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Pygmalion-Mythos als Inspiration

Inspiration für "Puppen" des österreichischen Dramatikers Franzobel ist der Pygmalion-Mythos, in dem sich der König Pygmalion in eine von ihm geschaffene Statue verliebt und sie mit Hilfe der Göttin Aphrodite zum Leben erweckt. Das Stück erlebte während der Zürcher Festspiele seine Uraufführung.

Von Christian Gampert |
    Wenn der Bühnenraum zum Jahrmarkt wird, das Parkett voll Orgelpfeifen, wo die Schauspieler zu Puppen werden, dann wissen wir: Achtung, wir befinden uns in einem Stück zeitgenössischen Theaters. Das Stück heißt "Puppen", der Text stammt von dem Dramatiker Franzobel, die Orgelpfeifen-Musik hat Christoph Coburger beigesteuert und die Uraufführung war im Theater am Neumarkt in Zürich.

    Das ist der Klang der Kirmesorgel, die der Regisseur und Musiker Christoph Coburger gemeinsam mit der Bühnenbildnerin Sabine Mader und zwei Orgelbauern aus Waldkirch für diesen Abend konstruiert hat. Wir Zuschauer sitzen in einer Art Uterus, im Innern einer Jahrmarkt-Orgel – der ganze Theatersaal ist durchzogen von Gestänge, von Blasebälgen und Maschinen mit Lochkarten, und die Orgel ist das leider etwas müde Schwungrad der (auch in der Textflächenbehandlung durchaus musikalischen) Aufführung.

    Ausgangspunkt für den österreichischen Dichter Franzobel, der seinen Text offenbar in großer Eile niedergeschrieben hat, war der Pygmalion-Mythos, also jener Teil der Ovidschen Metamorphosen, in dem der zyprische König Pygmalion sich in eine von ihm geschaffene weibliche Statue verliebt und sie mit Hilfe der Göttin Aphrodite zum Leben erweckt. Anfangs wird ausgiebig Ovid rezitiert, und dann pflügt sich Franzobel durch ein sehr heutiges Gewirr aus Assoziationen, die alle mit der Verpuppung des Menschen zu tun haben. Es geht dabei weniger, wie bei Kleists Marionettentheater, um Anmut und Grazie, die sich nicht nur beim Gliedermann desto sicherer einstellen, je weniger sie mit Bewusstsein, mit bewusster Steuerung ausgestattet sind. Sondern es geht bei Franzobel um den künstlichen Menschen, auch um Menschensurrogate: von Pygmalion und der Sage von Galatea und dem bösen Zyklopen Polyphem schreibt er sich fort zu Liebeskrüppeln und moslemischen (!) Barbiepuppen, zum Bäckergesellen, der aus seinem Teig Menschen formt, zu detailliert geschilderten Schönheits-Operationen und Sexpuppen aus Gummi mit ihren so lebensechten Körperöffnungen. Vom Silicon-Busen geht es hurtig fort zum Silicon-Valley und damit zu Bill Gates, der nicht mehr die Frau, sondern den Chip und den Computer als seine Schöpfung erotisch besetzt.

    Man muss sich diesen Abend also nicht als Spiel mit klar umrissenen Charakteren vorstellen, sondern als Konzept-Theater, als surreale Text-Performance, als eine theatralische Installation. Das ist ja genau das, was sie am Züricher Neumarkt wollen: die theatralen Grenzbereiche ausforschen. Vier Gestalten im Gegenlicht rudern in einem Nachen herein, die Ruderblätter sind Krücken, eine Fahrt offenbar ins Totenreich oder in ein Traumland. Die (überaus virtuosen) Schauspieler haben sich auf unterschiedliche Weise verpuppt, die Männer sind stark verweiblicht: der voluminöse Matthias Breitenbach ist ein gutmütier Obelix im geschnürten Mieder, der schmalere Christian Wittmann ein bleicher Transsexueller im Rock; Marianne Hamre gibt die zerbrechliche Eisprinzessin und spielt den ganzen Abend auf Kufen, hat sich allerdings auch Koteletten angeklebt; Sylvana Krappatsch ist eine sich schamlos spreizende Käthe-Kruse-Puppe als süßes Mädel.

    Es wird also bewusst auch mit den Gender-Grenzen gespielt und mit der Verkünstlichung heutiger Lebenswelten, und der Witz ist nun, dass dieses Textflächen-Gezerre keiner wirklichen Logik folgt, sondern dass die Regie das Publikum in dieser theatralischen Dada-Installation sitzen lässt - mit allerlei Bildungsversatzstücken und Abstürzen ins Triviale.

    Autor Franzobel findet das aber ganz in Ordnung:

    "Von der Textfassung hätte das schon mehr Sinn und Ordnung haben können. Aber da der Christoph sehr musikalisch mit dem Text umgeht und vielleicht das Formale über den Inhalt stellt, hat man den Eindruck einer Beliebigkeit, die so im Text gar nicht da wäre – die aber für mich als Autor wieder okay ist. Man muss sich das Ganze vielleicht als Abendmahlmusik mit gewissen Fußtritten in den Arsch durch den Text vorstellen. "

    Pygmalions geliebte Statue wird so in Zürich zur hysterischen Zicke, die Liebe zum Ehestreit, und Ovids Metamorphosen sind nur der Vorwand für Schauspielerübungen. Schade: man hatte gehofft, dass aus der Puppe ein Schmetterling schlüpft. So ist erleben wir einen eher zähen Abend – und ein Theater, das sich schon revolutionär fühlt, weil es die traditionelle Erzählhaltung verweigert.