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Queere Band PWR BTTM
Hoch geflogen, tief gefallen

Mit ihrem Musikprojekt PWR BTTM verfolgen Liv Bruce und Ben Hopkins einen radikal queeren Ansatz. Bisher haben Presse und Fans sie dafür geliebt. Aber die Veröffentlichung ihres zweiten Albums "Pageant" wird von heftigen Vorwürfen überschattet.

Von Christoph Reimann | 16.05.2017
    Ben Hopkins von PWR BTTM beim International Music Festival in Rennes
    Ben Hopkins von PWR BTTM beim International Music Festival in Rennes (Marc Ollivier/MAXPPP/dpa/PHOTOPQR/OUEST FRANCE)
    "My impression of Liv was: This queen is breaking an entering into my house cuz she just walked into my house", sagt Ben Hopkins. "I mean I didn't break into the house. I just entered", fügt Liv Bruce hinzu.
    Liv Bruce und Ben Hopkins erzählen, wie sie sich kennengelernt haben, 2011 am College. Bruce ist auf der Suche nach einer Party und landet in der Wohnung von Hopkins. Die beiden beäugen sich: Ben, der queere Riese, und Liv, transfeminin und aufgetakelt. Im Interview albern die beiden rum und machen selbstironische Witze. Genauso wie in ihren Songs, die sie als PWR BTTM veröffentlichen.
    Vorwürfe auf Twitter
    Das Lachen dürfte den beiden Mittzwanzigern inzwischen vergangenen sein. Wenige Stunden nach dem Interview verbreiten sich in den sozialen Medien unter Pseudonym Anschuldigungen gegen Ben Hopkins. Zitat:
    "Ben from PWR BTTM is a known sexual predator, perpetrator of multiple assaults, etc., and u should avoid going to their shows/boycott their music/not allow them in safe spaces."
    Ben von PWR BTTM sei ein bekannter Sexualverbrecher, sei mehrmals übergriffig geworden und so weiter. Angeblich, das wird später bekannt, habe Hopkins etwa nach einem Konzert Sex mit einer Person ohne deren Einverständnis gehabt.
    "Ihr solltet keine Konzerte der Band besuchen, ihre Musik boykottieren und ihnen den Zugang zu Safe Spaces verwehren."
    Heißt es weiter in der ersten Nachricht, die die Runde macht. Safe Spaces kommen aus der queeren und feministischen Szene. Gemeint sind abgegrenzte Bereiche, in denen bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriert werden. Bei Konzerten etwa, dass auf heftigen Körperkontakt und Grabschereien der Rausschmiss folgt. PWR BTTM hatten sich selbst bei ihren Auftritten für Safe Spaces stark gemacht. Wie überhaupt für einen respektvollen Umgang miteinander und für ein stolzes queeres Selbstverständnis.
    Eigentlich hätte es in diesem Beitrag darum gehen sollen ...
    "Yes I'm a big, bad sissy and I'm gonna make you listen when I say …"
    "Ja, ich bin eine große, böse Sissy", singt Liv Bruce auf dem neuen Album "Pageant". Sissy, das ist die abwertende Bezeichnung für einen femininen Mann. Eine Anfeindung, die Bruce selbst erlebt hat.
    Liv Bruce von PWR BTTM trägt ein Blumenkleid und spielt Schlagzeug
    Liv Bruce von PWR BTTM beim International Music Festival in Rennes (Marc Ollivier/MAXPPP/dpa/PHOTOPQR/OUEST FRANCE )
    "Manchmal, wenn ich auf dem Weg nach Hause bin, werde ich auf der Straße schief angeguckt. Und ich denke mir: Hätte ich mich bloß anders angezogen", erzählt Liv Bruce. "In dem Song 'Sissy' gehe ich aus so einer Situation triumphierend hinaus. Aber so läuft es nicht immer. In der Situation, die ich in dem Song beschreibe, habe ich gar nichts gesagt."
    Eigentlich hätte es in diesem Beitrag darum gehen sollen, wie solche Songs Mut machen können, wie negativ besetzte Begriffe von Minderheiten umgedeutet werden. Und dass PWR BTTM dieses Prinzip nicht nur auf der Textebene verfolgen, sondern auch musikalisch weiterdenken. Indem sie sich die E-Gitarre, die wie kein zweites Instrument für männlich-heterosexuelle Posen steht, aneignen - und damit etwas immer noch Ungewöhnliches in die queere Musik bringen. Auf dem zweiten Album "Pageant" noch überzeugender als auf dem Debüt.
    Aber die Vorwürfe - sexuelle Belästigung, Übergriffe - wiegen schwer. Ein Shit-Storm gerade zum neuen Album. Tour-Musiker haben sich inzwischen von der Band distanziert, Konzerte wurden abgesagt, das Label in den USA hat die Zusammenarbeit mit PWR BTTM beendet. Ben Hopkins und Liv Bruce haben ein Statement abgegeben: Die Anschuldigungen kämen überraschend und repräsentierten nicht, wer Hopkins sei. Wahrscheinlich wird das aber auch nichts mehr helfen. PWR BTTM standen eben für einen progressiven Umgang mit Sex und Gender. Dieses Image ist nun mehr als angekratzt.