"Ein öffentliches Fest, wo zehn, fünfzehn, zwanzig fröhlich zechende Glatzen immer besoffener geworden sind und immer mehr auch irgend wie Hitlergruß und auf den Tisch gestanden und die alte, frühere Nazi-Nationalhymne gesungen haben; hat sich gar niemand dran gestört. - Paar so eher Jung-Punks, die ham dann Ärger gekriegt mit der Gruppe, ham dann angerufen in der Nähe in so nem Autonomen Zentrum, dann sind auf einmal Vermummte gekommen und dann hat‘s richtig Ärger gegeben. Aber vorher ist die ganze Zeit nichts passiert."
Rechtes Gedankengut, Nazilieder und Hitlergruß wurden also von den anderen Festgästen toleriert, beobachtete der diplomierte Sozialarbeiter Gerhard Dinger vom Kreisjugendring des Rems-Murr-Kreises.
Dieser Kreis mit dem Namen seiner beiden Flüsschen liegt östlich von Stuttgart und ist geprägt von waldigen Bergen, Landwirtschaft, Weinbau, kleinen Städten und Dörfern. In einigen Orten erreichen rechte Parteien zweistellige Wahlergebnisse und jeder zehnte Skinhead des Landes Baden-Württemberg soll im Kreisgebiet leben. Warum dort Rechte überdurchschnittlich häufig auftreten, untersuchte der Tübinger Erziehungswissenschaftler Prof. Josef Held im Auftrag eines Vereins, den führende IG-Metall-Mitglieder gegründet hatten. Das wohlhabende Untersuchungsgebiet kam dem Forscher grade recht,
"weil normaler Weise die Rechtsextremismusforschung davon ausgeht, dass alle die Regionen anfällig sind, denen es schlecht geht. Beispiel ist immer der Osten in Deutschland. Und wir waren schon von Anfang an der Meinung, dass das so nicht stimmt."
Seit den 90er Jahren hat Josef Held in mehreren Studien zu rechten Verhaltensmustern festgestellt, dass Benachteiligung als Erklärung nicht genügt. In diesem Landkreis etwa fehlt der politische Unterschied zwischen liberalerer Stadt und konservativerem Land:
"Wir haben keinen Unterschied feststellen können, zwischen den Dörfern und den Städten hier im Rems-Murr-Kreis. Darauf hin haben wir uns die Städte dann etwas genauer angeguckt und fest gestellt, sie sind eigentlich Kleinstädte von ihrem ganzen Klima her und sie sind so zersplittert und aufgeteilt, dass man fast von einer dörflichen Kultur sprechen kann."
Doch das beliebte Klischee von den gebildeten Städtern und den dumpfen Dörflern stimmt ebenfalls nicht, erklärt der Sozialwissenschaftler:
"Nicht zu allen Zeiten ist die dörfliche Kultur oder Dorf-ähnliche Struktur anfällig für Rechtsextremismus. Aber in diesen Zeiten in denen sozusagen durch die Globalisierung der eigene Ort auch in bestimmter Weise entwertet wird, gibt es ziemlich viele, die sich wieder zurück besinnen auf ihre eigenen Gegend. Das ist auch richtig, aber bei Manchen ist das so stark, dass sie sich abschotten, abzuschotten versuchen. Und dann geht es um das Thema Ausgrenzung."
Alle die anders sind, egal ob durch Hautfarbe, Partnerwahl oder politische Ansichten, werden als zusätzliche Bedrohung der eigenen Identität erlebt. Daran knüpfen dann Rechtsextreme gerne an.
Das Phänomen ist zutiefst menschlich und weltweit zu beobachten. Wer seinen Partner verliert, muss sich erst mal selbst wieder finden. Genauso müssen Menschen in Zeiten starken Wandels, etwa nach Auflösung der Sowjetunion oder Jugoslawiens ihre gemeinsamen Wurzeln suchen und betonen dann zunächst nationale Eigenheiten stark.
"Wir nennen diesen sehr starken und übertrieben künstlichen Bezug auf das Lokale nennen wir "Lokalismus". Sozusagen parallel zu Nationalismus. Wobei auch der Nationalismus eine Art von Lokalismus ist. In der Globalisierung ist die Nation in Frage gestellt, die Nation-Konstruktion und der nationale Staat und dann genau in dem Moment bezieht man sich sehr stark drauf. So ist es auch bis ins kleinste Dorf zum Teil, nämlich indem die dörfliche Kultur durch die Globalisierung in Frage gestellt ist, wird sie besonders attraktiv, aber auf eine Art künstliche Art und Weise - und darin liegt das Problem."
