Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Quote oder Qualität?

Bei der Vergabe des Deutschen Fernsehpreises raunzte Marcel Reich-Ranicki, er wolle den Preis am liebsten Thomas Gottschalk "vor die Füße" werfen. Das brachte dem Literaturkritiker und dem Entertainer nun einen weiteren Auftritt ein. In einer Sondersendung unterhielten sich die beiden über das, mit Worten Reich-Ranickis, "scheußliche" Niveau des Deutschen Fernsehens - und zwar zur besten Sendezeit. Das Gespräch war zwar nicht allzu komplex, hörte sich dafür aber kultiviert an.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 18.10.2008
    Wenn der Wutausbruch des Marcel Reich-Ranicki vor einer Woche eine Sternstunde des Fernsehens war, dann war das blasse und verblasene Gequassel gestern eine Mondstunde. Zum Glück kostete die Sendung weniger als 500 Milliarden, aber sie hatte denselben Zweck wie das am selben Tag verabschiedete Bankenrettungsgesetz der Bundesregierung, nämlich ein aus dem Lot geratenes System zu stabilisieren.

    An der Eitelkeitsbörse des Deutschen Fernsehpreises war ja tatsächlich eine ähnliche Panik ausgebrochen wie zuvor in der Finanzwelt. Einer hatte gerufen: "Alles nichts wert" - und plötzlich fanden das alle.

    "Nein, ich habe nichts zu bedauern, ich nehme nichts zurück. Die Veranstaltung war abscheulich."

    Aber - und nur deshalb trafen sich die beiden neuen Duzfreunde Thomas Gottschalk (58) und Marcel Reich-Ranicki (88) im Wiesbadener Kurhaus zur einer fernsehphilosophischen Debatte - nicht um die Veranstaltung des Fernsehpreises, sondern um das Fernsehen als solches geht es.

    Die Menschheit wird durch das Fernsehen zwar immer schlauer, aber nicht gebildeter. Aber war das nicht zu allen Zeiten so? Hat nicht Seneca im alten Rom kluge Sachen gesagt, und der Plebs saß im Circus Maximus und hat gewartet, dass die Löwen reinkommen?

    "Nein, das stimmt alles nicht. Ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Man muss wissen, wozu das Fernsehen da ist, welche Aufgabe, welche Funktion hat es, zum Donnerwetter? Ich habe den Eindruck, die Intendanten wissen das am wenigsten."

    Die Intendanten haben deshalb alle eine DVD mit dieser Sendung angefordert, um sich darüber Aufklärung zu verschaffen. Zum Beispiel Weisheit Nummer eins:

    "Man kann doch nicht mit jeder Sache, die man macht, alle erreichen wollen."

    Allerdings auch nicht jeden Literaturkritiker, der Helge Schneider mit Atze Schröder verwechselt und beide bloß blöd findet. Reich-Ranickis Fernseh-Expertise besteht hauptsächlich aus Ressentiment - ein Phänomen, das, wie er findet, die Fernsehkritik generell beeinträchtigt.

    "Ernste Leute, die Fernsehkritiken geschrieben haben, haben dieses Terrain bald verlassen. Und man hat die Fernsehbesprechung den Volontären, den Hospitanten überlassen."

    "Wird also Zeit, dass das wieder ernste Leute besorgen, die den Intendanten auch ordentlich Angst machen."

    "Ich glaube, man muss diese Intendanten, diese Programmdirektoren, Abteilungsleiter… Die müssen Angst haben. Wenn die nicht Unterhaltsames und Seriöses auf anständigem Niveau bieten, werden sie rausgeschmissen. Wenn sie keine Angst haben, werden sie Dreck machen."

    "Die haben alle Angst, aber nicht davor, rausgeschmissen zu werden, sondern davor, dass andere eine höhere Quote haben und dann von der gesamten Medienlandschaft, auch von deinem Feuilleton, im Grunde als Verlierer bezeichnet werden."

    Gottschalk redete in dieser Sendung nicht nur mehr als Reich-Ranicki. Er sagte auch weniger dumme Sachen. Allein dieser Befund hat etwas Peinliches. So weit ist es gekommen, dass der antiintellektuelle Hampelmann der Samstagabendunterhaltung mehr über das Medium reflektiert als der Literaturgroßkritiker. Und noch etwas: Gottschalk versprach …

    "Ich werde jetzt heimlich in jeder meiner großen Unterhaltungssendungen drei Reich-Ranicki-Minuten einbauen, wo ich sage: Jetzt rede ich mal vernünftig. Ich bin mal gespannt - und wir haben ja heute die Chance, wie bei einem EKG zu sehen, wo kommen die Leute, wo gehen sie. Und sie gehen leider sehr oft da, wo es bildend wird, und sie kommen leider da oft, wo es furchtbar ist. Das ist ein Reflex, gegen den können wir nichts."

    An diesem Reflex scheitert also der Volksbildungsanspruch, scheitert gescheites Fernsehen, scheitert Reich-Ranickis Verlangen, mehr Schiller und Shakespeare gesendet zu bekommen, weil die so unterhaltsam seien. Das alles ist von einer so fabelhaften Naivität der Argumentation, dass man es schon wieder lustig finden kann. Auf alle Fälle war dieser Smalltalk - vorsichtig ausgedrückt - unterkomplex. Also genau das, was derbere Naturen Blödsinn nennen.

    "Die einen reden über die Qualität im Fernsehen, die anderen arbeiten daran - wie wir, seit 40 Jahren."

    … flötete die aufgekratzte Luzia Braun in der nachfolgenden Aspekte Sendung, deren erster Buchmessen-Beitrag dann mit solchen Blödsinns-Sätzen begann:

    "Am Anfang war das Wort. Das Wort wurde Schrift. Die Schrift wurde Buch. Das Buch aber blieb Buch …"

    Tja, Adorno hatte recht: Das Fernsehen ist schlecht.