Vor allem nach Putins jüngstem Coup, sich zum Spitzenkandidaten der Partei "Jedinnaja Rossija" für die kommenden Duma-Wahlen am 2. Dezember ausrufen zu lassen, schlagen Politologen wie Aleksej Makarkin bereits vor, korrekterweise nicht von Parlaments-Wahlen zu sprechen, sondern besser von einem Referendum:
"”Jetzt geht es doch nur noch darum, für oder gegen den Präsidenten zu stimmen, sind wir mit ihm einverstanden oder nicht? Das Ganze bekommt den Charakter einer Volksabstimmung. Wer dann an zweiter oder dritter Stelle auftaucht, ist völlig nebensächlich. ’Jedinnaja Rassija’ wird ihren Wahlkampf ausschließlich auf den Präsidenten ausrichten.""
Fast acht Jahre an der Macht hat Putin "Jedynnaja Rossija" zielstrebig mit ihm ergebenem Personal besetzt. "Jedinnaja Rossija" ist in dieser Variante ein typisches Konstrukt in der politischen Landschaft Russlands seit dem Zusammenbruch der UdSSR vor nun bald 16 Jahren. Sie ist die "Partei der Macht", so wie es zu Zeiten des Putin-Vorgängers Jelzin etwa "Nasch Dom Rossija" - zu Deutsch "Unser Haus Russland" – war, eine Partei, die heute schon viele junge Russen gar nicht mehr kennen.
Es sind - im Unterschied zur einstigen KPdSU, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion - weitgehend ideologiefreie Kunstprodukte, die einem wesentlichen Ziel dienen: Sie sollen die Kreml-Herrschaft im Parlament und in den Regionen des Riesenlandes über die so genannte "Vertikale der Macht" absichern und mögliche Oppositionsbestrebungen schon im Ansatz erspüren und anschließend administrativ verhindern. Mit dem offiziell parteilosen Vladimir Putin als Spitzenkandidat für einen Duma-Sitz könnte es nach erfolgreicher Wahl - und an deren Ausgang zweifelt niemand - mittel- bis langfristig zum Abschluss eines Projektes kommen, das im Augenblick zwar nur als Gerücht kursiert, das Spötter inzwischen aber schon "KPdSU-II" nennen - die Re-Installation eines de facto Ein-Parteien-Staats, diesmal dann wohl ohne Bezug auf Marx, Engels und Lenin. Es entbehrt dabei nicht einer skurrilen Ironie, dass ausgerechnet Gennadij Sjuganov, langjähriger erfolgloser oppositioneller Präsidentschaftskandidat der russischen Kommunisten, also der Nachfolge-Partei der KPdSU, die heutige Machtkonstellation heftig kritisiert, nachdem er sie einigermaßen zutreffend beschrieben hat:
"Putin ist doch schon seit langem der eigentliche Chef von drei Parteien: Nämlich von ’Jedynnaja Rassija’, von Sergej Mironovs ’Gerechtes Russland’ und von Shirinovskijs ’Liberaldemokraten’. Die haben doch abgestimmt, wie er es angeordnet hat. Jetzt hat sich die Situation hin zu einem Zwei-Parteien-Parlament verändert. Putin vereinigt die drei eben Genannten auf der einen Seite. Wir aber, die Kommunisten, stehen links und sind die wahre Opposition. Und im Land? 65 Gouverneure hängen wie Waggons hinter der Lokomotive Putin. Wozu also noch Wahlen? Wahlen - das heißt Wettbewerb von Parteien, Ideen und Programmen. Und hier!"
Mit dem Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde und dem Wiedereinzug der Kommunisten in die Duma rechnen derzeit tatsächlich die meisten Beobachter. Aber es wird gleichzeitig munter spekuliert, ob sie diesmal mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich werden vereinigen können. Denn allmählich sterben ihre Stammwähler buchstäblich weg. Und ihre Oppositionsrolle ist ebenfalls nicht völlig unumstritten - denn auch die Kommunisten gelten im Zweifelsfall - nicht nur aus möglicher Existenzangst - als kompromissbereit im Gespräch mit der Macht im Kreml. Und nicht zuletzt dieser Konstellation kann Sergej Ivanenko sogar noch etwas Positives abgewinnen. Nachdem Putin also seit neuestem auch über eine zusätzliche Karriere als Abgeordneter nachdenke, so der stellvertretende Parteivorsitzende von Jabloko, einer vor Jahren auch im Westen umworbenen, inzwischen aber in Russland marginalisierten bürgerlich-liberalen, demokratischen Partei, meint Ivanenko:
"Das ist doch gut! Jetzt werden die Wahlen irgendwie klarer, transparenter. Jetzt können, jetzt müssten die Bürger mit ihrer Stimme deutlich machen, in welche Richtung das Land gehen soll: in eine autoritäre Richtung mit einem unverständlichen politisch-wirtschaftlichen Modell oder auf einen europäischen, modernen, zivilisierten Weg, so wie ihn ’Jablako’ und die anderen demokratischen Parteien vorschlagen."
