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Quatschbase contra Großer Schweiger

Psychologie. - Frauen reden am Tag durchschnittlich 20.000 Wörter, Männer nur 7000. Eine angebliche "wissenschaftliche Erkenntnis", die seit über 15 Jahren durch die Medien und das Internet geistert, wenn es um das Thema "Unterschiede zwischen den Geschlechtern" geht. Und die auch im Bestseller der amerikanischen Psychologin Luann Brizendine "Das weibliche Gehirn" zitiert. Fachkollegen der Autorin wollten dem Braten nicht trauen, haben einmal schlicht und ergreifend nachgezählt und die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Science" vorgelegt.

Von Michael Gessat |
    "Na, war wieder viel los heute im Büro? Hattest einen anstrengenden Tag, Schatz?"

    "Ging."

    "Soll ich dir noch ein Tomatenschnittchen und ein Bier bringen, Schatz?"

    "Jo."

    "”Das ist also der Witz oder die Situation, wo der Mann von der Arbeit nach Hause kommt und schon 6850 seiner 7000 Worte gesagt und also nur noch 150 über hat, und die Frau begrüßt ihn und hat aber noch 7500 Worte über; und das ist dann der Ursprung der Probleme zwischen den Geschlechtern.""

    Matthias Mehl, Psychologieprofessor an der University of Arizona in Tucson, kann durchaus nachvollziehen, dass die These vom Ungleichgewicht männlicher und weiblicher Beredsamkeit den meisten Menschen erst einmal plausibel vorkommt. Ohne Zweifel nämlich, sagt Mehl, gibt es in bestimmten Kommunikationssituationen, besonders bei Konflikten in einer Partnerschaft geschlechtstypische Verhaltensmuster: Die Frau möchte über das Problem reden, der Mann zieht sich lieber zurück.

    "”Und ich vermute einmal, dass sich so das Stereotyp entwickelt hat: als ein Erklärungsversuch für das Beziehungsmuster ‚reden wollen’ kontra ‚sich zurückziehen’. Aber weil die Sache für uns so wichtig ist und weil wir dazu neigen, Unterschiede zwischen den Geschlechtern wie unter der Lupe zu sehen, verallgemeinern wir allzu stark. Und anstatt also zu sagen: ‚Frauen reden lieber über einen Konflikt, und Männer reden lieber nicht drüber’, sagen wir: ‚Frauen reden ständig und Männer nie’.""
    Um diese These auf ihren wissenschaftlichen Gehalt zu prüfen, rekrutierten Mehl und seine Kollegen an verschiedenen amerikanischen Hochschulen insgesamt 400 Studenten und Studentinnen, die bereit waren, sich für jeweils ein paar Tage von morgens bis abends belauschen zu lassen. Dazu mussten sie ein kleines digitales Aufnahmegerät mit sich herumtragen. Und das sammelte akustische Stichproben: Wann genau, das war für die Versuchspersonen nicht wahrnehmbar. Nach Testende hörten die Psychologen die Aufnahmen ab, schrieben das Gesprochene auf, zählten die Wörter und rechneten die Anzahl auf einen Tag hoch. Mehl:

    "”Das Ergebnis ist: Es gibt absolut keinen geschlechtstypischen Unterschied, wie viel Männer und Frauen reden. Wir kamen bei Frauen auf durchschnittlich 16.200 und bei Männern auf 15.700, also ein weiblicher Vorsprung von 500 Wörtern. Aber die gesprächigste Person gebrauchte 47.000 Wörter, die schweigsamste 700. Das ist eine gewaltige Bandbreite, und verglichen mit diesen individuellen Unterschieden verschwindet jeder systematische Unterschied zwischen Männern und Frauen, die 500 Wörter Differenz bedeuten da gar nichts.""


    Nun sind die Testpersonen in der Studie allesamt Studenten; gebildet, jung, die meisten wahrscheinlich nicht ganz uninteressiert am anderen Geschlecht. Das Musterbeispiel der Nicht-Kommunikation, der nach langen Ehejahren abgeschlaffte Bier- und Unterschichten-TV-Konsument also, der kam bei der Untersuchung nicht zu Wort, oder besser zum Schweigen. Diese Einschränkung sieht auch Matthias Mehl. Dennoch, wenn das weibliche Denkorgan wirklich biologisch "festverdrahtet zum Reden" wäre, wie die Autorin eines aktuellen Bestsellers behauptet, dann müsste das auch in der relativ homogenen Versuchsgruppe durchschlagen. Mehl:

    "Ich denke, wir haben zumindest diese These auch mit unseren studentischen Testpersonen widerlegt. Was immer es auch für gehirnbasierte Unterschiede geben mag, sie zeigen sich jedenfalls nicht im Verhalten. Die Frage ist aber natürlich, und da sollte man weiterforschen: Wie beeinflussen kulturelle Faktoren das Verhältnis von Geschlecht und Redehäufigkeit?"