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Queen Elizabeth II.
Familiäre Vertrautheit

Am Mittwoch bricht die Queen einen Rekord: Sie wird dann länger im Amt sein als jede weibliche Regentin vor ihr. Es gehört eigentlich zur demokratischen Hygiene, dass eine solch lange Regierungszeit unterbunden wird. Denn Dauer ist die diktatorische Seite der Macht. Doch bei nüchterner Betrachtung unserer Berufspolitiker schneidet das Königtum nicht schlecht ab, findet Burkhard Müller-Ullrich.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 08.09.2015
    Queen Elisabeth II. auf ihrem Deutschland-Besuch in Frankfurt am Main
    Queen Elisabeth II. auf ihrem Deutschland-Besuch in Frankfurt am Main (imago/i Images)
    Die Politik hat sich zwar in grauer Vorzeit aus der Familie heraus entwickelt, aber heute erscheinen uns diese beiden Bereich als absolute Gegensätze: hier der öffentliche Bereich der Politik, der res publica, der staatlichen Verfassung und Verwaltung, dort der private Bereich des biologischen Geworden- und Geworfenseins, der Blutsbande und primären Lebensvollzüge. Noch deutlicher wird diese Entgegensetzung vor dem Hintergrund der vergehenden Zeit: Während das politische Personal, während Präsidenten, Kanzler und Minister ständig wechseln, bleiben Familienmitglieder immer dieselben. Man kann sich letztere auch nicht aussuchen, es gibt da keine Demokratie.
    Es gibt allerdings eine Klammer zwischen diesen beiden Welten, nämlich die Monarchie. Das Königtum ist ja eine im Laufe der Menschheitsgeschichte hochdestillierte und in die Breite getragene Form von Clan-Herrschaft, welche auf nichts als Familienbanden beruht. Das Wesentliche an der Monarchie ist bis heute - und heute, nachdem sie ihren Absolutheitsanspruch längst verloren hat, mehr denn je - die Dimension der Dauer. Langlebigkeit gehört gewissermaßen zu den wichtigsten königlichen Aufgaben in unserer kurzatmigen Zeit.
    Elisabeth II. erfüllt diese Aufgabe mit Bravour. Viele Briten, selbst in fortgeschrittenem Alter, sehen in ihr einen begleitenden Bestandteil ihrer eigenen Biografien. Elisabeth regierte schon, als die Leute zur Schule gingen, heirateten und Kinder bekamen. Sie regiert immer noch, da inzwischen die Kinder heiraten. Obwohl die Queen der politischen Sphäre angehört, empfindet das Volk eine fast familiäre Vertrautheit mit ihr. Wäre sie wirklich Politikerin, wäre das eine geradezu gefährliche Gefühlslage.
    Königlicher Sirup aus Formvollendung und Zurückhaltung
    Es gehört eigentlich zur demokratischen Hygiene, dass dergleichen unterbunden wird. Denn Dauer ist die diktatorische Seite der Macht. Eine Diktatur entsteht, wenn kein kalendarisches Datum, sondern nur der Tod die Herrschaft begrenzt. Oft bleibt die Herrschaft sogar darüber hinaus in der Familie. Doch eine moderne Monarchie ist deswegen keine Diktatur, weil sie sich durch eine besondere Balance des Machtgefüges auszeichnet: hier die Politiker mit ihrer demagogischen Energie, ihrer ideologischen Agenda, ihrem Geltungsdrang, ihrem Hang zur Selbstbereicherung und ihrem kurzfristigen Horizont, der durch die nächste Wahl bestimmt wird, dort die Fürstenfamilie, deren Zeitmaß die Generationen sind, die nichts erwerben muss und das Volkswohl als ihr eigenes im Auge hat.
    Heutzutage sind Royalisten rar, aber bei nüchterner Betrachtung unserer Berufspolitiker schneidet das Königtum nicht schlecht ab. Es verbindet die Menschen mit ihrer Geschichte. Es zeigt, dass es in der Geschichte - allen Systembetrachtungen zum Trotz - doch auf einzelne Personen ankommt. Und es pflegt eine Repräsentationsästhetik, die uns auf tragische Weise verloren gegangen ist. Das klassische Hofzeremoniell ist immer noch jedem Medienklimbim an gestalterischer Kraft und Schönheit überlegen. Deswegen nähren sich die Medien ja vampirartig vom königlichen Sirup aus Formvollendung und Zurückhaltung.
    Die Monarchie verkörpert das grundsätzliche Einverständnis eines Volks mit seinen Verhältnissen, wo es daran fehlt, kommt es früher oder später zur Revolution. Insofern ist das Königtum ein Indikator; es ist der äußere Ausdruck eines inneren Gleichgewichts - das gilt von Spanien bis Schweden und von Großbritannien bis zu den Niederlanden, also in völlig verschiedenen Kulturen mit völlig verschiedenen Mentalitäten. Gerade die identitätswunden Seelen der heutigen Menschen spüren, dass Identität auch eine zeitliche Dimension hat. Gewohnheit ist auch eine Heimat, wenn auch oft eine heimliche. Die Monarchie ist, kurz gesagt, ein Epiphänomen der menschlichen Beharrungssehnsucht; deswegen taugt sie sogar als Touristenmagnet.