Die aber haben - Stand heute - nur minimale Chancen, die Sieben-Prozent-Schwelle zu überwinden: Sicherlich wegen erheblicher bürokratisch-politischer Schwierigkeiten und Behinderungen, aber auch eigene Schwächen müssen sie sich ankreiden lassen. Denn obwohl ihre Anzahl ohnehin dramatisch geschrumpft ist, gibt es unter den wenigen außerparlamentarischen, demokratischen, dem System Putin oppositionell eingestellten Politikern - bildlich gesprochen - immer noch zu viele Solo-Tänzer anstatt einer vereint auftretenden Ballett-Truppe, die attraktiv sein könnte für das traditionell Tanzoper-verliebte russische Publikum. Und so wird Präsident Putin voraussichtlich im Dezember die an zivilgesellschaftlichen und international geltenden, humanistischen Werten orientierten Wähler, die zu ihm in Opposition stehen, nicht fürchten müssen. Viktor Loschak, Chefredakteur der Zeitschrift "Ogonjok", hat beobachtet:
"Was die rechten Parteien angeht, so hat ’Jedynnaja Rassija’ es zu deren Bedauern geschafft, einen Teil ihrer Wähler zu sich herüberzuziehen. ’Jedynnaja Rassija’ ist irgendwo ein bisschen kommunistisch, ein bisschen liberal, auch patriotisch. Diese Partei spielt auf allen Feldern mit. Ein Beispiel: Im Bereich der Wirtschaft sind auf ihre Initiative hin Gesetze mit eindeutig liberaler Handschrift verabschiedet worden. Die hätten jede rechte Partei geschmückt! Das aber könnte rechte Wähler anziehen."
Vor einem Jahr, am 7. Oktober, wurde die russische Journalistin Anna Politkovskaja mit vier Schüssen vor ihrer Wohnung ermordet. Anna Politkovskaja galt vor allem im westlichen Ausland als "moralisches Gewissen Russlands". Sie war eine der wenigen, die über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichteten, und sie wurde dafür mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet - allerdings nur im Ausland. In Russland las kaum jemand ihre Artikel, im Fernsehen fand sie mit ihren Themen nicht statt. Der Mord an der Journalistin warf einmal mehr Licht auf die schwierige Situation der Medien in Russland: Es gibt kaum noch welche, die unabhängig sind, fast alle TV-Kanäle sind in staatlichem Besitz, viele regionale Zeitungen gehören den örtlichen Politikern. Gesine Dornblüth berichtet.
Mittags in Nischnij Novgorod. Der Bürgermeister hat zum Pressegespräch eingeladen, wie jede Woche. Einen Anlass gibt es nicht. Trotzdem kommen etwa 40 Journalisten.
"Das wird laufen wie immer. Nichts als Rechtfertigungen."
Der Kameramann des "Zweiten Russischen Fernsehens" präsentiert sein neues T-Shirt mit einer stilisierten weiß-blau-roten Fahne Russlands auf dem Rücken: das Logo seines Senders. Er ist stolz darauf.
"Bei uns steht fest, wen wir mögen und wen nicht. Häufig kommt es vor, dass Politiker während einer Sitzung schlafen. Das würde ich natürlich gern zeigen. Aber dann kommt der Redakteur und sagt: Wir sind ein staatlicher Sender, so etwas geht nicht. Das ist blöd. Schließlich ist es unser Job, interessante Bilder zu finden."
Der Bürgermeister sitzt am Kopfende eines langen Tisches. Er berichtet von Bau- und Verkehrsvorhaben. Die Journalisten stellen Gefälligkeitsfragen. Zufällig ist an diesem Tag Putins Geburtstag.
Ein Journalist will wissen, ob der Bürgermeister Präsident Putin ein Geburtstagsgeschenk geschickt habe. Der verneint. Ein Geschenk wäre in jedem Fall zu bescheiden ausgefallen und dem Präsidenten womöglich nicht einmal zugestellt worden. Selbstverständlich aber hätten sie ein Glückwunschtelegramm geschickt.
Die Szene spiegelt den Journalistenalltag in Russland. Diese Pressekonferenz fand am 7. Oktober 2004 statt. Ähnlich verlaufen tausende offiziöser Pressetermine jeden Tag in Russland - und auch anderswo. Genau zwei Jahre später, wieder an Putins Geburtstag, geschah etwas, das die russische Presse hätte aufrütteln können: Der Mord an Anna Politkovskaja, Mitarbeiterin der regierungskritischen Zeitung "Novaja Gazeta". Politkovskaja hatte den Präsidenten unter anderem des "Staatsterrorismus" bezichtigt und den Geheimdiensten "Menschenraub", Folter und Mord in Tschetschenien vorgeworfen. Politkovskajas Tod war ein Geschenk für den Präsidenten - mutmaßte ihre Kollegin Olga Kitowa. Auch Kitowa arbeitet für die "Novaja Gazeta". Der Mord an Anna Politkovskaja habe sie und viele andere tief bewegt, sagt Kitowa. Eine Debatte über die Notwendigkeit von Qualitätsjournalismus habe er unter russischen Journalisten aber nicht angestoßen.
