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Quittungen sammeln in Griechenland

Laut Berechnungen des griechischen Unternehmerverbandes hat der Staat allein im vergangenen Jahr 23 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung verloren. Darüber hinaus stunden die wohlhabenderen Griechen dem Staat 30 Milliarden Euro an Steuern. Mit diesen Praktiken soll es nun vorbei sein.

Von Jerry Sommer |
    Ein Imbissrestaurant im Zentrum von Athen, unweit der Markthallen. Der Gyros kostet hier zwei Euro fünfzig. Das Schnellrestaurant ist gerade neu eröffnet, modern und blitzsauber. Sein Name: "Das Göttliche". Petros, der 30-jährige Grillmeister mit tiefschwarzen Augen und Haaren bedient freundlich und schnell. Und er drückt allen Kunden zusammen mit dem Wechselgeld auch eine Quittung in die Hand. Das ist zwar im Handel schon seit über zehn Jahren üblich, doch bisher haben die Kunden die Quittungen meist unbeachtet liegen lassen. Jetzt ist das anders, sagt Petros:

    "Nun sammeln die Leute diese Quittungen für ihre Steuererklärungen, das mache ich auch so."

    Die Regierung hat in der neuen Steuergesetzgebung nämlich festgelegt, dass für jeden Bürger 12.000 Euro im Jahr steuerfrei bleiben, wenn sie Ausgabenquittungen über diese Summe besitzen. Das ist ein Mittel, um der weit verbreiteten Hinterziehung der Mehrwertsteuer im Land zu begegnen. Grillmeister Petros zweifelt allerdings an der Wirksamkeit.

    So viele Quittungen, wer solle die denn alle kontrollieren? fragt er. Tatsächlich haben die Steuerbehörden gar nicht vor, sämtliche Rechnungen zu prüfen. Das wäre auch überhaupt nicht möglich, meint der Kostas Lambropoulos. Der 58-Jährige kennt sich aus: Er arbeitet seit über 30 Jahren als Steuerfahnder. Er weiß, dass in ganz Griechenland gegenwärtig 6000 Stellen in den Steuerbehörden nicht besetzt sind. Außerdem fehlt es an Computern..

    "Mit unserer Ausstattung und dem heutigen Personal können wir die Quittungen gar nicht kontrollieren. Bestenfalls wird es stichpunktartige Kontrollen geben. Die Regierung kann sich dann vielleicht in den Medien damit brüsten, ein paar kleine Steuerhinterzieher gefasst zu haben."

    Mit den neuen Steuergesetzen sind auch einige Schlupflöcher für Steuerflüchtige gestoppt worden. Doch die Reichen finden neue: So sind zehn Milliarden Euro Vermögen in den letzen Monaten einfach auf Banken ins Ausland transferiert worden. Bevor neue Luxussteuern auf Geländewagen im April in Kraft traten, stieg der Verkauf dieser Autos im März auf das Doppelte. Und von insgesamt einer Million Selbstständigen und Unternehmern in Griechenland gaben nur 7500 ein Jahreseinkommen von über einhunderttausend Euro an. Der Chef der Abteilung Wirtschaftskriminalität im Athener Wirtschaftsministerium, Ioannis Kapelaris, will ihnen nun an den Kragen:

    "Ich schätze, dass 300.000 Bürger (nicht nur 7500) Einnahmen von über einhunderttausend Euro im Jahr haben, aber sie versteuern die nicht."

    Die Regierung habe den Willen, jetzt wirklich gegen die Steuerhinterzieher vorzugehen, sagt der energische Mann, der erst vor fünf Monaten zum Abteilungsleiter ernannt worden war. Dazu soll die Abteilung Wirtschaftskriminalität im ganzen Land von 1300 auf 1500 Mitarbeiter aufgestockt werden. Kapelaris sieht auch schon erste Erfolge:

    "In diesem Jahr haben wir im ersten Quartal Strafbefehle gegen Steuersünder in Höhe von 1,2 Milliarden Euro herausgegeben. Dreimal mehr als 2009."

    Fraglich ist allerdings, wie viele davon wirklich bezahlt werden. Denn Gerichtsverfahren gegen Steuerbescheide und Strafen können gut und gern sieben Jahre dauern.

    Alexandros, der Besitzer des Imbissrestaurants "Das Göttliche" in der Athener Innenstadt, glaubt nicht an das Versprechen der Regierung, der Steuerhinterziehung endlich einen Riegel vor zu schieben.

    "Solche Sprüche höre ich seit meiner Geburt. Ich glaube nicht, dass sie diesmal wirklich umgesetzt werden."

    Trotz der öffentlichen Kritik an den neuen Steuergesetzen, ganz folgenlos sind sie nicht. So lagen die Mehrwertsteuereinnahmen der Regierung im ersten Quartal 2010 immerhin um zehn Prozent höher als im Vorjahr – und das, obwohl die Griechen ihren Konsum gerade einschränken. Der Anfang ist gemacht - doch der Weg zu einem funktionierenden und gerechten Steuersystem ist noch weit.