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Quantenzocker
Computerspieler optimieren Quantenphysik-Modellierung

Womit sich Physiker jetzt seit Jahrzehnten theoretisch und im Experiment beschäftigen, lässt sich für einen Laien kaum nachvollziehen. Trotzdem kann ein solcher Laie einen wertvollen Beitrag zu einem Problem der Quantenphysik leisten - mit einem Computerspiel, das Wissenschaftler von der Universität Aarhus in Dänemark entwickelt haben.

Michael Gessat im Gespräch mit Uli Blumenthal | 14.04.2016
    Der Startbildschirm von Quantum Moves im Retro-Look mit violetten "Play" und "Logout" Knöpfen vor schwarzem Hintergrund.
    Quantum Moves erinnert ein bisschen an ein Casual-Game, hat aber einen ernsten Hintergrund (ScienceAtHome)
    Michael Gessat: Das Spiel Quantum Moves gibt es in einer Windows- und einer MacOS-X-Version. Tatsächlich spielt man das am besten in der Tabletversion für Apple oder Android-Geräte, da ist das Programm jeweils in den AppStores erhältlich, und den Grund dafür sehen wir ziemlich schnell, wenn wir das Spiel mal ausprobieren.
    Uli Blumenthal: Wir sehen jetzt hier eine blau-grüne Wellenlinie, und in dem Wellental ist eine violette Flüssigkeit drin. Darunter ist ein Kreis, der Anfasser sozusagen für die Welle. Da gehe ich mit meinem Finger drauf und jetzt muss ich die Welle samt Flüssigkeit zur Seite bewegen, in einen Zielbereich, und dort loslassen.
    Gessat: Und zwar möglichst schnell ohne Flüssigkeit zu verlieren. Denn die gerät bei der Bewegung des Wellentals ins Schwappen. Da ist weder Hektik noch Übereifer angesagt. Das geht mit dem Finger besser als mit der Computermaus.
    Blumenthal: Ich bekomme jetzt hier nach jedem Versuch einen Punktwert angezeigt und auch eine Rangliste, wie ich mich im Vergleich zu anderen Spielern geschlagen habe.
    Gessat: Wenn der Versuch eher mau war, dann motiviert natürlich dazu, das nochmal zu versuchen. Die ersten Levels dienen dem Einstiegstraining, in den nächsten Etappen wird es komplizierter, da muss man mit einer leeren Welle die Flüssigkeit aus einer anderen - gefüllten abholen und in den Zielbereich bringen. Das ist dann das ernste Spiel, wo man den dänischen Wissenschaftler tatsächlich helfen kann, wenn man sich nämlich online einloggt, werden die Bewegungsdaten auf deren Server hochgeladen.
    Blumenthal: Was können die Quantenforscher mit den Daten aus dem Spiel anfangen?
    Gessat: Eine ganze Menge, denn die Aufgabe im Spiel bildet ein Problem sehr realistisch nach, mit dem die Forscher aktuell zu tun haben. Die wollen nämlich einen Quantencomputer bauen. Der besteht aus einer kleinen Anzahl von Atomen, die mit Laserstrahlen in einer Art Kristallgitter gefangen sind. Für Rechenoperationen müssen nun Atome bewegt werden, und zwar wiederum mit einer Art Laser-Pinzette. Und sie dürfen nicht zu langsam bewegt werden, weil sie sonst ihren Quantenzustand verlieren, aber auch nicht zu schnell. Die Frage ist nur – wo ist denn die Geschwindigkeits-Obergrenze, das sogenannte Quantum Speed Limit. Dafür gibt es auch keine mathematische "Lösung", da kann man sich nur möglichst optimal dran annähern – und da haben bisherige Rechenverfahren und Algorithmen noch schwer mit zu kämpfen.
    Blumenthal: Hier im Spiel entspricht also dieser Anfasser auf dem Touchscreen der Laser-Pinzette im Quantencomputer. Die besten Bewegungsmuster der Computerspieler können die Rechenergebnisse aus Supercomputern toppen?
    Gessat: Erstaunlicherweise ja. Das ist ja eine Optimierungsaufgabe, bei der eine Vielzahl von Faktoren dynamisch mit einwirken. Da kann man sich gute und schlechte Lösungen wie eine Landkarte mit Bergen und Tälern vorstellen. Bisherige Computeralgorithmen nehmen mehr oder weniger zufällige Eingangswerte für diese dynamischen Faktoren und beginnen dann zu rechnen. Wenn sie mit diesem Einstieg in die Optimierungs-Landkarte Pech haben, entdecken sie direkt einen scheinbar tollen Berg, eine vermeintlich gute Lösung und bleiben da hängen. Ein Mensch ist zwar einerseits so flexibel, verschiedene Ideen einmal kurz auszuprobieren, verschwendet aber keine Zeit auf zufälliges Herumgefuchtel. Die Spieler bei Quantum Moves konzentrieren sich offenbar sehr schnell und intuitiv auf einen erfolgversprechenden Ansatz und tüfteln da entsprechend weiter.
    Blumenthal: Quantum Moves ist ja nicht das erste Beispiel dafür, dass so ein fokussiertes oder intuitives Tüfteln in einem wissenschaftlichen Computerspiel erstaunlich gute Resultate bringt, können wir also generell sagen: Das Duell Mensch gegen Maschine ist noch nicht entschieden – trotz der Rückschläge wie kürzlich beim Brettspiel Go?
    Gessat: So stellen das jedenfalls die dänischen Wissenschaftler und die Begleitkommentare in Nature heraus – sehr sympathisch und enthusiastisch; die Crowd im Netz wäre da sozusagen ein menschlicher Super-Supercomputer. Im konkreten Fall war das ja auch wirklich so, da haben die Quantenphysiker jetzt die menschlichen Lösungen als neue Startpunkte in ihre Computermodelle eingebaut und den Schätzwert für das Quantum-Speed-Limit wesentlich verbessern. Aber das wird längst nicht bei jedem mathematischen Problem gehen, dass sich das attraktiv und realistisch genug in den Bereich des Intuitiven, in ein Spiel umsetzen lässt. Außerdem beruht schließlich unser intuitives Handeln auch auf Grundlagen, auf sozusagen anatomisch eingebauten, und auf Erfahrungen – und beides wird ja in der KI nachvollzogen. Vielleicht können also bald neuronale Netze bei Spielen wie Quantum Moves noch besser abschneiden als wir – dann wären die Maschinen wieder unter sich.