"Ich weiß nichts von solchen Diskussionen. Alles ist auch so allen klar: Da ist jemand umgekommen, der ehrlich seine Arbeit getan hat. Wer mit Politkovskaja nicht einverstanden war, hätte mit ihr streiten oder eine Gegendarstellung fordern können. Aber in unserem Land scheinen zivilisierte Formen der Auseinandersetzung nicht mehr zu existieren. Wer etwas schreibt, das einem anderen nicht gefällt, wird einfach umgebracht."
Mindestens zwanzig Journalisten sind nach Angaben von Reporter ohne Grenzen seit März 2000 in Russland aufgrund ihres Berufs getötet worden. Allein drei arbeiteten in der "Novaja Gazeta". In den meisten Fällen wurde nicht mal ermittelt. Im Fall Politkovskaja wurde auf internationalen Druck hin zumindest eine Untersuchungskommission eingerichtet. Im September trat Generalstaatsanwalt Juri Tschaika mit erstaunlichen Ergebnissen vor die Öffentlichkeit: Er präsentierte elf Verdächtige. Diverse von ihnen mussten kurz darauf wieder entlassen werden, andere waren wegen völlig anderer Vergehen inhaftiert worden. Als Drahtzieher wies Tschaika nebulös auf Kräfte im Ausland hin, die "Russland destablisieren" wollten - ein vager Hinweis auf den in London lebenden Oligarchen Boris Berezowskij. Beweise lieferte Tschaika allerdings nicht.
Die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" setzt sich weltweit für Pressefreiheit ein. Sie verfolgt die Untersuchungen im Mordfall Politkovskaja mit Sorge. Geschäftsführerin Elke Schäfter:
"Es ist für ’Reporter ohne Grenzen’ im Augenblick sehr schwer, diese Ermittlungsergebnisse wirklich zu beurteilen. Es gibt sehr unterschiedliche und widersprüchliche Informationen zu den Ergebnissen. Wir bekommen oft die Aussage, dass bei laufenden Ermittlungen keine Informationen weitergereicht werden dürfen, das ist ja nicht nur bei russischen Behörden oder Staatsanwaltschaften so, das gilt generell: Bei laufenden Ermittlungen gibt man nicht gern Auskünfte. Dennoch denken wir, dass ein Zwischenstand durchaus mal möglich gewesen wäre, damit man zumindest weiß, in welche Richtung das läuft. Und wenn man sich jetzt noch anschaut, wie Generalstaatsanwalt Tschaika sich geäußert hat, dass er ins Ausland weist, dafür aber wenig Begründung liefert, dann stellen wir schon die Professionalität dieser Ermittlungen infrage."
Es ist aber nicht nur die Gewalt gegen russische Journalisten, die "Reporter ohne Grenzen" Sorgen bereitet. Dazu kommt eine zunehmende Staatsnähe der Medien. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Erdgasmonopolist "Gazprom". Der mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Konzern unterhält ein Tochterunternehmen, die "Gazprom-Media". Der gehören der Fernsehsender "NTW", "TNT" und "NTW-plus" sowie etwa zwanzig Zeitschriften und Zeitungen, darunter die große Tageszeitung "Izvestija" und seit knapp einem Jahr die auflagenstarke "Komsomolskaja Pravda". Die Auswirkungen auf Programm und Inhalte sind offensichtlich: So nahm "NTW" nach der Übernahme durch "Gazprom" eine politische Satiresendung aus dem Programm. Auch der neue Chefredakteur der "Izvestija" trimmte das Blatt auf Kreml-Linie. Wer in Russland nicht gezielt nach alternativen Informationsquellen sucht, zum Beispiel in den immer noch recht freien Internetzeitungen, wird deshalb überall mit der gleichen Meinung konfrontiert. Elke Schäfter von "Reporter ohne Grenzen":
"Der russische Journalistenverband geht davon aus, dass zwei Drittel der Medien direkt oder indirekt vom Kreml kontrolliert werden. Und das heißt: Diese Journalisten können nicht kritisch und nicht unabhängig berichten, und wenn sie das tun, haben sie einen schmalen Grat vor sich und müssen auch mit Kündigungen und mit ähnlichem rechnen, und das heißt: In diesem Berufsstand, in zwei Dritteln der Medien, muss man sich entscheiden, ob man so eine Art PR-Journalismus betreibt oder auch Propaganda, oder ob man sich für die Freiheit entscheidet, dann aber auch nicht mehr als Journalist arbeiten kann."
