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Quentin Tarantino
"Meine Filme werden hoffentlich Klassiker, die die Zeiten überdauern"

Beinahe wäre sein neuer Film gar nicht zustande gekommen: Jemand hatte das Drehbuch zu "The Hateful Eight" zuvor ins Internet gestellt und Regisseur Quentin Tarantino überlegte, das Projekt abzublasen. Vor Journalisten erzählt er, was ihn daran so gestört hat, warum der Film etwas Besonderes ist und was er für die Zukunft plant.

Aufgezeichnet von Sigrid Fischer |
    Regisseur Quentin Tarantino bei der Deutschlandpremiere "The Hateful Eight" in Berlin
    Regisseur Quentin Tarantino bei der Deutschlandpremiere von "The Hateful Eight" in Berlin. (imago / pixelpress)
    Frage: Einige Ihrer Kollegen wollen die Oscarverleihung boykottieren, weil zum zweiten Mal in Folge nur weiße Schauspieler nominiert wurden. Haben Sie eine Meinung dazu?
    Quentin Tarantino: Nein, eigentlich nicht. Das heißt, doch: Ich bin nicht nominiert, ist mir also egal, was die machen. (lacht)

    Frage: In "The Hateful Eight" und auch in "Django Unchained" geht es um Rassismus in Amerika, und Sie haben kürzlich öffentlich ein Statement zur Polizeigewalt gegen Schwarze abgegeben, also ist es Ihnen doch nicht egal.
    Tarantino: Natürlich ist das ein wichtiges Thema, nicht zuletzt deshalb spielt es in fast allen meinen Filmen eine Rolle. Und die Rassenproblematik in Amerika ist ein Thema, das ich dem Westerngenre hinzufügen kann. Wenn Sie an die großen Westernregisseure der Vergangenheit denken, ob an die amerikanischen oder die italienischen, oder an jemanden wie den Deutschen Alfred Vohrer, die haben sich alle nicht damit beschäftigt. Wenn ich versuche, an die großen Westernregisseure heranzukommen, wenn ich zum Beispiel mal auf eine Stufe gestellt werde mit Anthony Mann, dann ist das mein Weg dahin. Weil das etwas ist, das ich dem Genre beisteuern kann.
    Frage: Nachdem das Drehbuch von "The Hateful Eight" vorzeitig im Internet kursierte, wollten Sie den Film schon aufgeben, dann aber haben Sie eine Lesung des Drehbuchs auf einer Theaterbühne veranstaltet und schließlich doch weiter gedreht. War die Lesung das ausschlaggebende Moment?
    Tarantino: Tatsächlich kamen zwei Dinge zusammen. Ich habe ja für die Lesung drei Tage mit den Schauspielern geprobt, und da wusste ich schon, dass ich weiterdrehen würde. Denn da hatte ich sechs von meinen Schauspielern beisammen, für die ich diese Rollen ja geschrieben hatte, und die lasen ihre Dialoge. Da wusste ich einfach, dass ich weitermachen würde. Und der andere Grund war: Ich hatte mich inzwischen wieder beruhigt.
    "Alle meine Drehbücher sind irgendwann im Internet gelandet"
    Frage: Können Sie verstehen, warum Fans von Ihnen, die es nicht erwarten können, den neuen Tarantinofilm auf der Leinwand zu sehen, dass die das Skript hacken und es lesen und sich damit doch den Moment und die Spannung auf Ihren Film kaputtmachen?
    Tarantino: Aber das ist doch interessant, denn alle meine Drehbücher sind irgendwann im Internet gelandet. Das zu "Django Unchained" war zum Beispiel eineinhalb Jahre bevor der Film herauskam im Netz. Das zu "Inglourious Basterds" genauso. Als ich zu den Dreharbeiten nach Deutschland kam, wurde ja schon ganz viel über bestimmte Details darin spekuliert. Das hat mich aber alles nicht gestört, weil ich sehr stolz auf meine Drehbücher bin. Ich möchte ja, dass die Leute sie lesen. Und wenn Sie lieber das Skript lesen würden als den Film ansehen, dann wäre das okay für mich, weil Sie doch dann Ihre eigene künstlerische Erfahrung mit diesem Film machen würden. Ich meine, der durchschnittliche Kinogänger würde ja so ein Drehbuch gar nicht lesen, schon deshalb mach ich mir da wenig Sorgen.
    Frage: Warum haben Sie sich denn dann im Fall von "The Hateful Eight" über den Drehbuchklau so geärgert?
