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Radfahrer bitte absteigen?

Autofahrer, die angesichts hoher Spritpreise oder dem Klima zuliebe aufs Fahrrad umsteigen, merken beim Einkaufen vielleicht zum ersten Mal, dass in der Stadt der Autoverkehr die Rahmenbedingungen setzt. Überzeugende Konzepte für den Radfahrer als Kunden sind Mangelware. Wie sich das ändern läst, hat eine gemeinsame Tagung des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland, des Deutschen Städtetags, des Bundesverkehrsministeriums und des Handels untersucht.

Von André Hatting | 02.07.2008
    36 Prozent aller Fahrten führen zum Einkauf. Häufiger noch als zur Arbeit macht sich der Deutsche auf den Weg, um Milch, Brot und Eier zu kaufen. Das tut er meistens im Supermarkt. Und dahin fährt er am liebsten mit dem Auto. Nicht einmal jeder zehnte radelt zum Lebensmittelladen. Das ergaben die Untersuchungen im Rahmen eines BUND-Projektes, das Merja Spott betreut hat. Grund für diese Autovorliebe sei die seit den 50er Jahren anhaltende Entwicklung, in den Städten die verschiedenen Lebensbereiche auch räumlich zu trennen:

    "Ich habe eine Wohnsiedlung und am Rand der Wohnsiedlung das Einkaufszentrum und wenn ich am anderen Ende der Wohnsiedlung wohne, habe ich einen langen Weg, um überhaupt das Geschäft zu erreichen. Diese Distanzen werden immer länger auch mit der Sub-Urbanisierung, dass die Menschen immer mehr aus den Städten rausziehen, und meint, die alltäglichen Wege mit dem Auto zurück legen zu müssen."

    Langfristig helfe dagegen nur ein Flächenrecycling. Das heißt, wieder im Stadtzentrum Wohn- und Gewerbeeinheiten zusammen zu führen. Kurzfristig aber ist nach Ansicht des BUND entscheidend, die Wege für Radfahrer zu verbessern. Genau das war Ziel des Projektes "Einkaufen mit dem Fahrrad" des BUND. Seit 2006 wurde in fünf ausgewählten Städten Deutschlands versucht, durch Aktionen und Gespräche auf das große Potential der radelnden Kunden aufmerksam zu machen. Egal ob in Göttingen, Rostock, Kiel, Offenburg oder Bremen - das Hauptproblem ist überall das gleiche, sagt Merja Spott. Radfahrer werden als Kunden unterschätzt.

    "Ich glaube, es liegt auch daran, dass viele Menschen denken, dass Leute mit dem Auto mehr einkaufen können, dass sie also die ‚besseren Kunden' - in Anführungsstrichen - sind. Wobei da Zählungen belegt haben, dass das anders ist, weil, Radfahrer kaufen vielleicht erstmal weniger, aber sie kommen öfter. Und dadurch geben sie im Prinzip gleich viel oder mehr Geld aus."

    Fahrradfahrer - die unterschätzte Käufergruppe! Wie wenig der Einzelhandel die Zweiradfraktion im Auge hat, beweist nicht nur die enttäuschend geringe Mitarbeit an dem Projekt. Auch auf der gestrigen Tagung glänzten die Gewerbetreibenden durch Abwesenheit. Dabei sind es oft nur Kleinigkeiten, die fehlen: Ein Fahrradständer zum Beispiel. Aber auch die Radfahrer unterschätzen ihre Möglichkeiten. In Gepäckträgertaschen passen mehr als nur ein paar Äpfel und ein Anhänger schafft Platz für mehrere Getränkekisten. Radler statt Autos in der City - darüber freut sich im Prinzip jede Stadt, sagt Oliver Mietzsch. Die Sache hat aber einen Haken. Der Verkehrsreferent beim Deutschen Städtetag rechnet vor, dass jeder Meter Fahrradstreifen auf der Straße weniger Platz für die Autos bedeutet. Das wiederum führt zu Staus und erhöht das Unfallrisiko. Wichtig sei darum, die gesetzlichen Vorgaben für die Städteplanung zu ändern, so Mietzsch:

    "Im Moment sieht es in der Regel so aus, dass die Landesbauordnungen in den einzelnen Bundesländern privaten Bauherren vorschreiben, dass sie in einem bestimmten Umfang PKW-Stellplätze zur Verfügung stellen müssen. Nur einige Länder sehen auch die Alternative vor, statt PKW-Stellplätzen Radverkehrsanlagen und Abstellanlagen zur Verfügung zu stellen. Das wäre also ein erster Schritt. Das Zweite ist: Letztlich müsste man dem Investor auch das Verkehrsmengenrisiko aufgeben. In der Schweiz zum Beispiel gibt es im Kanton Zürich die Möglichkeit, dass ein Investor, der irgendwo am Stadtrand auf der grünen Wiese ein Einkaufszentrum errichtet, dafür Sorge tragen muss, dass dieses Einkaufszentrum nur mit einer begrenzten Anzahl von Autos jeden Tag angefahren wird."