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Radikal pensionsberechtigt
Glück, Glanz und Ruhm hatte Robert Gernhardt als irdisches Etappenziel ausgerufen, und man darf sagen, die Neue Frankfurter Schule hat es spielend erreicht. Schon vor mehr als zwanzig Jahren konnten ihre Gründungsväter F. K. Waechter, F. W. Bernstein und Robert Gernhardt die Frage, ob sie denn nun die Nonsense-Klassiker des 20. Jahrhunderts seien, guten Gewissens eigentlich nur mit ja beantworten. Inzwischen schreitet die Kanonisierung mächtig voran. Es hat bisweilen sogar etwas Rührendes, wenn sich brave akademische Tagungsleiter ins Sonntagskostüm eines kauzig komischen Sprechens werfen, um den Komikhelden Schnuffi oder das Schnabeltier zu höchst achtbaren philosophischen Objekten zu erklären. Tatsächlich sind die Verdienste dieser drei Herren gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wie sah es denn Anfang der 60er Jahre aus? Dort waren Wirtschaftswunder, Wiederbewaffnung, im Bundestag die Stimmungskanonen Wehner und Strauß. Nur die professionelle Komik war zum Schreien unkomisch, mit Ausnahme von Loriot natürlich. Da kam F. K. Waechter 1962 zum frischgegründeten Satireblatt Pardon, wenig später dann auch Robert Gernhardt und F.W. Bernstein. Jetzt konnte es losgehen. Während andere an neuen Waffen, Soßenbindern oder chemischem Fliegentod basteln, arbeiten die drei bis tief in die Nächte, vorzugsweise in Frankfurts bürgerlichen Kneipenstuben, an einer grundstürzenden Neuformulierung des Komischen in Wort und Bild. Radikal tabulos wurde da gestrichelt und gereimt, Rohes und Ausgekochtes, Albernes und noch Alberneres. Dies geschah mit spasmolytischer Wirkung. 'Der Kragenbär, der holt sich munter, einen nach dem anderen runter'. Das Aphrodisiakum war neben Bier vor allem die Gruppe selbst. Ein Programm gab es nicht, es sei denn dieses: 'The Comedy inside you', die innere Komödie frei zu setzen. Dann war da noch Bernsteins inzwischen geflügeltes Wort 'die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche'. Das war sozusagen die kritische Theorie der Neuen Frankfurter Schule, gleich um die Ecke von der alten. Das ist jedenfalls ein Satz, der eine Satire, die sich allzu sehr ins Zeug legt, die rote Karte zeigt. Das Ganze ist das Unwahre, Adornos Diktum. Unwahr mag das Ganze ja sein, aber eben auch urkomisch. Das wollte man auch sein, ohne Rücksicht auf kritische Zwecke. Und das war beinahe revolutionär. Komisch galt also nicht als ästhetischer Nährwert, sondern als maßgebender Wert an sich. Das war Komik, die nicht nach Sinn oder Unsinn fragt, sondern der Sinn schon ist. Wie Hans im Glück spaziert sie heiter und beschwingt durch das Jammertal des falschen Lebens, und was sie tut, es ist richtig und gut. Aus diesem Freigeist entstand Wilms Welt im Spiegel. Das ist die Humorbeilage von 'Pardon', das Komiklabor, aus dem später 'Titanic' und alle ernst zu nehmenden Spaßguerilleros bis heute hervorgegangen sind. Ja, wie sieht es heute aus? Da sind Rezession und wiedergewonnene deutsche Verantwortungen im Felde, im Bundestag die Stimmungskanonen Merkel und Westerwelle. Die professionelle Comedy ist zum Schreien, mit Ausnahme von Loriot natürlich und eben der hoch verdienten Equipe der neuen Frankfurter Schule. Gernhardt, Bernstein und Waechter, um nur den harten Kern zu nennen, haben mit ihrem wackeren Eudämonismus ihrer morgensternschen Helligkeit und Schnelligkeit wirklich alles gegeben und sich den Ruhestand mit 65 Jahren redlich verdient. Leider hat sich der deutsche Glücksquotient, wie wir von Professor Noelle-Neumann periodisch erfahren, seit Jahr und Tag kein Jodler vom Fleck bewegt. Ob es stürmt oder schneit, die Wühltische voll sind oder die Konten blank, die Deutschen sind einfach immer gleich unglücklich. Superminister Clement kündete soeben an, die graue Stimmung im Lande mit den Arbeitslosen endgültig abschaffen zu wollen. 'Wir wollen keinen Wein in den Essig gießen'. Aber er sah dabei aus wie die leibhaftige Reinkarnation von Chlodwig Poths legendärem Frust. Da setzen wir doch lieber und freuen uns auf das Alterswerk der drei großen Frankfurter, auf weitere reizvolle Verkehrtheiten wie 'Adele zeigt ihren Brüsten die Männer'. Für solche vor Weltironie knisternden Blättchen und Reime lassen wir die gesamte Gesundheitsreform der Renten links liegen. Was nützen uns die gesündesten Renten, wenn wir nicht fröhlich sind, wenn wir nicht lachen können. Wie gern hat es Gott beim Lesen von Nietzsche oder Waechters 'dicker Mann', der dem rudernden Sensenmann zuruft: 'Is ejal wohin, Hauptsache is was los'. Wenn es stimmt, dass im letzten Stündlein das Leben noch einmal vorbeirauscht, dann möchte ich einige Cartoons von Waechter noch einmal sehen, wenigstens aber die Eule mit Norwegen-Pullover. Mit diesem Herzenswunsch meinerseits sage ich 'Herzlichen Glückwunsch' nach Frankfurt.
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