Schröder: Er hat sicher nicht dazu in den 90er-Jahren getaugt und auch nicht zu Beginn 2001, 2002, 2003. Es war nachher sehr deutlich, dass das Verfahren gegen ihn zwar ein Steuerverfahren war, aber durch die selektive Justiz, dass nur er verurteilt wurde und nicht alle anderen Politiker, Bürokraten und Oligarchen, die es ähnlich gemacht haben, dass es ein politischer Schritt war, und insofern war er dann tatsächlich ein Opfer einer politischen Justiz.
    Schröder: Chodorkowski kam durch einen Deal frei
    Meurer: Inwieweit kann Chodorkowski dazu beitragen, die politischen und rechtsstaatlichen Verhältnisse in Russland anzuprangern?
    Schröder: Er hat ja sehr deutlich gesagt, er wird sich nicht politisch betätigen, er wird auch nicht die Opposition finanzieren, sondern er wird sich auf bestimmte humanitäre und menschenrechtliche Fragen zurückziehen. Ich denke, das ist auch Teil des Deals, dass er nicht als Symbolfigur auftritt in Russland selber. Ob sich das in fünf bis zehn Jahren ändert, muss man sehen, aber im Moment, denke ich, ist er einfach aus diesem politischen Spiel heraus.
    Meurer: Was glauben Sie, Herr Schröder, hat die größere Wirkung für die russische Innenpolitik, die Freilassung von Chodorkowski, oder jetzt die Freilassung der beiden Mädchen, der beiden Frauen von Pussy Riot?
    Schröder: Beide sind in der russischen Öffentlichkeit ja umstritten. Bei Pussy Riot gibt es eine große Mehrheit der Bevölkerung, die das, was sie gemacht hat, nämlich ein Sakrileg, eine Verletzung religiöser Gefühle, für noch nicht hart genug bestraft gesehen hat. An die 70 Prozent waren dieser Meinung noch im Sommer. Und Chodorkowski als Oligarch ist ebenfalls vergleichsweise unbeliebt. So ist die Breitenwirkung im Inland gering. Chodorkowski ist deshalb eine interessante Frage, weil sich die auch richtet natürlich an andere Unternehmer und an die Frage, ob Leute bereit sind, in Russland zu investieren, und da hat man einen Störfaktor mit dem Fall Chodorkowski aus dem Weg geräumt. Aber das kann dann auch nur, wenn es um das Investitionsklima geht, ein erster Schritt sein.
    Meurer: Bei der Freilassung Chodorkowskis hat geholfen der ehemalige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Genscher ist ja schon öfter dafür kritisiert worden, für seinen Genscherismus, für dieses nicht klare Festlegen auf einen Punkt, oder auch das nicht klare Verteidigen von westlichen Werten. Er berät Potentaten in Zentralasien. Wie sehen Sie seine Rolle jetzt?
    Schröder: In diesem Falle ist er tatsächlich, glaube ich, nichts weiter als ein Vermittler gewesen zwischen einer Gruppe, von der wir nicht genau wissen, wer sie sind, aber zu denen sowohl die Anwälte und auch die Anteilseigner von Yukos gehört haben auf der einen Seite und dem Kreml auf der anderen Seite, und er hat einfach über zwei Jahre hinweg hochprofessionell vermittelt. Er hat ja dort nicht politisch Stellung genommen, er hat nicht eingewirkt, sondern er hat wirklich diese Rolle wahrgenommen. Wie er dazu gekommen ist, schwer zu sagen. Man weiß, Graf Lambsdorff war seinerzeit in dem internationalen Aufsichtsrat von Yukos ein Mitglied, das deutsche Mitglied. Mag sein, dass da Verbindungen gewesen sind. Aber im Prinzip haben sie natürlich einen Vermittler gesucht, der ein großes internationales Ansehen hat und der vermitteln kann, und das trifft auf Genscher natürlich zu.
    Meurer: Hat Genscher recht, dass man manchmal still und leise mehr erreicht als mit lauter Frontalkritik?