Im Studio begrüße ich nun Angelika Nußberger, sie ist Professorin für öffentliches Recht und Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität zu Köln.
Frau Nußberger, die Meinungsfreiheit wird in Russland immer weiter eingeschränkt, die politische Opposition fast nach Belieben gesteuert oder ausgeschaltet, die Justiz zum Büttel des Kreml gemacht, schreiben Sie in ihrem Buch "Das System Putin". Muss man besorgt sein über die zunehmende Machtkonzentration in Russland? Kann man da noch von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sprechen?
"Nun, Demokratie ist ein sehr weiter Begriff, der für sehr vieles verwandt wird. In Russland hat man nun schon lange von einer so genannten gelenkten Demokratie gesprochen, gegenwärtig spricht man eher von einer souveränen Demokratie. Das ist ein Begriff, den der Chefideologe Surkow aufgebracht hat und mit dem er im Grunde sagt, dass Russland selbst bestimmt, was es unter Demokratie versteht und Einflüsse von außen möglichst abblocken will."
Gibt es einen Ausweg aus dieser "gelenkten" Demokratie
"Den Ausweg aus der ’gelenkten’ Demokratie wird die russische Zivilgesellschaft selbst finden müssen. Von außen ist es schwierig Einfluss zu nehmen, da gegenwärtig Einflüsse von außen eher mit großer Skepsis gesehen werden. Aber das System basiert im Moment auf einem Machthaber, auf Putin, und es ist nicht stabil, weil, wenn dieser Machthaber wegfällt, werden sich neue Kräftebalancen ergeben und da besteht durchaus auch ein Ausweg aus diesem System. Man sieht es nicht als dauerhaft an."
Unter Michail Gorbatschow hat sich Russland dem Westen geöffnet. War das nur ein kurzes Zwischenspiel?
"Es gibt in Russland etwas immer wieder, was man als Tanz von Anziehung und Abstoßung bezeichnen kann, also eine Hinwendung zum Westen, eine sehr offene Aufnahme dessen, was im Westen passiert, und dann wieder eine Rückwendung, eine Isolation. Man kann immer wieder dieses Hin und Her beobachten. Gorbatschow hat sich sehr dem Westen zugewendet, wie in der Geschichte auch Peter der Große. Auch Putin hat sich nach dem 11. September noch dem Westen zugewandt, und dann haben wieder Phasen der starken Abschottung stattgefunden. Ein sehr entscheidender Moment war dabei das Nato-Bombardement in Serbien, dass man das Gefühl hatte, dass die westliche Öffentlichkeit die Grund- und Menschenrechte in einer Weise verwendet, die gegen die slawischen Brüder gerichtet ist. Und das hat zu einer sehr starken Abschottung wiederum geführt."
Wird sich der Westen für längere Zeit darauf einstellen müssen, es mit einem Russland zu tun zu haben, das sich nach seiner alten imperialen Größe zurücksehnt und außenpolitisch dementsprechend agieren wird?
"Nach der imperialen Größe sehnt man sich mit Sicherheit in Russland zurück, und die hat man ja auch bis zu einem gewissen Grad bereits wieder erreicht, und das ist auch eine Haltung, eine Meinung, die man bei dem einfachen russischen Bürger beobachten kann. Man hat sich doch sehr deprimiert gefühlt nach dem Ende des Kalten Krieges, in gewisser Weise sich in einem besonderen Entwicklungsland wiederzufinden. Und Putin verkörpert nun diese Möglichkeit, wieder imperiale Größe für Russland zurückzugewinnen. Und darauf wird sich der Westen mit Sicherheit einstellen müssen."
Muss sich der Westen vielleicht auch auf einen neuen, Kalten Krieg einstellen?
"Kalter Krieg ist sicherlich nicht das richtige Wort, das man hier verwenden müsste. Es geht vielmehr um ein Nebeneinander, das nicht mehr so auf einer Vertrauensbasis beruht, wie man gehofft hatte, sondern von einem gewissen Misstrauen und von Skepsis gekennzeichnet sein wird."
Die Beschneidung der Menschenrechte, der Pressefreiheit, geschieht das auch aus Angst vor Demokratisierungsbewegungen, wie es sie zum Beispiel in einigen osteuropäischen Staaten gab, zum Beispiel in der Ukraine?
"Mit Sicherheit war die so genannte Orange Revolution in der Ukraine ein Wendepunkt auch für die russische Politik, dass man sich neu bewusst war, wie gefährlich die Straße sein kann, und viele der neuen Gesetze erklären sich aus dieser Furcht."
Abschließende Frage. Wie gefährlich ist der eingeschlagene Weg der russischen Politik für den Westen, für Europa?
"Von Gefahr zu sprechen ist eher problematisch. Man muss sich einfach dessen bewusst sein, dass hier ein sehr eigensinnig denkender Partner wieder gegenübersteht, und dass man nicht davon ausgehen kann, dass man von außen steuernd eingreifen kann. Man steht jemandem gegenüber, der sehr selbstbewusst ist und durchaus auch auf die geschichtliche Größe pocht."
