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Rabbiner David Rosen
Der Versöhner von Jerusalem

Am kommenden Wochenende wird Papst Franziskus die Große Synagoge von Rom besuchen. Der Papst will das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Juden verbessern. Erst im Dezember hatte der Vatikan eine Denkschrift veröffentlicht, in der es heißt: Juden sollen nicht mehr bekehrt werden. Vielmehr sei die katholische Kirche ein verlässlicher Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. An dem Dokument mitgewirkt haben auch jüdische Vertreter, unter anderem der orthodoxe Rabbiner David Rosen.

Von Andreas Main | 13.01.2016
    Der Rabbiner David Rosen im Sommer 2013
    Der Rabbiner David Rosen (picture-alliance / dpa / Jacek Bednarczyk)
    "Ich bin durch und durch pluralistisch. Deswegen erscheint mir die Idee lächerlich, das Göttliche nur in einer einzigen Religion finden zu wollen."
    Rabbi David Rosen ist beim American Jewish Committee verantwortlich für die interreligiösen Beziehungen weltweit. Für seinen Beitrag zu den jüdisch-katholischen Beziehungen wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Komtur des Gregoriusordens ernannt - als erster israelischer Staatsbürger und als erster orthodoxer Rabbiner. Bahnbrechend für die Beziehungen von Katholiken und Juden, sagt David Rosen, sei der Israel-Besuch von Papst Johannes Paul dem Zweiten im Frühjahr 2000 gewesen. Denn wegweisende Texte, wie sie etwa im Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert wurden, erreichten nur Experten:
    "Die meisten Israelis haben nie von Nostra Aetate gehört. Sie kennen diese Dokumente nicht. Wenn sie aber sehen, wie ein Papst die sogenannte Klagemauer und dann Yad Vashem besucht, seine Solidarität mit jüdischem Leid ebenso zeigt wie seinen Respekt für jüdische Traditionen, dann hat das großen Einfluss."
    Dass jüdische Israelis ihre Haltung zu Christen verändern, sagt Rabbiner Rosen, habe aber vor allem mit den Veränderungen der christlichen Kirchen in Israel zu tun. Die Zahl der Christen steigt.
    "Das ist eine gute Nachricht, weil Juden in Israel anfangen, Christen nicht mehr auf Stereotypen aus der Geschichte zu reduzieren, eine Geschichte, die vor allem negativ besetzt ist. Die meisten Israelis haben noch nie Christen kennengelernt. Wenn sie ins Ausland reisen, nehmen sie Nicht-Juden als Nicht-Juden wahr und nicht als Muslime, Atheisten oder eben Christen. Deshalb ist das Bild, das die meisten Israelis von Christen haben, geprägt von der tragisch-negativen Vergangenheit in Europa."
    Das hat sich geändert durch die Große Russische Alijah, die Zuwanderungswelle, die möglich wurde durch den Zusammenbruch der Sowjetunion. Sie bescherte Israel fast eine Million jüdische Neubürger. Sie sind nach israelischem Gesetz Juden und Israelis. Sie haben volle Bürgerrechte. Mehrere Zehntausend von ihnen bekennen sich aber zum Christentum. Viele von ihnen gehen sonntags in die Kirche, vor allem in orthodoxe Gottesdienste. Zugleich sind sie ganz selbstverständlich Teil der israelischen Gesellschaft:
    "Das ist ein faszinierendes Phänomen. Das ist wohl das erste Mal in der Geschichte des Christentums, dass wir es mit einer großen Gruppe von Menschen zu tun haben, die an Jesus als den Messias glauben und die zugleich Teil des jüdischen Volkes und des Staates Israel sind."
    Neben den russischen Einwanderern hätten aber auch die christlichen Arbeitsmigranten in Israel massiven Einfluss auf das christlich-jüdische Verhältnis.
    "Diese christliche Vielfalt führt dazu, dass jüdische Israelis Christen begegnen. Sie haben etwa einen alten Vater oder eine Mutter, um die sich jemand kümmern muss. Viele Altenpflegerinnen kommen von den Philippinen. Sie sind zumeist katholisch und tiefreligiös. Sie praktizieren ihren Glauben, aber nicht aggressiv und ohne ihn anderen aufzudrängen. Das heißt: Man entdeckt, was für wunderbare, selbstlose, hingebungsvolle Menschen sie sind. Und man begreift dann: Diese Hingabe kommt aus ihrem Glauben. Und dann beginnt man, Christen in einem anderen Licht zu sehen. So entstehen neue Beziehungen von Christen- und Judentum, anders als irgendwo sonst auf der Welt."
    David Rosen weiß aber auch um die Probleme in den christlich-jüdischen Beziehungen:
    "Ein Judentum, das selbstbezogen ist und sich abschottet, ist nicht authentisch. Es läuft seinem eigentlichen Sinn und Zweck zuwider. Aber wir haben in unserer Geschichte so viel Feindschaft erfahren, oft gewaltsam, manchmal auch extrem gewaltsam. Wenn die Welt um einen herum feindselig ist, fällt es nicht leicht, eine universale Vision zu entwickeln. Diese Wunden heilen nicht über Nacht. Das braucht Zeit. Und die Gründung des Staates Israel ist entscheidend dafür, dass wieder Selbstvertrauen und Sicherheit entstehen. Doch wir leben in einem konfliktreichen Kontext, wo wir dauernd bedroht werden – und das verstärkt unser Trauma und macht es vielen schwer, sich so der Welt zu öffnen, wie sie es sollten. Am meisten schotten sich die besonders Strenggläubigen ab. Das ist verständlich. Aber auch beklagenswert."
    David Rosen versteht sich als "modern-orthodox":
    "Ich bin orthodox; aber ich will und muss an der modernen Welt teilhaben. Wenn ich die hebräische Bibel und unsere Propheten richtig verstehe, dann verlangen sie von mir, dass ich loyal sein soll zu dieser besonderen Offenbarung. Wir müssen eine lebendige jüdische Identität entwickeln, die verwurzelt ist in dem, was uns ausmacht. Wie ein gesunder Baum! Aber die Zweige dieses Baums müssen offen sein für die Welt - in einem echten, universalen Dialog."
    Deswegen auch kann David Rosen harsch werden, wenn er auf ultraorthodoxe Juden zu sprechen kommt.
    "Sie wollen unter sich bleiben. Das macht ihre Identität als Ultraorthodoxe aus. Sie wollen nichts zu tun haben mit dem Rest der jüdischen Gesellschaft, geschweige denn mit dem Rest der Welt. Das ist ihre Ideologie. Wollte man Sie dazu bewegen, sich nicht abzukapseln, könnte man ihnen auch direkt sagen: Seid bitte nicht mehr ultraorthodox!"
    David Rosen wirkt mit Blick auf die Ultraorthodoxie ratlos. Und er räumt ein, dass ihm der Dialog mit bestimmten jüdischen Strömungen schwerfällt. Interkonfessionelle Beziehungen seien viel komplizierter als interreligiöse Beziehungen:
    "Ich werde immer wieder gefragt, warum ich so viel Zeit mit anderen Religionen verbringe. Ich sage dann immer: Weil es viel einfacher ist."