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Querfeldein statt geradeaus

An diesem Wochenende wurde in Duisburg zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft im Crossboccia ausgetragen. Die Idee? Man spielt klassisches Boccia oder Boule, aber querfeldein und mit granulatgefüllten Stoffkugeln.

Von Peter Backof |
    O "Aaaa !"

    Das – war gut.

    "Mann, nein !"

    Und das – eher nicht so. Eine Szene aus einer Sandgrube des BMX- und Skate-Parcours im Landschaftspark Nord in Duisburg. Gespielt wird: Crossboccia. Nach Regeln, fast wie im klassischen Boccia:

    " Jemand hat ein Hindernis angesagt, das muss man mit dem Zielball tun. Trifft man das angesagte Hindernis oder die Herausforderung, müssen alle Spieler dem folgen, und dann geht es halt darum, möglichst nah am Zielball zu sein."

    " Alle noch mal dran denken: Der Ball muss genauso geworfen werden, wie das Team mit dem Marker ihn vorgibt. Alle anderen Bälle sind nicht gültig und werden nicht in die Wertung mit einberechnet."

    Von der Sandgrube führt die Spielstrecke in die Halfpipe der Skater, durch ein Treppengeländer hindurch, über die Asphalt-Bodenwellen der BMXer, hinein in dreidimensionale Mini-Schikanen, die dann schon eine etwas filigranere Wurftechnik erfordern. Das Team "Rage Inc" aus Hamburg gehört zu den Könnern und zu den Favoriten bei der zweiten Crossboccia-Weltmeisterschaft, die hier gerade ausgetragen wird.

    " Ja, wir haben aus ziemlich weiter Entfernung, haben wir diese Bande angespielt, um an den Marker zu kommen …"

    … freut sich ein "Rage Inc"-Mitglied diebisch. Noch dazu lautet seine Vorgabe für das Gegenteam: Der Ball muss mit der linken Hand rückwärts durch die Beine geworfen werden! Das sind die Spezialitäten, mit denen man andere Spieler ärgern kann. Wer gut im Frisbeewerfen ist oder beim Ball-in-der-Luft-Kick, hat auch beim Crossboccia gute Karten.

    " Es war am Anfang die Idee: Komm, wir gehen raus und spielen Cross. Dafür bräuchte man die Bälle, damit hat´s eigentlich angefangen."

    Timo Beelow aus Wuppertal hat Crossboccia erfunden, vor drei Jahren. Die schweren chromglänzenden Bocciakugeln hat er ersetzt durch granulatgefüllte Stoffbälle. Die sehen aus und liegen in der Hand wie überdimensionierte Jonglierbälle. Man könnte also - würde man damit nicht gefühltes öffentliches Ärgernis erregen - auch auf Parkplätzen über Autos hinweg spielen und trainieren. Denn: Diese Bälle können kaum etwas beschädigen.

    "Innerhalb von drei Jahren 100.000 Spieler weltweit zu haben, hätte ich nicht gedacht, und dass wir jetzt Events haben und 'ne Weltmeisterschaft, das war damals gar nicht angedacht. Da hätte ich nie mit gerechnet, dass es so gut ankommt."

    Freilich hat Timo Beelow auch betriebswirtschaftliches Geschick bewiesen: sich die offiziellen Crossboccia-Bälle - mit besonders stabilen Nähten - schützen lassen, einen Deal mit einem Getränkehersteller ausgehandelt und ein Crossboccia-Getränk herausgebracht - Sprudel mit Zitronengeschmack. Crossboccia fügt sich recht kongenial ein in andere Jugend- und Freizeitkulturen.

    Die Skater und BMXer lassen sich nicht beirren, fahren einfach nebenher, leihen sich dann - ab und an - einen Crossball, um auch mal zu probieren, ebenso wie ein Rentner, der eigentlich hier Modellauto-Cross sehen wollte, wie jeden Samstag. "Die Musik ist mir etwas zu laut", sagt er, bleibt aber gerne am Crossboccia-Barbecue stehen und schaut zu.

    "Wir sind mittlerweile durch ganz Deutschland unterwegs, ab dem nächsten Jahr auch im Ausland, mit Turnierserien richtig, wo wir dann die Landesmeisterschaften, Bremen Open, in München dann die Bayerischen Meisterschaften spielen, hatten dieses Jahr schon die Deutschen Meisterschaften im Düsseldorfer Flughafen."

    Dazu verabredet man sich noch recht spontan und informell via "Community" im Netz und spielt etwa zehn Events pro Jahr, weiß Wojtek Nawrod. Er ist der aktuelle Weltranglistenerste.

    "Ich bin momentan da vorne und werde gejagt."

    Wobei die Weltrangliste und auch das Teilnehmerfeld der WM sich bisher schon noch eher auf den Umkreis von Wuppertal und einige deutsche Großstädte beschränken, muss man sagen. Aber wer weiß, vielleicht wird Crossboccia in zehn, zwanzig Jahren olympische Disziplin sein?

    "Die offizielle Spielzeit der Vorrunde ist jetzt abgelaufen!"

    Am Samstag lief der Teamwettbewerb, am Sonntag zeigten die Einzelkönner ihre Tricks. Die meisten sind jung, sehr jung. Es machen aber auch etwas ältere Herrschaften mit, denen man ansieht, dass sie vom klassischen Boccia her kommen: Crossboccia ist keine Subkultur, sondern ein Sport für alle, sympathischer Trend, noch nicht in festen Bahnen reglementiert. Und auch über das Regularium bei der WM wird man doch noch mal diskutieren dürfen!

    "Der Kick ist, dass du dich frei bewegen kannst, dass du kreativ werden kannst und völlig ausflippen kannst mit deiner Kreativität. Und wenn man sieht, "Hinter dem Rücken" und "Durch die Beine" funktioniert nicht, dann sagt man: Komm, den nächsten machen wir nochmal, weil, es ist zwar die Weltmeisterschaft, aber man will ja auch fair gewinnen."