"”Jetzt geht es doch nur noch darum, für oder gegen den Präsidenten zu stimmen, sind wir mit ihm einverstanden oder nicht? Das Ganze bekommt den Charakter einer Volksabstimmung. Wer dann an zweiter oder dritter Stelle auftaucht, ist völlig nebensächlich. ’Jedinnaja Rassija’ wird ihren Wahlkampf ausschließlich auf den Präsidenten ausrichten.""
Fast acht Jahre an der Macht hat Putin "Jedynnaja Rossija" zielstrebig mit ihm ergebenem Personal besetzt. "Jedinnaja Rossija" ist in dieser Variante ein typisches Konstrukt in der politischen Landschaft Russlands seit dem Zusammenbruch der UdSSR vor nun bald 16 Jahren. Sie ist die "Partei der Macht", so wie es zu Zeiten des Putin-Vorgängers Jelzin etwa "Nasch Dom Rossija" - zu Deutsch "Unser Haus Russland" – war, eine Partei, die heute schon viele junge Russen gar nicht mehr kennen.
Es sind - im Unterschied zur einstigen KPdSU, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion - weitgehend ideologiefreie Kunstprodukte, die einem wesentlichen Ziel dienen: Sie sollen die Kreml-Herrschaft im Parlament und in den Regionen des Riesenlandes über die so genannte "Vertikale der Macht" absichern und mögliche Oppositionsbestrebungen schon im Ansatz erspüren und anschließend administrativ verhindern. Mit dem offiziell parteilosen Vladimir Putin als Spitzenkandidat für einen Duma-Sitz könnte es nach erfolgreicher Wahl - und an deren Ausgang zweifelt niemand - mittel- bis langfristig zum Abschluss eines Projektes kommen, das im Augenblick zwar nur als Gerücht kursiert, das Spötter inzwischen aber schon "KPdSU-II" nennen - die Re-Installation eines de facto Ein-Parteien-Staats, diesmal dann wohl ohne Bezug auf Marx, Engels und Lenin. Es entbehrt dabei nicht einer skurrilen Ironie, dass ausgerechnet Gennadij Sjuganov, langjähriger erfolgloser oppositioneller Präsidentschaftskandidat der russischen Kommunisten, also der Nachfolge-Partei der KPdSU, die heutige Machtkonstellation heftig kritisiert, nachdem er sie einigermaßen zutreffend beschrieben hat:
"Putin ist doch schon seit langem der eigentliche Chef von drei Parteien: Nämlich von ’Jedynnaja Rassija’, von Sergej Mironovs ’Gerechtes Russland’ und von Shirinovskijs ’Liberaldemokraten’. Die haben doch abgestimmt, wie er es angeordnet hat. Jetzt hat sich die Situation hin zu einem Zwei-Parteien-Parlament verändert. Putin vereinigt die drei eben Genannten auf der einen Seite. Wir aber, die Kommunisten, stehen links und sind die wahre Opposition. Und im Land? 65 Gouverneure hängen wie Waggons hinter der Lokomotive Putin. Wozu also noch Wahlen? Wahlen - das heißt Wettbewerb von Parteien, Ideen und Programmen. Und hier!"
Mit dem Sprung über die Sieben-Prozent-Hürde und dem Wiedereinzug der Kommunisten in die Duma rechnen derzeit tatsächlich die meisten Beobachter. Aber es wird gleichzeitig munter spekuliert, ob sie diesmal mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich werden vereinigen können. Denn allmählich sterben ihre Stammwähler buchstäblich weg. Und ihre Oppositionsrolle ist ebenfalls nicht völlig unumstritten - denn auch die Kommunisten gelten im Zweifelsfall - nicht nur aus möglicher Existenzangst - als kompromissbereit im Gespräch mit der Macht im Kreml. Und nicht zuletzt dieser Konstellation kann Sergej Ivanenko sogar noch etwas Positives abgewinnen. Nachdem Putin also seit neuestem auch über eine zusätzliche Karriere als Abgeordneter nachdenke, so der stellvertretende Parteivorsitzende von Jabloko, einer vor Jahren auch im Westen umworbenen, inzwischen aber in Russland marginalisierten bürgerlich-liberalen, demokratischen Partei, meint Ivanenko:
"Das ist doch gut! Jetzt werden die Wahlen irgendwie klarer, transparenter. Jetzt können, jetzt müssten die Bürger mit ihrer Stimme deutlich machen, in welche Richtung das Land gehen soll: in eine autoritäre Richtung mit einem unverständlichen politisch-wirtschaftlichen Modell oder auf einen europäischen, modernen, zivilisierten Weg, so wie ihn ’Jablako’ und die anderen demokratischen Parteien vorschlagen."