Die vertraute Umgebung, der örtliche Dialekt, Musik, Dorffeste, Brauchtumspflege, all das kann das Selbstbewusstsein und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Diese Geborgenheit in der Gemeinschaft tut gut, vor allem, wenn man sich bedrängt fühlt.
Auch Gerhard Dinger, der mit vielen Jugendlichen und Erwachsenen Gespräche führte, beobachtete diesen Rückzug ins eigene Dorf oder Viertel:
"Was schon sehr erstaunlich war, ist diese Unterscheidung auch innerhalb von den einzelnen kleinen Einheiten, kleinen Gemeinden, das: Wer kommt von hier? Und wer kommt von außerhalb? - Also wer zu uns dazu gehört, auf den wird eher aufgepasst, der kann auch mal was Falsches machen, der fährt mal mit seinen Auto in den Graben, dann zieht man ihn mit dem Schlepper wieder raus. Das ist ja der Sohn vom Soundso. Während anders herum, wenn jemand von außerhalb kommt, der es sehr, sehr schwer hat da überhaupt rein zu kommen und auch akzeptiert zu werden."
Dass da etwas mit dem Selbstbewusstsein nicht stimmt, merkt man oft an Kleinigkeiten:
"Oft wird gelästert: Oh, bei mir ist nix los. Aber sobald es dann nach Außen geht, beziehungsweise sobald irgend jemand von außerhalb kommt, dann wird das eigene Dorf sehr hoch gelobt."
Das gibt es nicht nur im Rems-Murr-Kreis, derartige Verhaltensmuster sind weit verbreitet. Genauso haben Streitigkeiten mit dem Nachbarort Tradition. Aber: das Zusammenglucken zur Abwehr einer irritierenden globalisierten Welt hat eine andere Qualität, weil dabei alles Fremde in einen Topf geworfen wird. Josef Held beschreibt, wie daraus Fremdenfeindlichkeit entstehen kann:
"An Hand dieser Unterscheidung von - wir und die Anderen - bildet sich die eigene Identität dann auch. Und dann gibt‘s so eine Mischung aus ner nationalen Identität, also "Wir Deutsche", aber dann aber auch "Wir Waiblinger". Und das kann dann mit einander zusammen kommen. Und das sind dann wir. Und die Anderen, das sind dann sozusagen die Eingewanderten. Und nicht nur die Eingewanderten, es können auch die Homosexuellen sein, oder die Behinderten, oder wie immer. Auf jeden Fall es gibt sozusagen Außengruppen, von denen man sich abgrenzt und an Hand derer man seine eigene Identität zu bilden versucht. Und das ist ziemlich gefährlich."
Erstens, für die Betroffenen selbst, weil sie ihr Selbstwertgefühl nicht von eigenen Fähigkeiten und Leistungen, sondern von fremden Menschen abhängig machen.
Zweitens für die Einheimischen und die Fremden, weil man sie gar nicht kennen zu lernen versucht und ihnen obendrein Geborgenheit verweigert. Es könnte ja sein, dass die Fremden nette Leute und eine Bereicherung für die Gemeinschaft wären.
Und drittens für die politische Kultur, weil diese latente Fremdenfeindlichkeit für Rechtsradikale ein gefundenes Fressen ist.
Wenn es mit dem Selbstbewusstsein nicht weit her ist, kann das an den Erlebnissen in Kindheit und Jugend liegen. Es liegt aber - entgegen mancher Vorurteile - keine Vernachlässigung der Jugendlichen vor, fand Josef Held:
"Es ist nicht so, dass die Eltern sich zu wenig kümmern, sondern dass Problem ist eher, dass die Jungen im Unterschied zu früher gegen die Eltern gar nicht besonders rebellieren. Das heißt die Familie selbst ist ein Problem - zum Teil und damit sozusagen anfällig für Rechtsextremismus."
