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Radcross
Winterliche Euphorie in Flandern

Winter ist Hochsaison für Radcross in Belgien. Der Querfeldein-Radsport fasziniert nirgends mehr Menschen als in Flandern. Tausende zieht es an die Strecke, trotz der Kälte. Im Fahrerfeld vorne mit dabei ist auch ein Deutscher.

Von Tim Farin |
    Der Tscheche Zdenek Stybar bei einem Radrennen in Nordspanien.
    Der Hype um Radcross lebt nicht nur vom Sport alleine - sondern auch von der Atmosphäre. (picture alliance / dpa - Miguel Tona)
    Ein trüber Sonntagmittag im flämischen Städtchen Hamme. Schon seit Stunden läuft hier eine Party mit tausenden Teilnehmern. Laute Musik schallt über das Gelände. Vor Fritten- und Bierbuden reihen sich Menschen in dicken Winterkleidern. In einem großen Festzelt tanzen die Leute.
    Im Winter, vor allem während der Zeit zwischen Weihnachten und den ersten Tagen des neuen Jahres, beherrscht in Belgien der Radsport die Gespräche. Genauer gesagt: Radcross, also Querfeldeinrennen auf Rennrädern, die für den Einsatz auf Waldböden, in Sanddünen oder auf matschigem Grund gerüstet sind. Hier, wo der Radsport ohnehin zur Leitkultur gehört, hat diese akrobatische Unterdisziplin einen enormen Stellenwert.
    Hype in Flandern
    Rennen locken Hunderttausende vor die Fernseher - allein im kleinen Flandern. Der größte Star, Sven Nys, 38 Jahre alt, war bereits Belgiens Sportler des Jahres - vor allen Fußballern und den Kollegen aus dem Straßenradsport. Nys erklärt, womit seine Sportart die Zuschauer begeistert:
    "Während jeder Sekunde dieser Rennen sieht man etwas anderes. Taktik, Manöver, Leiden. So kann man nicht fünf Sekunden vom Fernseher weggehen, ohne etwas zu verpassen."
    Die Massen kommen auch an die Rennstrecken selbst, etwa in Hamme: 15.000 Zuschauer für das Rennen der BB-Trofee. Das ist eine von drei Rennserien des Winters. Im Pressezentrum gehen Fotografen und Journalisten ein und aus, vor allem die flämische Öffentlichkeit will versorgt werden mit Informationen. 45 Kollegen sind akkreditiert, die Fernsehteams nicht mitgerechnet.
    Niels Rouvrois sitzt im Pressezentrum an seinem Rechner. Der Journalist berichtet jedes Wochenende vom Cross. Warum interessiert sein Thema so viele Leute?
    "Es ist auch so beliebt, weil der Sport den Zuschauern so nahe ist. Sie können zu den Campingwagen der Fahrer gehen, mit ihnen sprechen, Fotos machen. Die Fahrer wollen das auch, sie wissen, wie wichtig die Zuschauer und die Medien sind. Es ist eigentlich so ein kleiner Sport, und ich glaube er ist deswegen so groß geworden."
    Die Atmosphäre ist entscheidend
    Aber es muss eben auch gefeiert werden, viel Bier und Musik gehörten dazu, meint der Berichterstatter:
    "Die Leute, die zum Radcross kommen, zieht es nicht nur wegen des Rennens her. Sie kommen für das Gesamtpaket."
    Auf dem kleinen Marktplatz von Hamme beobachten Leute mit Fanschals und Fahnen, wie die Mechaniker die Ketten der Crossräder reinigen. Hier ist der Spitzensport des Winters ganz nah an den normalen Leuten. Auch ein Deutscher ist unter den "Helden des Feldes". Philipp Walsleben, 27 Jahre alt, gebürtiger Brandenburger, lebt seit Jahren in Flandern. Er gehört zu den Top-Fahrern.
    "Wir haben im Winter, das heißt von September bis Februar, 40 bis 45 Rennen, fast an jedem Wochenende zwei Rennen und die sind maximal, jedes Mal eine Stunde Vollgas. Das heißt, als Fahrer ist es sehr hart. Aber es ist eine gesunde Mischung zwischen hartem Sport und auch einem kleinen bisschen Kirmes. Man kann als Zuschauer ganz einfach den ganzen Tag damit füllen."
    Von schlechtem Wetter solle man sich gerade nicht abhalten lassen, sagt Walsleben. Wanderschuhe oder Gummistiefel, regensichere Kleidung und warme Textilien sollte man als Zuschauer dabei haben. Für die Fahrer hingegen wird es kurz vor dem Start kalt. Sie reihen sich in ihren kurzen Renntrikots auf und blicken mit voller Konzentration auf die Ampel, die ihnen das Startsignal gibt.
    Ab dem Moment, in dem das Licht auf Grün wechselt, müssen Walsleben und seine Konkurrenten alles geben, um vor der ersten Kurve ganz vorne zu sein.
    Spektakuläre Manöver
    Wenn das Rennen losgegangen ist, wird es kurzweilig. Die Fahrer geben eine Stunde lang alles. Je nach Standort entlang der Strecke kann man ihnen bei spektakulären Lenkmanövern in engen Kurven auf Waldboden zusehen, sie über den Asphalt der Zielgeraden rasen sehen oder auch staunen, wie schnell sie mit ihren Rädern auf der Schulter über die Treppen-Hindernisse rennen.
    Da beim Cross in einem Rundkurs gefahren wird, haben die Zuschauer das Rennen gut im Blick. An diesem Tag in Hamme verläuft der Wettbewerb spannend. Zwischendurch setzt sich ein junger Fahrer ab, der aber in der ernsten Phase gestellt wird. Philipp Walsleben kommt kurz vor dem Ende in eine gute Position. Er ist Teil einer Dreiergruppe an der Spitze des Rennens.
    Doch er verliert beim Einbiegen von einer Böschung auf den Asphalt der Zielgeraden den Kontakt zu den beiden Konkurrenten.
    Die beiden enteilen Walsleben auf der Schlussgeraden. Es siegt der der junge Belgier Wout van Aert. Gefeiert wird er von den Fans mit tobendem Applaus, auch bei der Siegerehrung verharren sie noch bei knapp über null Grad und Nieselregeln.
    Aber auch für die Fans seiner Gegner bleibt dies ein Abend zum Feiern. Während vereinzelte Zuschauer durch den Matsch zurück zu ihren Autos stapfen, wummert aus der Ferne der Bass des großen Partyzelts. Ein ganz normaler Wintersonntag in Flandern ist noch lange nicht vorbei.