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Quelle des Lebens

Wasser ist die Quelle des Lebens. Das "blaue Gold" ist aber nicht nur überlebenswichtig für Mensch und Tier, sondern prägt auch unsere Kulturen. An Wasserwegen entstehen Handelsstädte, die Architektur wird durch das Wasser geprägt und religiöse Bade- und Waschrituale entwickelt. Mit dem Wasser als Kulturgut beschäftigte sich das "Kompetenzzentrum Wasser" in Berlin.

Von Bettina Mittelstraß |
    "Es gibt eine elementare Wasserangst, die man fast nicht zu lernen hat. Und es gibt auf der anderen Seite vom Kleinstkind an so etwas wie eine Badelust, dieses unglaubliche Genießen des Leichtwerdens des Körpers im Wasser, und von dort her lernen wir in vieler Hinsicht ja auch körperliche Genüsse und auch emotionale Zustände an uns im Umgang mit dem Wasser."

    Der Berliner Kulturtheoretiker Professor Hartmut Böhme. Zwischen Angst vor dem Wasser und Lust am und mit dem Wasser entfaltet der Mensch von Anfang an Kultur. Die bedrohliche Seite des Wassers verlangt den sesshaften Menschen zunächst einen ganz praktischen und technischen Umgang mit dem Wasser ab:

    "Dafür gibt es einerseits soziale Organisationsformen, indem man etwa Wasserverteilungssysteme organisiert oder indem man technische Einrichtungen schafft, wie man Schiffbarkeit von Flüssen besser reguliert, wie man überhaupt Schifffahrt organisiert. Das sind ja überhaupt technische Erfindungen allerersten Ranges. Noah gilt ja als der Erfinder des Schiffes in biblischer Tradition mit der Gründung der Arche, während alle anderen untergingen. Also Wasser und Technikgenese hängen zusammen. Und natürlich gehören auch so etwas wie Regulierung, Bewässerungssysteme, Deichbau et cetera dazu, um mit den Gefahren des Wassers besser umzugehen."

    Die lebensnotwendige Seite des Wassers hat den Menschen trotz aller Gefahren nie daran gehindert, das Wasser gezielt aufzusuchen und vor allem am Wasser zu siedeln und Städte zu bauen. Meere, Seen und Flussläufe, sagt der Historiker Christoph Bernhardt vom Leibniz Institut für Regional- und Strukturforschung in Erkner, hatten für Städtegründungen und die erfolgreiche Entwicklung der Städte zentrale Funktionen:

    "Das die handelspolitische Funktion. Das heißt, schon sehr früh bei den Römern ist die Lage an handelspolitisch strategischen Punkten der Wasserwege entscheidend. Das ist der eine Punkt. Und dann kommen als zweites ergänzende Motive hinzu, wie zum Beispiel die Verteidigungsmöglichkeit durch die Umgebung mit größeren Wasserflächen, die die Natur auch schon geschaffen hat."

    Über die Jahrhunderte hinweg strukturiert der Umgang mit Wasser menschliche Siedlungen. Er bestimmt den Alltag von Trinken und Essen über Wäsche waschen bis hin zum Vergnügen mit Wasser in städtischen Gärten oder Parkanlagen. Der Umgang mit Abwasser markiert im 19. Jahrhundert unter anderem einen medizinischen Fortschritt.

    "In den Städten kommt es zu dieser, man könnte sagen hygienischen Revolution mit der Einführung der Wasser- und Abwasserleitungsnetze, die eben in der Tat sanitär enorme Fortschritte brachten und die Krankheitsraten gerade bei Typhus und Cholera enorm gesenkt haben."

    Aber Wasser steht nicht nur im Zusammenhang mit im weitesten Sinne technischen Kulturleistungen. Die Angst vor dem Untergehen im Wasser, dem Ertrinken oder auch vor dem Mangel an Wasser, dem Verdursten, sind auch Gründe für die Entstehung von Kulturpraktiken wie zum Beispiel Religion. Hartmut Böhme:

    "Die Antworten, die auf solch großen Katastrophen wie Überschwemmungen oder Feuerkatastrophen, Erdbeben und so weiter gegeben wurden, sind symbolischer Art. Die Menschen konnten sich praktisch gar nicht wehren, sondern sie konnten nur in der Form religiöser Systeme Antworten finden, und das heißt eigentlich Trostgebärden und Leidensbewältigung organisieren. Und das ist auch bis heute eine bleibende Aufgabe von Kultur! Dass wir Krisen und Katastrophen symbolisch zu bearbeiten in der Lage sind."