Dass dieses gesunde Aufbegehren die überlieferten Werte auf die notwendige Probe stellt, und junge Menschen aus dieser Auseinandersetzung mit einem stärkeren Selbstbewusstsein hervor gehen, all das scheint hier oft zu fehlen. Ansichten von Eltern und Jugendlichen stimmen häufig überein:
"Zum Teil hat man sogar den Eindruck in Bezug auf politische Orientierung leiten die Jungen die Alten an. Es ist in Umwälz-Gesellschaften sowieso relativ häufig, dass die Jungen dann Einfluss nehmen auf die Alten, weil die Alten meinen, sie kommen nicht mehr richtig mit, mit der neuen Zeit usw. Und dann ergibt sich so ein Wechselspiel zwischen den Jungen und den Alten. Die wohnen ja auch zum hohen Prozentsatz bis zum Alter von 25 Jahren noch bei den Eltern und es ergibt sich dann so eine Interaktion, wo sich was aufschaukelt, wo sozusagen von den Familien aus die Dorfstruktur wieder nach rechts beeinflusst wird."
Grade weil man sich und seine Wertvorstellungen nicht durch Fremde oder Fremdes in Frage stellen lässt, entsteht eine Art Rückkoppelung, die solche Trends verstärkt.
"Das Neue an der jetzigen Situation in Bezug auf den Rechtsextremismus ist, dass der Rechtsextremismus eine ziemliche Faszination ausübt. Und zwar noch eine stärkere Faszination, als vor zehn Jahren - bei den jungen Leuten."
Gerhard Dinger hat - und das nicht nur im Rems-Murr-Kreis - beobachtet,
"dass es oft sehr unbedacht, vielleicht unbedacht, mit so Dinge wie "Hau doch den Bimbo um, oder den Neger!", dass da irgend wie auf dem vermeintlichen Witzniveau, geredet wird in Kneipen, auf dem Fußballplatz und, dass das in so fern sehr dramatisch ist, weil das natürlich Jugendliche und Kinder mitkriegen, schon sehr früh. Und das macht nen Zugang zu dem ganzen Gedankengut sehr viel niederschwelliger. Dass das wirklich auch so funktioniert habe ich auch in Interviews gemerkt mit einem Jugendlichen, der aus der rechten Szene kommt, der auch in der Zeit noch im Knast gesessen ist. Und der einfach gesagt hat: "Ja mir sind diejenigen lieber, die sagen es wenigstens, die Anderen denkens nur. "
In dieser Einschätzung werden diejenigen, die rechtes Gedankengut vertreten, allerdings auch durch die Haltung der Anderen bestätigt. Josef Held untersuchte Haltungen die den Rechtsextremismus fördern:
"Da haben wir Folgendes fest gestellt: Da ist einmal die Haltung der Duldung. Also man sagt: Ja so schlimm sind sie ja gar nicht. Sind doch eigentlich unsere Jungs und man sollt nicht immer alles gleich so hoch ziehen, usw. Das Zweite ist das Ignorieren. Also wir haben das oft erlebt in Schulklassen auch: Die Schüler haben uns gesagt: Hier sind sie die Nazis, und haben alle aufgezählt und die so genannten Nazis haben dann von sich aus gesagt: Ja, wir sind Nazis. Und dann haben wir die Lehrer gefragt und dann wussten sie von nichts - angeblich, aber vielleicht auch tatsächlich."
Wer rechte oder fremdenfeindliche Aussagen kritisiert, statt sie zu dulden, hat es schwerer. Wer genau hin schaut, der muss sich mehr Gedanken machen und früher oder später auch mal Stellung beziehen. Das fällt besonders im Verein schwer, wo man es sich nicht mit dem Vorstand oder dem Trainer verderben will.
"Das Dritte ist so ein alltäglicher Rassismus, der an ganz bestimmten Orten sich entwickeln kann. Zum Beispiel auf dem regionalen Fußballplatz. Es gibt sozusagen Orte, da darf man sagen, was man will, nach dem Motto. Und dieses "was man will" das hat dann oft einen rassistischen Hintergrund: Also dass man dann, wenn ein Schwarzer in der Fußballmannschaft irgend etwas falsch macht, dass man dann Geräusche wie von Affen macht. Und man amüsiert sich köstlich drüber. Das ist sozusagen der Alltagsrassismus, den es in vielfältiger Weise gibt und der dann einfach nur Spaß macht. Und das darf man dann natürlich nicht so ernst nehmen, man wird ja noch ein Witzchen machen dürfen. Aber auf dem Weg wird sozusagen auch Akzeptanz geschaffen."
