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Quelle aller Emotionen

Neurologie. - Mikroelektroden liefern uns inzwischen genaue Messungen über die elektrischen Impulse von einzelnen Nervenzellen und per Kernspintomographen erhalten wir Bilder und sogar Filme des gesamten Gehirns während seiner Arbeit. Doch während immer genauere Instrumente immer mehr Daten zum Kernorgan des Menschen liefern, so bleibt doch eine Frage davon weitgehend unberührt: Wo eigentlich entstehen Gefühle. Ein in Frankreich tätiger Psychologe hat dazu seine ganz eigenen Ansichten, wie er jetzt in seinem Vortrag "The Origin of feel" bewies.

    Auf einem Holzweg seien Neurologen, wenn sie in Sachen Gefühlen irgendwelchen physiologischen Abläufen im Gehirn nachspürten. Das Organ, so meint der Experimentalpsychologe Kevin O'Regan von der Universität Boulogne-Billancourt nahe Paris, habe mit Gefühlen gar nichts zu tun: "Gefühle sind vielmehr etwas, was wir tun. Daher ist das Porschefahrgefühl auch anders als das VW- oder das Fahrradfahrgefühl. Rot sehen und fühlen ist anders als eine Glocke läuten zu hören und gänzlich anders als Schmerzgefühl." Gefühle seien vielmehr ein Handwerk, das Lebewesen erlernt haben und reproduzieren, wenn bestimmte Situationen in der Umwelt dazu passen.

    "So ist der sensorische Input und die Reaktion des Körpers darauf komplett anders, wenn man rot oder grün sieht. Wenn man etwa rot unter verschiedenes Licht hält, da reagiert der Körper jedes mal anders - er hat gelernt, in verschiedenen Situationen andere Reaktionen auszuführen", so der Psychologe. Dieses erlernte Wissen aus erlebten Situationen regele das daraufhin ablaufende Gefühl. Kevin O'Regan gibt ein Beispiel: Streichele man über längere Zeit sowohl einen Gummiarm als auch den natürlichen Arm, beide durcheine Plexiglasscheibe voneinander getrennt, dann reagiere schließlich der wirkliche Arm auch dann, wenn nur noch der Plastikarm liebkost werde. Fühlen habe also etwas mit Erlerntem sowie mit sensorischem Empfinden zu tun. Wer sich dagegen nur erinnere, fühle dagegen nichts, so der Forscher. Daher führte O'Regan die beiden Begriffe Bodiliness und Grabbiness zur Untermauerung seiner Theorie ein: "Bodiliness bezeichnet die direkte Verbindung von sensorischer Wahrnehmung mit körperlicher Bewegung - sobald man den Körper bewegt, ändert sich auch die Körperreaktion." Denke man aber nur etwa an seine Großmutter und bewege dabei seinen Körper, geschehe nichts. Erst wenn man aber die Großmutter sehe und seinen Körper dabei bewege, stürzten wahre Fluten an Gefühls-Input auf den Körper ein.

    Grabbiliness ist ein ähnliches System sensomotorischer Vorgänge. Sobald Vorgänge in der Umwelt stattfinden, richten sich die Reaktionsabläufe des Körpers gezielt darauf aus, so ist O'Regan überzeugt. Sollte der Psychologe Recht behalten, hätte dies erstaunliche Bedeutung auch auf einem völlig anderen Gebiet: Wenn Gefühle letztlich Tätigkeiten sind, die ein Lebewesen durch Kenntnis bestimmter Situationen ausführt, dann müssten entsprechend auch Roboter Gefühle besitzen.

    [Quelle: Udo Seiwert-Fauti]