    Schröder: Ja, da hat er ganz sicher recht. Gerade wenn es um Einzelfälle geht, da findet man Lösungen nur, wenn man dafür sorgt, dass beide Seiten ihr Gesicht wahren können. Ein politischer Prozess ist etwas anderes. Wenn man einen politischen Prozess in einem Land voranbringen will, darf man natürlich nicht Geheimdiplomatie betreiben. Da muss man öffentlich das aussprechen. Aber wenn es darum geht, Einzelfälle zu lösen, bestimmte Probleme aus dem Weg zu schaffen, dann hat Geheimdiplomatie ganz sicher ihren Wert.
    Meurer: Ist es ein Fehler, dass der Bundespräsident Sotschi, die Winterspiele boykottiert?
    Schröder: Er boykottiert sie ja nicht, er fährt nur nicht hin. Das ist ein Unterschied. Ich finde es eigentlich nicht so falsch, weil die interessante Frage ist ja: Was kann ein Bundespräsident mit einer Reise bewirken? Das wird nur der Fall sein, wenn wir eine Russlandpolitik wieder haben, die wir in den letzten vier Jahren nicht hatten. Wenn es da ein Konzept gibt, das zwischen Kanzlerin und Außenminister abgesprochen wird, dann hat auch eine politische Reise eines Bundespräsidenten ihren Platz.
    "Das Amnestie-Gesetz ist ein Signal"
    Meurer: Da hat es ja offenbar keine richtige Absprache gegeben. Zumindest sagt die eine Seite, sie hätte; die andere Seite, sie hätte nicht. Das ist doch schon eine Aktion, mit der Gauck eine bestimmte Botschaft verbreiten will, oder?
    Schröder: Ich denke, dass er zunächst wirklich einfach, sagen wir mal, vielleicht seinen persönlichen Geschmack geäußert hat. Aber wenn es darum geht, im Rahmen einer größeren Politik seine Rolle zu spielen, wird er das sicher tun. Nur diese größere Politik gibt es im Moment nicht - noch nicht.
    Meurer: Sollte die Bundeskanzlerin nach Sotschi fliegen?
    Schröder: Das müsste vorbereitet werden. Das macht nur Sinn, wenn sich daraus ein politischer Gesprächsfaden ergibt und die Bundeskanzlerin weiß, was sie hinterher mitnehmen kann. Als Bundeskanzlerin fährt man nicht irgendwie und schaut sich eine Olympiade an und kehrt dann ergebnislos zurück.
    Meurer: Offenbar scheint sie nicht die Bilder im Fernsehen transportieren zu wollen, neben Putin zu stehen, zu jubeln, zu klatschen, während immer noch politische Häftlinge im Gefängnis sitzen.
    Schröder: Das ist sicher ein Moment. Auf der anderen Seite wäre das, wenn man in vielen anderen Bereichen, sei es zum Beispiel ein Rechtsstaatlichkeits-Dialog, vorankommen würde, sicher richtig, diesen Diskurs, diesen Dialog anzuknüpfen, wenn man das Gefühl hat, es kann sich weiterentwickeln. Das müssen wir jetzt sehen, ob dieses Angebot, das ja ein Signal ist, das Putin gesendet hat, auf der einen Seite mit dem Amnestiegesetz, das so gefasst wurde, dass auch die Pussy-Riot-Aktivistinnen freikamen, dass ein Teil der Gefangenen aus dem Balotnaja freikamen, dass die Greenpeace-Aktivisten freikommen wahrscheinlich, und dann noch mal die Begnadigung von Chodorkowski, alles zeitlich rechtzeitig vor Sotschi, also es war schon PR-mäßig getimt. Das ist ein außenpolitisches Signal und die Frage ist, was daraus jetzt folgen kann.
    Meurer: Der Politikwissenschaftler und Leiter der Forschungsgruppe Russland bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Hans-Henning Schröder, heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Herr Schröder, besten Dank und auf Wiederhören nach Berlin.
    Schröder: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.