Dabei spielt auch das rege Vereinsleben auf dem Lande eine wichtige Rolle. Umgekehrt befinden sich die, die im Ort oder im Verein das Sagen haben, auch oft in einem Zwiespalt:
"Diese Ambivalenz drückt sich so aus, dass sie sagen: Ja, das stört mich auch, aber ich möchte den Kontakt nicht zu denen verlieren. Weil wenn ich den Kontakt verliere, dann hab ich keine Kontrolle mehr drüber. Und in dieser Balance, dass man einerseits das nicht will, aber andererseits sie auch nicht ausschließen will, diese Balance die kann immer leicht kippen in die Richtung, dass man den Rechtsextremismus zu stark akzeptiert."
In einem Ort waren Skinheads so gut integriert, dass sie öffentlich Bänke für den Dorfplatz bauten. Die Klischees über Rechte und Rechtsextreme, das seien doch alles zu kurz gekommene Ewiggestrige stimmen nicht mehr. Es gibt rechte Biedermänner:
"Man kann grob unterscheiden bei diesen vielfältigen Milieus zwischen zwei Gruppen von Rechtsextremen: Nämlich einmal - so nannten wir das - die Rechtsextremen diesseits der roten Linie der Akzeptanz, und die Rechtsextremen jenseits der roten Linie. Die diesseits der roten Linie, die wollen akzeptiert werden von ihrer eigenen Umgebung. Und, was für mich neu war, sie wollen nicht nur akzeptiert werden, sondern sie versuchen die Akzeptanz auch für sich selber her zu stellen, indem sie sich nützlich machen, also indem sie hohes bürgerschaftliches Engagement zeigen. Und dadurch geraten natürlich alle Repräsentanten in eine ambivalente Situation, weil die aktivsten Mitglieder, die sie brauchen, sind gleichzeitig aber Nazis - vielleicht. Jugendliche, die dann auffallen in solche Feste, das sind eher diejenigen, wo dann auch wirklich zielgerichtet auf Ärger aus sind, Lust haben sich sinnlos voll zu saufen und dann Ärger zu machen."
... ergänzt Gerhard Dinger. Das sind dann auch eher Menschen, die durch schwierige Kindheit, geringe Bildung, und wenig Erfolg am Arbeitsplatz geprägt wurden. Jemand, der sich dagegen engagiert, den will man nicht vor den Kopf stoßen, oder ausschließen, indem man ihm Grenzen setzt. Jedoch:
"Das ist sehr wichtig, dass man sehr, sehr deutliche Grenzen zieht und, dass man wenig zulässt. Und die Polizei, die sich um Rechtsextremisten kümmert, die handeln auch in dieser Art und Weise, sozusagen: Keine Toleranz gegen Rechtsextremisten."
Dulden oder Wegsehen wird nämlich von Rechten als schweigende Zustimmung und wie ein "Roter Teppich" empfunden, der für sie ausgelegt ist:
"Der Ausdruck "Roter Teppich" ist ganz richtig, weil man muss wirklich aufpassen, dass man die Phänomene, die wir beschrieben haben, dass man die nicht mit Rechtsextremismus identifiziert. Selbst diese Vorfälle auf‘m Fußballplatz, das sind noch keine Beispiele für Rechtsextremismus, sondern, dass ist der Beginn von einer Möglichkeit. Und diese Möglichkeit besteht darin, dass Rechtsextreme immer einen Ort brauchen, an dem sie andocken können."
Wo der alltägliche Rassismus, wo Fremdenfeindliche Sprüche keine Folgen haben, da lohnt es sich eher für rechtes Gedankengut zu werben, als etwa in den Betrieben, wo die gute Zusammenarbeit mehr zählt, als der politische Standort.
"Wir haben festgestellt in unserer Untersuchung, dass in den Orten, die auffällig Aktionen aufzuweisen hatten von Rechtsextremisten, dass in diesen Orten auch im Durchschnitt der Befragten eine stärkere Tendenz nach rechts ging. Das heißt die Rechtsextremen siedeln sich nicht irgendwo an, versuchen nicht irgend wo Fuß zu fassen, sondern an den Orten, wo sie eben denken, dass sie dort auch landen können."
