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Quereinsteiger in Göttingen

Doris Lemmermöhle, die Leiterin des "ZeUS", des Zentrums für empirische Unterrichts- und Schulforschung an der Uni Göttingen, ist ehrlich: Nach einer Evaluation mit äußerst problematischem Ergebnis musste man sich etwas einfallen lassen, um die Lehrerbildung in Göttingen zu retten. Einer dieser Einfälle war das Intensivstudium für Quereinsteiger – also Hochschulabsolventen mit Diplom oder Magister, die sich nachträglich für die Arbeit als Lehrerin oder Lehrer qualifizieren wollen. Doch für Doris Lemmermöhle gibt es auch einen inhaltlichen Grund für das Angebot an Absolventen anderer Fächer, sich im Intensivstudium zum Master of Arts in Education zu qualifizieren:

Karl-Heinz Heinemann |
    Und dann mein Ärger darüber, dass es wirklich möglich ist, Leute ohne pädagogisch-didaktische Qualifikation einzustellen, das hat bei uns zu Entwicklung des Intensivstudiengangs geführt.

    Der Intensivstudiengang ist ein in sich abgeschlossenes Masterstudium. Er baut also nicht auf einem schon auf das Lehramt zugeschnittenen Bachelor auf. Wenn man einen Abschluss in den Fachwissenschaften hat, die in der Schule unterrichtet und gebraucht werden, kann man sich innerhalb eines Jahres zum Lehrer-Master weiterbilden. In diesem Jahr wird 48 Wochen lang studiert, das heißt, es gibt praktisch keine Semesterferien. Auch die Masterarbeit wird noch innerhalb dieses Jahres geschrieben. Auf dem Lehrplan stehen nur pädagogisch-psychologische und didaktische Themen.

    Es kommen dort Leute, die sind Physiker oder Chemiker oder Biologen oder so, und die sind hervorragend ausgebildet, sie haben durch die Bank gute Zensuren und sie haben noch nie darüber nachgedacht, wie sie das vermitteln können. Und vielleicht ist das ein Punkt, weshalb sie ein bisschen Probleme mit ihrer Fachwissenschaft haben. Und deswegen haben wir auch andere Module eingefügt, beispielsweise Kommunikationsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit auf Schülerfragen, zuhören wenn Schüler etwas sagen – was sagen die eigentlich - und diese Dinge üben wir stärker mit denen als wir es mit den ganz normalen Lehramtsstudierenden machen.

    Doris Lemmermöhle hält nichts von der Kritik, dass die Fachdidaktik von Anfang an in das grundständige Studium integriert sein müsste. Das führe doch nur dazu, dass die Lehrerstudenten als zweitrangig betrachtet würden. Ihr wäre es lieber, wenn alle erst einmal wissenschaftlich ihr Fach erlernen und mit dem Bachelor abschließen. Erst dann sollten sie sich entscheiden, ob sie in die Schule, einen Betrieb oder in die Forschung gehen wollen.
    Inzwischen läuft der dritte Intensivkurs. Man hat also schon einige Erfahrungen sammeln können.

    Wir haben zum ersten Mal richtig erwachsene, ausgebildete Leute in der Uni, das sind wir nicht gewohnt, und die stehen unter einem hohen Zeitdruck, die wollen innerhalb kurzer Zeit etwas machen und die gucken, verbringen sie die Zeit bei uns in den Seminaren eigentlich effektiv. Und das hat zu vielen Angriffen gegen die Lehrenden geführt, die das nicht gewohnt sind, die anderen sitzen das ja eher ab und so,

    Frauen tun sich mit ihrer neuen Karriere als Lehrerin leichter – viele von ihnen kommen nach einer Kinderpause wieder in den Beruf. Manche Männer erleben aber diesen Neuanfang als Folge eines Scheiterns im alten Beruf. In intensiven Auswahlgesprächen versucht man daher in Göttingen, die geeigneten Bewerber herauszufinden. Die Entscheidung darüber, ob die Intensivkurs-Absolventen mit dem Master of Arts in Education auch die Zulassung zum Referendariat bekommen, liegt allerdings ausschließlich beim Schulministerium in Hannover. Dort wird geprüft, ob der Bewerber vorher die Fächer studiert hat, die auch gebraucht werden. Der pädagogisch begnadete Theaterwissenschaftler hat also keine Chance, Lehrer zu werden.
    Die Erfahrungen in den Schulen sind zwiespältig. Manche finden nicht die richtige Sprache für die Schüler:

    Die sind dann zum Beispiel gut im Leistungskurs Physik in 12 und 13, sobald sie da drunter gehen funktioniert es nicht, und da haben wir jetzt auch ne Nachschulung gemacht, aber da gibt es schon Probleme. Die positiven sind, sie haben mehr Geduld, sie hören besser zu und sie sind nicht so aufgeregt wie die jungen Leute, die kommen.