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Rabenmutter

Freiheit und Freizeit statt Kinder und Küche: In ihrem zweiten Kinofilm porträtiert Maria Speth eine Mutter, die sich um ihre Kinder nicht kümmern will, vor der Verantwortung flieht. Trotzig, frech und provozierend stellt sich Rita, die Protagonistin des Films "Madonna", dem üblichen Rollenbild entgegen.

Von Josef Schnelle |
    Rita ist eine schreckliche Mutter. Sie hat kein Interesse am Nestbau, lässt sich mit immer neuen Männern ein, klaut und provoziert, bringt Kinder zur Welt, schleppt sie dann irgendwie durch und ist dann außerstande das Mutterkonzept zu erfüllen. Um die Enkel will sich die Oma jetzt aber kümmern. Warum nur? Schließlich wird angedeutet, dass sie selbst eine dysfunktionale Mutter war, jedenfalls nie da gewesen ist für Tochter Rita. Die Madonnen mit Kind in der christlichen Malerei gelten als Muster des Lebens einer Frau mit Kind. Darf man sich dagegen wehren? Wie weit kann frau gehen?

    "Mama bitte. Sag mir einfach wo er wohnt. Du sollst mir einfach seine verdammte Adresse geben, dann lass ich dich in Ruhe."

    Rita telefoniert mit ihrer Mutter. Sie bereitet eine neue Verzweiflungsaktion vor. Dazu braucht sie die Adresse ihres Vaters, den sie nie kennengelernt hat. Sie findet ihn in einer belgischen Kleinstadt. Rita tritt trotzig, frech und provozierend, doch dahinter spürt man ihre Traurigkeit. Auch wirkt sie keineswegs überrascht als der unwillige Vater, ein Polizist, sie ausliefert und sie nach Deutschland abgeschoben wird. Rita wird wegen verschiedener kleiner Delikte, vorwiegend Diebstahl, sowieso gesucht, aber sie ist eben auch Mutter von fünf Kindern. Das Baby darf sie mitnehmen ins Gefängnis. Nach der Verbüßung der Strafe holt sie die anderen Kinder bei ihrer Mutter Rita wieder ab und setzt ihr riskantes - man kann auch sagen verantwortungsloses - Streunerleben mit Kinderschar fort. Fanny die älteste, 13 Jahre, begreift schon was das für ein Leben ist, das ihre Mutter mit ihnen führt.

    "Du weißt doch gar nichts über sie."

    "Doch, sie ist zurückgekommen."

    "Aber nicht freiwillig."

    "Sag mir, wo sie ist."

    "Madonnen" ist ein Film über Rollenerwartungen und das Leben gegen den Strom der Erwartungen. Sandra Hüller entfaltet in dieser ungewöhnlichen Filmrolle Schicht für Schicht das Porträt einer Frau, die sich der traditionellen Mutterrolle verweigert, sie nicht einmal zu verstehen scheint. Ein dicht erzählter provozierender Film.

    Regisseurin Maria Speth ist selbst Mutter einer kleinen Tochter. Sie bekennt sich seither dazu, zu fragen, ob sie sich ganz dem Wohl ihres Kindes unterordnen muss, oder mit einer gewissen Rücksichtslosigkeit auch eigene Interessen verfolgen darf. Schon in ihrem Erstling "In den Tag hinein" widmete sich Maria Speth 2001 der Geschichte einer eigenwilligen Außenseiterin, die spontan und improvisiert lebt. Wie in "Madonnen” erzählte sie auch damals auf einem hohen Stilisierungsgrad von der Einsamkeit und vom Leben außerhalb der Gesellschaft. Fast scheint das vererbbar, wie es in der heftigen, dann handgreiflichen Konfrontation Ritas mit ihrer Mutter besonders deutlich wird:

    "Warum gehst du nicht einfach!"

    "Warum gehst du nicht einfach."

    "So wie du einfach gegangen bist."

    "Das reicht. Verschwinde jetzt!"

    Maria Speth ist die Langsamkeit ihres Films vorgeworfen worden, doch diese Langsamkeit, das Gefühl sich in einem somnambulen Traumgespinst zu bewegen, auch das quälende daran in jedem Dialog, ermöglicht eigentlich erst den emotionalen Zugang zur Hauptfigur, die so seltsam aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

    Wer aufregende Thesen oder gar Weisheiten erwartet, mag enttäuscht sein. Wer aber eine eigenwillige Form passend zum kontroversen Thema und eine Entdeckungsreise in fremd anmutende Gefühlswelten riskieren möchte, kann einen weiteren Film der "Berliner Schule” mit einer Geschichte mitten aus der deutschen Wirklichkeit entdecken, die so in den lärmenden schnellen Fernsehkrimis nicht vorkommt.

    Die Intensität dieses Films geht allerdings zu einem großen Teil auf die Schauspielkunst der Hauptdarstellerinnen zurück - Sandra Hüller als Rita und Susanne Lothar als schreckliche Mutter der schrecklichen Mutter. Ihnen gelingt es, dass in dieser so traurigen Geschichte auch immer wieder Momente großer Zärtlichkeit aufscheinen und manchmal sogar eine Prise Hoffnung. Am Ende bleibt Tochter Fanny zurück bei dem netten GI, der sich um die Familie kümmern wollte. Rita ist wieder einmal weitergezogen.

    "Hallo Fanny, Hope your hungry.”"

    "”Es ist niemand da. Ich bin alleine."

    "”What do you mean.”"

    "Es fühlt sich einfach besser an, wenn sie da ist."