Die aber haben - Stand heute - nur minimale Chancen, die Sieben-Prozent-Schwelle zu überwinden: Sicherlich wegen erheblicher bürokratisch-politischer Schwierigkeiten und Behinderungen, aber auch eigene Schwächen müssen sie sich ankreiden lassen. Denn obwohl ihre Anzahl ohnehin dramatisch geschrumpft ist, gibt es unter den wenigen außerparlamentarischen, demokratischen, dem System Putin oppositionell eingestellten Politikern - bildlich gesprochen - immer noch zu viele Solo-Tänzer anstatt einer vereint auftretenden Ballett-Truppe, die attraktiv sein könnte für das traditionell Tanzoper-verliebte russische Publikum. Und so wird Präsident Putin voraussichtlich im Dezember die an zivilgesellschaftlichen und international geltenden, humanistischen Werten orientierten Wähler, die zu ihm in Opposition stehen, nicht fürchten müssen. Viktor Loschak, Chefredakteur der Zeitschrift "Ogonjok", hat beobachtet:
"Was die rechten Parteien angeht, so hat ’Jedynnaja Rassija’ es zu deren Bedauern geschafft, einen Teil ihrer Wähler zu sich herüberzuziehen. ’Jedynnaja Rassija’ ist irgendwo ein bisschen kommunistisch, ein bisschen liberal, auch patriotisch. Diese Partei spielt auf allen Feldern mit. Ein Beispiel: Im Bereich der Wirtschaft sind auf ihre Initiative hin Gesetze mit eindeutig liberaler Handschrift verabschiedet worden. Die hätten jede rechte Partei geschmückt! Das aber könnte rechte Wähler anziehen."
Vor einem Jahr, am 7. Oktober, wurde die russische Journalistin Anna Politkovskaja mit vier Schüssen vor ihrer Wohnung ermordet. Anna Politkovskaja galt vor allem im westlichen Ausland als "moralisches Gewissen Russlands". Sie war eine der wenigen, die über Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien berichteten, und sie wurde dafür mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet - allerdings nur im Ausland. In Russland las kaum jemand ihre Artikel, im Fernsehen fand sie mit ihren Themen nicht statt. Der Mord an der Journalistin warf einmal mehr Licht auf die schwierige Situation der Medien in Russland: Es gibt kaum noch welche, die unabhängig sind, fast alle TV-Kanäle sind in staatlichem Besitz, viele regionale Zeitungen gehören den örtlichen Politikern. Gesine Dornblüth berichtet.
Mittags in Nischnij Novgorod. Der Bürgermeister hat zum Pressegespräch eingeladen, wie jede Woche. Einen Anlass gibt es nicht. Trotzdem kommen etwa 40 Journalisten.
"Das wird laufen wie immer. Nichts als Rechtfertigungen."
Der Kameramann des "Zweiten Russischen Fernsehens" präsentiert sein neues T-Shirt mit einer stilisierten weiß-blau-roten Fahne Russlands auf dem Rücken: das Logo seines Senders. Er ist stolz darauf.
"Bei uns steht fest, wen wir mögen und wen nicht. Häufig kommt es vor, dass Politiker während einer Sitzung schlafen. Das würde ich natürlich gern zeigen. Aber dann kommt der Redakteur und sagt: Wir sind ein staatlicher Sender, so etwas geht nicht. Das ist blöd. Schließlich ist es unser Job, interessante Bilder zu finden."
Der Bürgermeister sitzt am Kopfende eines langen Tisches. Er berichtet von Bau- und Verkehrsvorhaben. Die Journalisten stellen Gefälligkeitsfragen. Zufällig ist an diesem Tag Putins Geburtstag.
Ein Journalist will wissen, ob der Bürgermeister Präsident Putin ein Geburtstagsgeschenk geschickt habe. Der verneint. Ein Geschenk wäre in jedem Fall zu bescheiden ausgefallen und dem Präsidenten womöglich nicht einmal zugestellt worden. Selbstverständlich aber hätten sie ein Glückwunschtelegramm geschickt.
Die Szene spiegelt den Journalistenalltag in Russland. Diese Pressekonferenz fand am 7. Oktober 2004 statt. Ähnlich verlaufen tausende offiziöser Pressetermine jeden Tag in Russland - und auch anderswo. Genau zwei Jahre später, wieder an Putins Geburtstag, geschah etwas, das die russische Presse hätte aufrütteln können: Der Mord an Anna Politkovskaja, Mitarbeiterin der regierungskritischen Zeitung "Novaja Gazeta". Politkovskaja hatte den Präsidenten unter anderem des "Staatsterrorismus" bezichtigt und den Geheimdiensten "Menschenraub", Folter und Mord in Tschetschenien vorgeworfen. Politkovskajas Tod war ein Geschenk für den Präsidenten - mutmaßte ihre Kollegin Olga Kitowa. Auch Kitowa arbeitet für die "Novaja Gazeta". Der Mord an Anna Politkovskaja habe sie und viele andere tief bewegt, sagt Kitowa. Eine Debatte über die Notwendigkeit von Qualitätsjournalismus habe er unter russischen Journalisten aber nicht angestoßen.
