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"Radikal jung" in München

"Radikal jung" heißt das Festival, das gerade in München, am Volkstheater zum zweiten Mal stattfindet. Es ist ein Treffen ausgewählter junger Theaterhoffnungen, die acht Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum präsentieren. Den Anfang gab programmatisch Jorinde Dröse mit Marieluise Fleißers Frühwerk "Fegefeuer in Ingolstadt".

Von Sven Ricklefs |
    Jung an sich ist keine Qualität und erst Recht kein Pseudonym für radikal. Trotzdem kann man nach dieser einen Woche festhalten, dass die Jury des Festivals "Radikal jung" acht Produktionen ausgewählt haben, die vor allem eins zeigen: Talent. Und was will man eigentlich mehr. Zugleich kann man an diesen Arbeiten von etwa David Bösch, Roger Vonthobel, Lisa Nielbock oder Florian Fiedler, einige Gemeinsamkeiten feststellen, die durchaus aufmerken lassen: Fast alle erzählen von der Liebe und damit von einer mehr oder minder weiten Privatsphäre, und dass, ohne dabei ironisch in Distanz zu gehen, wie dass noch vor kurzem bei Emotionsgeschichten auch im Theater üblich war.

    Von der viel zitierten Zertrümmerung der Stücke ganz zu schweigen, die seit den 90er Jahren notwendig war. Nur im Scherbenhaufen lies sich erkennen, ob wir im Angesicht einer globalisierten Welt und der darin verlorenen Individuen überhaupt noch auf unsere Tradition zurückgreifen können. Und so ist übrigens die aktuelle überaus despektierliche Feuilletondebatte über das angebliche Schmuddeltheater, dem es Einhalt zu gebieten gilt, so überflüssig wie ein Kropf.

    Interessant dagegen ist, dass nun eine junge Generation ohne Aufhebens mit ihren Arbeiten diese Epoche für abgeschlossen erklärt. Nach dem Dekonstruktionstheater wieder die Geschichte mit Anfang und Ende, mit Psychologie und mit Figuren. wie andere Künste auch, so lebt auch das Theater von Rückbesinnung und Neubelebung, und es scheint als wäre im genauen Hinhören auf den Text im Theater auch etwas wie eine neue Ernsthaftigkeit und zumindest eine Sehnsucht nach Haltung ausgebrochen.

    Es ist die erste Generation, die Theaterregie studiert hat. Während man sich früher mühsam als Regie-Assistent in langen Jahren des berühmten Kaffeeholens verdingte, um irgendwann einmal die erste Studiobühneninszenierung machen zu dürfen, sitzen heute Dramaturgen und Intendanten bereits bei den Zwischenprüfungen der noch jungen Regiestudiengänge an Akademien und Hochschulen und "rekrutieren" sich ihre Talente schon frühzeitig. Vor allem die Arbeit mit Schauspielern kann in diesen Ausbildungsgängen ausprobiert werden und so hat gleichsam eine Professionalisierung des Regieberufes eingesetzt. Doch das frühe und gezielte Talent-shooting birgt gleichzeitig große Gefahren: Verantwortung auf beiden Seite ist gefragt:: Intendanten müssen Schutzräume bieten, die auch noch bestehen, wenn der erste Flop gelandet ist. Und die jungen Regisseure müssen sich dieser Schutzräume bewusst sein, um dann den Verführungen des Marktes ebenso bewusst zu begegnen.

    Der Druck des Marktes ist ungeheuer, denn Jugend gilt unhinterfragt noch immer als die Qualität schlechthin in unserer Gesellschaft. Vor 15 Jahren etwa begann dieser Run auf junge Talente, damals machte eine andere junge Regie-Generation auf sich aufmerksam, die es sich auch zum Ziel gesetzt hatte, die von den ewig sich jung wähnenden 68ern besetzten Intendanzen zu stürmen. Heute ist etwa ein Christian Stückl, der Initiator des Festivals "Radikal jung" wie viele andere seiner Generation Anfang 40 längst Intendant, und wie Mathias Hartmann in Zürich, Anselm Weber in Essen oder Amelie Niermeyer bald in Mannheim kümmert sich Stückl an seinem Volkstheater in München intensiv um den Regienachwuchs. Die Väter also sind inzwischen fast alle gestürzt und die neuen Jungen werden gepflegt gleichsam von ihren großen Brüder und Schwestern, gegen die man wahrlich nicht rebellieren kann. Also auch hier: kein radikal nirgends.

    Für ihren griffigen und leicht reißerischen Titel « Radikal jung » haben die Initiatoren des Festivals denn auch schon im letzten Jahr heftig Prügel bezogen. Wie wir ja aus der Werbung seit Jahrzehnten wissen, soll das, was drauf steht auch angeblich drin sein. Doch sogar die eingeladenen Regisseure des letzten Jahres selbst bezeichneten sich herausfordernd wenn überhaupt als radikal dann als radikal mittelmäßig. Dass die neue junge Regie-Generation sicherlich nicht mittelmäßig ist, davon konnte man sich in dieser Woche beim Festival im Münchner Volkstheater überzeugen, radikal allerdings im spektakulären Sinne ist sie auch nicht. Ohnehin sagt dieses "radikal" wohl mehr aus über die Sehnsucht der Ältergewordenen und ihrer Vorstellung davon, wie Jugend auf jeden Fall zu sein hat. Radikal nämlich. Dass unserer so hilflos im Nebel herumtappenden Gesellschaft ein wenig Radikalität gut tun würde, ist unbestritten, Radikalität im Sinne von Haltung, Standpunkt, Entscheidung und damit Orientierung, nur sollte man diese Radikalität nicht unbedingt nur an die Jugend delegieren.