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Rache und Recht in Zeiten des Krieges

Kaija Saariaho gilt als meistgespielte Komponistin der Welt. Diesen Ruf verdankt die Finnin neben ihren konzertanten Stücken vor allem jener bislang einen Oper mit dem Titel "L’amour de loin", die Peter Sellars 2000 in Salzburg inszenierte. Sellars, der die heute 53-Jährige schon zu ihrer ersten Oper überredet hatte, führt auch in der Opéra Bastille in Paris Regie, wo Saariahos zweites Musiktheaterstück seine Welturaufführung erlebte.

Von Christoph Schmitz |
    Mit ihrer zweiten Oper "Adriana Mater" hat die finnische Komponistin Kaija Saariaho Neuland betreten. Ihre Arbeiten entwarfen bisher schillernde Lichtlandschaften. Die Lichtreflexe und –brechungen sich kräuselnder Wasseroberflächen machte ihre Musik hörbar. Klangräume verwandelten sich dabei in Klangträume. Deren geheimnisvolle Aura schien an jenseitige Welten zu rühren. Indische und altägyptische Heilsegen in Vokalstücken wie "Seelen-Schloss" unterstrichen die mystische Anmutung dieser Musik. Doch mit "Adriana Mater" hat sich die in Paris lebende Komponistin vom Licht ins Dunkel begeben, vom Leben in den Tod gewissermaßen, zu Krieg, Hass und Vergewaltigung.

    Adriana singt vom Herrn der Nacht, vom Todesengel und meint damit Tsargo, der sie vor 18 Jahren während des Bürgerkriegs vergewaltigt hat. Tsargo gehörte dabei gar nicht zu den feindlichen Soldaten, sondern zu den eigenen Leuten. Er war ein Nachbarsjunge aus dem gleichen ärmlichen Dorf irgendwo auf dem muslimischen Balkan. Adriana hatte ihn in Friedenszeiten immer abgewiesen. Als Kämpfer im Krieg rächte er sich. Aus der Vergewaltigung ist Yonas hervorgegangen. Ihm erzählt Adriana nun die Wahrheit seiner Herkunft, die sie ihm bislang vorenthalten hatte. Tsargo ist nicht der gefallene Kriegsheld, sondern die Bestie. Und die Bestie taucht im kriegszerstörten Dorf unerwartet wieder auf. Yonas will den Vater ermorden.

    Die Mutter hält den Sohn nicht von seiner Tat ab. Sie will wissen, ob sich Yonas in die Genealogie der Schänder einreiht oder nicht. Sie selbst will den Mechanismus von Rache und Hass durchbrechen, womit sie in dem Moment begann, als sie ihren ungeborenen Sohn, gegen den Rat ihrer Schwester, nicht abtreiben ließ, sondern austrug und großzog.

    Der Librettist Amin Maalouf hat eine präzis kalkulierte Dramaturgie für die Psychologie der Figuren und für den entscheidenden Augenblick der Wahrheit entwickelt, nämlich wenn sich Yonas und sein Vater zum ersten Mal in einer höchst riskanten Begegnung gegenüberstehen. Yonas mordet nicht. "Wir sind zwar nicht gerächt", sagt die Mutter am Schluss, "aber gerettet". Mutig und glaubwürdig hat Maalouf gegen den Tod angeschrieben - gegen einen Tod, den die Inszenierung allerdings fast verschweigen möchte.

    Der Regisseur Peter Sellars hat sich von George Tsypin ein muslimisches Steindorf in Kleinformat bauen lassen. Und zwar aus einem durchscheinenden alabasterartigen Material, das es erlaubt, die Mauern und Kuppeln von innen zu erleuchten. Wenn das Dorf in Trümmern liegt, sieht das aber aus wie eine ramponierte Baissez-Torte, die in popigen Farben abwechselnd rot (bei Gewalt) oder blau (bei emotionaler Kälte) aufglüht. Und seine Akteure bewegt Sellars in einer Choreografie, deren Gesten zunehmend aus der Ikonografie kitschiger Volksfrömmigkeit stammen könnten. Im Kontrast mit der finsteren Grundierung von Text und Musik ist diese Inszenierung noch unerträglicher, als sie für sich alleine schon wäre.

    Vielleicht wollte der Regisseur ein Gegengewicht zur Komposition schaffen. Deren monochrome und rhythmisierte Klangflächen werden über lange Zeiträume gestreckt. Sie verdichten sich dabei zu schwarzen Blöcken, in die zwar immer wieder helles, für Saariaho typisches Glöckchenklingeln und Glasscherbenklirren eingearbeitet sind, aber nur selten geraten die allzu statischen Gebilde in Bewegung. Von Saariahos bisherigem kompositorischen Verfahren, das Klangmaterial aufzufächern und zu atomisieren, ist nur wenig zu spüren. Auch ihr Motivrerpertoire ist äußerst sparsam, um nicht zu sagen dürftig. Die ständige Wiederholung der klagenden Abwärtsglissandi von Chor und Streicher, der elektronisch verstärkten Echoeffekte, des Schlagzeugtaktes sorgen für eine ermüdende Monotonie.

    Wenn die Komponistin auszubrechen versucht, bedient sie sich platter Rhetorik, wie der eines martialischen Lärms bei Kriegsausbruch oder des Glockengeläuts zum glücklichen Ausgang hin. Der Chor- und Orchesterpart klingt nicht selten wie Filmmusik. Zwar haben Esa-Pekka Salonen und seine Sänger, allen voran Patricia Bardon als Adriana und Gordon Gietz als Yonas, aus der Partitur auch mit technischer Bravour alle Expressivität herausgeholt, die in ihr steckt, aber ein Zauber von Finsternis und Erlösung war wohl nicht zu finden.