"Ich weiß nichts von solchen Diskussionen. Alles ist auch so allen klar: Da ist jemand umgekommen, der ehrlich seine Arbeit getan hat. Wer mit Politkovskaja nicht einverstanden war, hätte mit ihr streiten oder eine Gegendarstellung fordern können. Aber in unserem Land scheinen zivilisierte Formen der Auseinandersetzung nicht mehr zu existieren. Wer etwas schreibt, das einem anderen nicht gefällt, wird einfach umgebracht."
Mindestens zwanzig Journalisten sind nach Angaben von Reporter ohne Grenzen seit März 2000 in Russland aufgrund ihres Berufs getötet worden. Allein drei arbeiteten in der "Novaja Gazeta". In den meisten Fällen wurde nicht mal ermittelt. Im Fall Politkovskaja wurde auf internationalen Druck hin zumindest eine Untersuchungskommission eingerichtet. Im September trat Generalstaatsanwalt Juri Tschaika mit erstaunlichen Ergebnissen vor die Öffentlichkeit: Er präsentierte elf Verdächtige. Diverse von ihnen mussten kurz darauf wieder entlassen werden, andere waren wegen völlig anderer Vergehen inhaftiert worden. Als Drahtzieher wies Tschaika nebulös auf Kräfte im Ausland hin, die "Russland destablisieren" wollten - ein vager Hinweis auf den in London lebenden Oligarchen Boris Berezowskij. Beweise lieferte Tschaika allerdings nicht.
Die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" setzt sich weltweit für Pressefreiheit ein. Sie verfolgt die Untersuchungen im Mordfall Politkovskaja mit Sorge. Geschäftsführerin Elke Schäfter:
"Es ist für ’Reporter ohne Grenzen’ im Augenblick sehr schwer, diese Ermittlungsergebnisse wirklich zu beurteilen. Es gibt sehr unterschiedliche und widersprüchliche Informationen zu den Ergebnissen. Wir bekommen oft die Aussage, dass bei laufenden Ermittlungen keine Informationen weitergereicht werden dürfen, das ist ja nicht nur bei russischen Behörden oder Staatsanwaltschaften so, das gilt generell: Bei laufenden Ermittlungen gibt man nicht gern Auskünfte. Dennoch denken wir, dass ein Zwischenstand durchaus mal möglich gewesen wäre, damit man zumindest weiß, in welche Richtung das läuft. Und wenn man sich jetzt noch anschaut, wie Generalstaatsanwalt Tschaika sich geäußert hat, dass er ins Ausland weist, dafür aber wenig Begründung liefert, dann stellen wir schon die Professionalität dieser Ermittlungen infrage."
Es ist aber nicht nur die Gewalt gegen russische Journalisten, die "Reporter ohne Grenzen" Sorgen bereitet. Dazu kommt eine zunehmende Staatsnähe der Medien. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Erdgasmonopolist "Gazprom". Der mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Konzern unterhält ein Tochterunternehmen, die "Gazprom-Media". Der gehören der Fernsehsender "NTW", "TNT" und "NTW-plus" sowie etwa zwanzig Zeitschriften und Zeitungen, darunter die große Tageszeitung "Izvestija" und seit knapp einem Jahr die auflagenstarke "Komsomolskaja Pravda". Die Auswirkungen auf Programm und Inhalte sind offensichtlich: So nahm "NTW" nach der Übernahme durch "Gazprom" eine politische Satiresendung aus dem Programm. Auch der neue Chefredakteur der "Izvestija" trimmte das Blatt auf Kreml-Linie. Wer in Russland nicht gezielt nach alternativen Informationsquellen sucht, zum Beispiel in den immer noch recht freien Internetzeitungen, wird deshalb überall mit der gleichen Meinung konfrontiert. Elke Schäfter von "Reporter ohne Grenzen":
"Der russische Journalistenverband geht davon aus, dass zwei Drittel der Medien direkt oder indirekt vom Kreml kontrolliert werden. Und das heißt: Diese Journalisten können nicht kritisch und nicht unabhängig berichten, und wenn sie das tun, haben sie einen schmalen Grat vor sich und müssen auch mit Kündigungen und mit ähnlichem rechnen, und das heißt: In diesem Berufsstand, in zwei Dritteln der Medien, muss man sich entscheiden, ob man so eine Art PR-Journalismus betreibt oder auch Propaganda, oder ob man sich für die Freiheit entscheidet, dann aber auch nicht mehr als Journalist arbeiten kann."
Im Studio begrüße ich nun Angelika Nußberger, sie ist Professorin für öffentliches Recht und Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität zu Köln.