    Tarantino: In diesem Fall wollte ich das Drehbuch anders angehen als sonst. Bis dahin hatte ich es immer wie einen großen Roman verfasst. Aber dieses Mal wollte ich drei verschiedene Entwürfe schreiben. Ich wollte mir Zeit nehmen, um die Geschichte jedes Mal etwas anders zu erzählen. Und besonders beim ersten Entwurf war ich völlig frei, er musste nur irgendwie zum Ende kommen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Sache mit dem Brief von Abraham Lincoln, den der schwarze Kopfgeldjäger bei sich trägt. Der taucht im ersten Entwurf auf, allerdings nur bei der Kutschfahrt am Anfang. Ich wusste da schon, dass ich irgendwann noch mehr damit machen wollte, aber noch nicht in diesem ersten Entwurf. Aber der ist dann in Umlauf gelangt. Als ich ihn gerade beendet hatte und bereit war, den nächsten Schritt zu gehen. Das war ein Übergriff in einer kritischen Phase des ganzen Prozesses.
    Roadshow-Version: "Damit ist der Film etwas Besonderes"
    Frage: Sie haben mit Kameralinsen aus den 60er-Jahren gedreht, im 70 mm-Format und auf entsprechendem Filmmaterial aus der Zeit. Warum das alles?
    Tarantino: Weil ich es unbedingt wollte und weil ich mich in einer Situation befand, in der ich es mir erlauben konnte, in 70 mm zu drehen. Und bevor das Format ganz verschwindet, wollte ich das noch mal ausnutzen. Und es wäre doch schön, wenn das alle noch mal sehen, bevor es nicht mehr existiert. Und vielleicht sagt ihr ja beim Goodbye-winken: Moment! Vielleicht ist das ja erhaltenswert.
    Frage: Das hat ja was Nostalgisches, sind Sie so ein Typ? Hören Sie auch Musik auf Vinyl?
    Tarantino: Auf jeden Fall ziehe ich Vinyl der CD vor.
    Frage: Ebenfalls nostalgisch ist die Idee, "The Hateful 8" auch in einer sogenannten Roadshow zu zeigen, wie es sie in den 60er-Jahren gab. Und deshalb kommt der Film auch in zwei Schnittfassungen in die Kinos.
    Tarantino: Als die Idee der Roadshow-Version aufkam, fand ich die gut. Das gab immer viel Spaß in den 60ern. Also das war vor meiner Zeit, nicht dass ich mich daran erinnern würde, ich hab die später auf DVD gesehen, wie wohl fast jeder. Und meine Roadshow-Version konnte so lang sein wie sie eben ist, und sie hat einen Musikprolog und eine Pause und man bekommt ein kleines Booklet dazu. Damit ist der Film etwas Besonderes und nicht mehr einfach einer von vielen im Kinocenter. Das ist wie Placido Domingo in der Pariser Oper oder Al Pacino am Broadway. Diese Fassung ist für die Leute, die genau das wollen. Wenn Du mein Fan bist und abends dahingehst und dafür mehr zahlst, dann schenkst Du mir das, wenn Du dahin gehst, gehörst Du mir. Und dann gibt es noch die andere Version im Kino, die ist etwas unverbindlicher, die fordert einen etwas weniger. Und das ist genauso okay, der Film funktioniert auch so.
    "Ich hab ein Format gewählt, das unsere Fragilität offenlegt"
    Frage: Kurt Russel, der ja schon "Death Proof" mit Ihnen gedreht hat, meinte, Sie seien dieses Mal konzentrierter gewesen. Finden Sie das auch?
    Tarantino: Ich wurde schon gefragt, wie der 70 mm-Dreh alles andere verändert hat. Das hat er gar nicht so sehr, das war nicht viel anders als in 35 mm. Aber es ist eben teurer, so zu drehen, und schon deshalb war ich in jeder Einstellung konzentrierter. Es war keine Zeit, sich gehen zu lassen. Außerdem war der Bildausschnitt so groß, dass einfach jedes Detail stimmen musste. Wenn der Raum, in dem sich alles abspielt, nicht 100 Prozent richtig aussieht, was machen wir dann? Ich habe eben ein Format gewählt, das unsere Fragilität offenlegt.
    Frage: Sie sprechen immer wieder davon, dass Sie noch zwei Filme drehen und dann aufhören wollen? Warum denn, wenn Sie das Filmemachen so begeistert?
    Tarantino: Meine Antwort darauf ist: Ich bin Künstler, es geht um mein filmisches Werk, nicht um eine Karriere, die ich so lange wie möglich erhalten und in die Länge zu ziehen versuche. Meine Filme werden hoffentlich Klassiker, die die Zeiten überdauern. Und das bringe ich zu Ende und dann sage ich: Das ist mein Dialog mit der Filmgeschichte. Mein Beitrag dazu. Und danach mach ich was anderes, dann schreibe ich Bücher, Bücher übers Kino und schreibe und inszeniere Theaterstücke.
    Meine Arbeit geht sowieso in Richtung Literatur. Das ist also ein ganz natürlicher Prozess. Dazu kommt, dass ein Film immer um die drei Jahre Zeit kostet. Das Schreiben dauert alleine schon ein Jahr. Wenn ich also noch zwei Filme drehe, sind das noch sechs Jahre. Und die Filmlandschaft hat sich schon in den letzten sechs Jahren so verändert, wenn das so weitergeht, ist für mich in sechs bis acht Jahren vielleicht kein Platz mehr darin.