    Wo in der Gesellschaft Trost spendende heilige Räume entstehen, die von unheiligen abgegrenzt sind, wo symbolisch von Reinheit und Unreinheit die Rede ist erhält Wasser noch mal besondere Bedeutung. Körperhygiene ist dann längst nicht mehr gemeint.

    "Wenn wir in Bezug auf Wasser reden, dann reden wir über klares Wasser oder trübes Wasser, schmutziges oder sauberes Wasser, und das sind sozusagen materielle Erfahrungen mit dem Aggregatzustand Wasser, die man natürlich auch symbolisch generalisieren kann oder in eine andere Interpretationsebene heben. Und das wäre dann, dass Wasser auch in der Sphäre des Heiligen eine Rolle spielen kann. Nämlich dass das heilige Wasser, das Taufwasser etwa oder das Wasser des Lebens, so etwas wie das Medium ist, in dem ein Mensch erst seine zweite und wirkliche Identität als soziales Wesen - in der Taufe etwa - zugesprochen erhält. Oder wo das Wasser des Lebens eine Reinigungskraft hat, die zu einer vollkommenen Umarbeitung eines korrupten Existierens in der Welt zum Ziele haben kann."

    Es ist ungewöhnlich, wenn sich ausgerechnet Ingenieure und Wasserwirtschaftler mit Geschichte oder Religion, kurz mit dem Kulturgut Wasser auseinandersetzen, wie auf der Tagung in Berlin, die das Kompetenzzentrum Wasser zusammen mit Berliner Wasserversorgern organisiert hat.

    Vor dem Hintergrund der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000, die eine umweltverträgliche und nachhaltige Wassernutzung zum Ziel hat, nimmt allerdings das Bedürfnis zu, Expertenwissen zu bündeln und um eine, die kulturelle Perspektive auf das Phänomen Wasser, zu erweitern. Ludwig Pawlowski, Geschäftsführer Kompetenzzentrum Wasser Berlin.

    "Als Ingenieur muss ich mir darüber im Klaren sein, dass die wasserbezogenen Denkweisen, die Emotionen, die da drauf bezogen wird in der Wassergestaltung im Sinne von Versorgung oder Umweltgestaltung mitwirken in der Gesellschaft. Wenn wir über die Nachhaltigkeit einer Wasserwirtschaft sprechen, so müssen wir immer wieder uns auch deutlich vor Augen führen, dass Wasser auch eine soziale Funktion, eine kulturelle Funktion erfüllen muss und dass es dafür gesellschaftliche Auseinandersetzung geben muss."

    Eine neue Wertschätzung von Wasser ist notwendig, eine weltweite juristisch geregelte Ordnung von Wasser muss her, sagt Hartmut Böhme, um den gegenwärtigen Problemen zu begegnen. Ein Menschenrecht auf Wasser wird derzeit diskutiert. Ob die moderne Wellness-Bewegung oder die Tatsache, dass Ufern und Wasser in den Städten heute immer mehr Erlebnisqualität zugesprochen wird, wirklich Anzeichen für eine neue Wertschätzung von Wasser sind, sei dahingestellt.

    Sicher ist, dass wir die Lösung weltweiter Wasserprobleme mit allen kulturellen Errungenschaften angehen müssen, die wir auch Dank des Wassers entwickelt haben.

    "Das Phänomen ist universal, jedenfalls in globalem Maßstab. Es ist absolut, es ist unhintergehbar, es ist absolut existenziell, es ist lebensnotwendig und die gesamte Ökologie des Globus hängt von dem Wasser ab. Und an diese Absolutheit heran zu kommen, dafür nützt es auch, wenn man sich mit historischen, kulturellen und vor allen Dingen auch kulturtheoretischen Dimensionen des Wassers auseinandersetzt."