Frau Nußberger, die Meinungsfreiheit wird in Russland immer weiter eingeschränkt, die politische Opposition fast nach Belieben gesteuert oder ausgeschaltet, die Justiz zum Büttel des Kreml gemacht, schreiben Sie in ihrem Buch "Das System Putin". Muss man besorgt sein über die zunehmende Machtkonzentration in Russland? Kann man da noch von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sprechen?
"Nun, Demokratie ist ein sehr weiter Begriff, der für sehr vieles verwandt wird. In Russland hat man nun schon lange von einer so genannten gelenkten Demokratie gesprochen, gegenwärtig spricht man eher von einer souveränen Demokratie. Das ist ein Begriff, den der Chefideologe Surkow aufgebracht hat und mit dem er im Grunde sagt, dass Russland selbst bestimmt, was es unter Demokratie versteht und Einflüsse von außen möglichst abblocken will."
Gibt es einen Ausweg aus dieser "gelenkten" Demokratie
"Den Ausweg aus der ’gelenkten’ Demokratie wird die russische Zivilgesellschaft selbst finden müssen. Von außen ist es schwierig Einfluss zu nehmen, da gegenwärtig Einflüsse von außen eher mit großer Skepsis gesehen werden. Aber das System basiert im Moment auf einem Machthaber, auf Putin, und es ist nicht stabil, weil, wenn dieser Machthaber wegfällt, werden sich neue Kräftebalancen ergeben und da besteht durchaus auch ein Ausweg aus diesem System. Man sieht es nicht als dauerhaft an."
Unter Michail Gorbatschow hat sich Russland dem Westen geöffnet. War das nur ein kurzes Zwischenspiel?
"Es gibt in Russland etwas immer wieder, was man als Tanz von Anziehung und Abstoßung bezeichnen kann, also eine Hinwendung zum Westen, eine sehr offene Aufnahme dessen, was im Westen passiert, und dann wieder eine Rückwendung, eine Isolation. Man kann immer wieder dieses Hin und Her beobachten. Gorbatschow hat sich sehr dem Westen zugewendet, wie in der Geschichte auch Peter der Große. Auch Putin hat sich nach dem 11. September noch dem Westen zugewandt, und dann haben wieder Phasen der starken Abschottung stattgefunden. Ein sehr entscheidender Moment war dabei das Nato-Bombardement in Serbien, dass man das Gefühl hatte, dass die westliche Öffentlichkeit die Grund- und Menschenrechte in einer Weise verwendet, die gegen die slawischen Brüder gerichtet ist. Und das hat zu einer sehr starken Abschottung wiederum geführt."
Wird sich der Westen für längere Zeit darauf einstellen müssen, es mit einem Russland zu tun zu haben, das sich nach seiner alten imperialen Größe zurücksehnt und außenpolitisch dementsprechend agieren wird?
"Nach der imperialen Größe sehnt man sich mit Sicherheit in Russland zurück, und die hat man ja auch bis zu einem gewissen Grad bereits wieder erreicht, und das ist auch eine Haltung, eine Meinung, die man bei dem einfachen russischen Bürger beobachten kann. Man hat sich doch sehr deprimiert gefühlt nach dem Ende des Kalten Krieges, in gewisser Weise sich in einem besonderen Entwicklungsland wiederzufinden. Und Putin verkörpert nun diese Möglichkeit, wieder imperiale Größe für Russland zurückzugewinnen. Und darauf wird sich der Westen mit Sicherheit einstellen müssen."
Muss sich der Westen vielleicht auch auf einen neuen, Kalten Krieg einstellen?
"Kalter Krieg ist sicherlich nicht das richtige Wort, das man hier verwenden müsste. Es geht vielmehr um ein Nebeneinander, das nicht mehr so auf einer Vertrauensbasis beruht, wie man gehofft hatte, sondern von einem gewissen Misstrauen und von Skepsis gekennzeichnet sein wird."
Die Beschneidung der Menschenrechte, der Pressefreiheit, geschieht das auch aus Angst vor Demokratisierungsbewegungen, wie es sie zum Beispiel in einigen osteuropäischen Staaten gab, zum Beispiel in der Ukraine?
"Mit Sicherheit war die so genannte Orange Revolution in der Ukraine ein Wendepunkt auch für die russische Politik, dass man sich neu bewusst war, wie gefährlich die Straße sein kann, und viele der neuen Gesetze erklären sich aus dieser Furcht."
Abschließende Frage. Wie gefährlich ist der eingeschlagene Weg der russischen Politik für den Westen, für Europa?
"Von Gefahr zu sprechen ist eher problematisch. Man muss sich einfach dessen bewusst sein, dass hier ein sehr eigensinnig denkender Partner wieder gegenübersteht, und dass man nicht davon ausgehen kann, dass man von außen steuernd eingreifen kann. Man steht jemandem gegenüber, der sehr selbstbewusst ist und durchaus auch auf die geschichtliche Größe pocht."