Archiv


Querdenker unerwünscht

Die Meldung aus dem Bundesumweltministerium kam am 23. Dezember kurz nach 15 Uhr unter der Überschrift Personalien. Wer um diese Zeit, am Nachmittag vor Heiligabend, eine Pressemitteilung herausgibt, hat - wenn es sich nicht gerade um eine Eil- und Schreckensmeldung handelt - entweder nichts Gravierendes mitzuteilen, oder aber er will etwas verstecken. Und genau dieser Eindruck drängt sich auf bei der Meldung, dass Bundesumweltminister Jürgen Trittin die Mitglieder der Reaktorsicherheitskommission neu berufen hat. 13 Fachleute werden genannt. Darüber hinaus ist aber auch interessant, wer nicht oder nicht mehr genannt wird. So fehlt der ehemalige Atommanager Eberhard Grauf, der lange Zeit bei EnBW unter Vertrag stand. EnBW steht für Energie Baden-Württemberg. Und der Energiekonzern soll es auch gewesen sein, der beim Bundesumweltminister auf eine Ablösung des Atomexperten gedrängt hatte. Nachdem Trittin diesen Wunsch des Konzern nun erfüllt hat, ist die Empörung in Baden-Württemberg groß.

Von Ludger Fittkau |
    Für uns ist das völlig überraschend und bisher nicht nachvollziehbar, weil ja der Herr Grauf insgesamt als ein sehr guter Fachmann in Sicherheitsfragen von allen Seiten bezeichnet wurde und wir auch den Eindruck hatten, dass die EnBW möglicherweise Vorstöße macht, den Herrn Grauf aus dieser Reaktorsicherheitskommission zu entlassen, aber der Herr Trittin bis zu einem bestimmten Zeitpunkt immer widersprochen hat und gesagt hat: Fachleute sind wichtig, unabhängig davon, ob sie jetzt noch irgendwo in einem Kernkraftwerk arbeiten. Plötzlich diese Entscheidung: Sie ist nicht erklärbar.

    Wolfgang Drexler ist der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag von Baden-Württemberg. Er ist genauso überrascht von der Entscheidung des Bundesumweltministers Jürgen Trittin, den ehemaligen Atommanager Eberhard Grauf aus der Reaktorsicherheitskommission des Bundes zu entlassen, wie Sylvia Kotting-Uhl, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg:

    Ich kann das im Moment schlecht bewerten, da ich Jürgen Trittin selber dazu nicht sprechen konnte. Es ist eben gerade die Zeit der vielen Feiertage und der Urlaube. Es ist unbestritten so, dass Grauf wohl tatsächlich entlassen wurde in Neckarwestheim, weil er sich um Sicherheit andere Sorgen gemacht hat als die EnBW. Es ist jedenfalls sicher einer, der die Sicherheitsfragen sehr ernst nimmt. Von daher ist es nicht ganz nachvollziehbar, warum er jetzt nicht mehr in der RSK Mitglied ist.

    Doch zu Graufs Rausschmiss aus der RSK - der Reaktorsicherheitskommission - will der Bundesumweltminister auch nach seinem Urlaub nicht mehr Stellung nehmen, teilte seine Pressestelle auf Nachfrage mit. Und auch Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt, der Leiter der Reaktorsicherheitskommission, will zu dem Fall nicht öffentlich Stellung nehmen, da er keinen Mehrheitsbeschluss des Gremiums habe, so der bekannte Atom-Kritiker am Telefon. Gefragt, wer zur fachlichen Qualifikation von Eberhard Grauf etwas sagen könne, verweist der Chef des deutschen Kernkraftwerk-Aufsichtsgremiums an den Atom-Physiker Günter Lohnert, Leiter des Instituts für Kernenergetik und Energiesysteme an der Universität Stuttgart:

    Grauf ist kein Theoretiker, aber er ist ein Fachmann, wie man ihn ganz, ganz selten auch in der Welt, in Deutschland sowieso, findet. Der jede Schraube in seinem Kernkraftwerk kennt und genau weiß, was zu tun ist.

    Im Sommer letzten Jahres wusste Grauf, der zu den aktuellen Vorgängen um seine Person schweigt, offenbar sehr genau, was zu tun ist, berichtet sein ehemaliger Doktorvater Günter Lohnert: Es ging um die Sicherheit im Atomkraftwerk Neckarwestheim, die Grauf und einige Kollegen durch die Sparpolitik des EnBW-Konzerns offenbar gefährdet sahen:

    Da gab es offensichtlich eine geheime Diskussion unter den Managern und der Herr Grauf muss da offensichtlich für die Sicherheit gestritten haben, mit dem Argument, wir müssen mehr die Komponenten prüfen, wir dürfen da nicht sparen, wir sparen an der falschen Stelle. Solche - zugegebenermaßen -Querdenker müsste man gerade loben, müsste man halten: Aber nein, es passte nicht in die "political correctness", und sie wurden dann aufgefordert, innerhalb von einer Stunde das Gelände zu verlassen, nachdem sie ihr Büro, ihren Arbeitstisch leer gemacht hatten.

    Wohlgemerkt: Diese Kritik am Umgang des Energiekonzerns EnBW mit einigen sicherheitsbewußten Managern des Unternehmens kommt nicht von einem Gegner der Atomkraft, sondern von einem international renommierten Atomforscher und Kernkraftwerk-Konstrukteur. Um so schwerer wiegt der Vorwurf an den grünen Bundesumweltminister Trittin, er sei mit der Entfernung des ehemaligen EnBW-Ingenieurs Eberhard Grauf aus der Reaktorsicherheitskommission vor einer Atomlobby eingeknickt, die es aus wirtschaftlichen Gründen mit der Sicherheit in deutschen Atommeilern nicht mehr so genau nehme. Für Baden-Württembergs SPD-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Drexler geht es im Fall Grauf bereits grundsätzlich um die Glaubwürdigkeit der Reaktorsicherheitskommission und Trittins:

    Wenn nicht aufgeklärt wird - und zwar in einem offenen Verfahren - warum der Herr Grauf entlassen wurde, dann kratzt das natürlich an der Reputation. Und wenn man da den Eindruck hat, man beruft jemanden ab, weil er einem großen Stromkonzern möglicherweise nicht genehm ist, dann halten wir das für sehr gefährlich.