Nachlässigkeit, Gutmütigkeit und Gedankenlosigkeit tragen also mit dazu bei, dass sich rechte Ansichten verbreiten können. Josef Held:
"Deswegen interessieren wir uns genau für solche Andockpunkte und Anknüpfungspunkte. Und da hat sich heraus gestellt, dass das wirklich etwas sehr Wichtiges ist. und, dass man auch - was bisher nicht so beachtet wird - bei den Programmen gegen Rechtsextremismus weniger an den Rechtsextremisten selber ansetzen sollte, sondern ziemlich stark ansetzen sollte an den Strukturen, die den Rechtsextremismus begünstigen. Und wir sagen dazu: An der politischen Kultur muss man ansetzen. Das Wichtigste wäre in Schulen, Vereinen, Betrieb usw. genau hin zu gucken, was ist da überhaupt, weil oft weiß man‘s gar nicht und dann unmittelbar und vor Ort einzuschreiten."
Rechtes Gedankengut, Nazilieder und Hitlergruß wurden also von den anderen Festgästen toleriert, beobachtete der diplomierte Sozialarbeiter Gerhard Dinger vom Kreisjugendring des Rems-Murr-Kreises.
Dieser Kreis mit dem Namen seiner beiden Flüsschen liegt östlich von Stuttgart und ist geprägt von waldigen Bergen, Landwirtschaft, Weinbau, kleinen Städten und Dörfern. In einigen Orten erreichen rechte Parteien zweistellige Wahlergebnisse und jeder zehnte Skinhead des Landes Baden-Württemberg soll im Kreisgebiet leben. Warum dort Rechte überdurchschnittlich häufig auftreten, untersuchte der Tübinger Erziehungswissenschaftler Prof. Josef Held im Auftrag eines Vereins, den führende IG-Metall-Mitglieder gegründet hatten. Das wohlhabende Untersuchungsgebiet kam dem Forscher grade recht,
"weil normaler Weise die Rechtsextremismusforschung davon ausgeht, dass alle die Regionen anfällig sind, denen es schlecht geht. Beispiel ist immer der Osten in Deutschland. Und wir waren schon von Anfang an der Meinung, dass das so nicht stimmt."
Seit den 90er Jahren hat Josef Held in mehreren Studien zu rechten Verhaltensmustern festgestellt, dass Benachteiligung als Erklärung nicht genügt. In diesem Landkreis etwa fehlt der politische Unterschied zwischen liberalerer Stadt und konservativerem Land:
"Wir haben keinen Unterschied feststellen können, zwischen den Dörfern und den Städten hier im Rems-Murr-Kreis. Darauf hin haben wir uns die Städte dann etwas genauer angeguckt und fest gestellt, sie sind eigentlich Kleinstädte von ihrem ganzen Klima her und sie sind so zersplittert und aufgeteilt, dass man fast von einer dörflichen Kultur sprechen kann."
Doch das beliebte Klischee von den gebildeten Städtern und den dumpfen Dörflern stimmt ebenfalls nicht, erklärt der Sozialwissenschaftler:
"Nicht zu allen Zeiten ist die dörfliche Kultur oder Dorf-ähnliche Struktur anfällig für Rechtsextremismus. Aber in diesen Zeiten in denen sozusagen durch die Globalisierung der eigene Ort auch in bestimmter Weise entwertet wird, gibt es ziemlich viele, die sich wieder zurück besinnen auf ihre eigenen Gegend. Das ist auch richtig, aber bei Manchen ist das so stark, dass sie sich abschotten, abzuschotten versuchen. Und dann geht es um das Thema Ausgrenzung."
Alle die anders sind, egal ob durch Hautfarbe, Partnerwahl oder politische Ansichten, werden als zusätzliche Bedrohung der eigenen Identität erlebt. Daran knüpfen dann Rechtsextreme gerne an.
Das Phänomen ist zutiefst menschlich und weltweit zu beobachten. Wer seinen Partner verliert, muss sich erst mal selbst wieder finden. Genauso müssen Menschen in Zeiten starken Wandels, etwa nach Auflösung der Sowjetunion oder Jugoslawiens ihre gemeinsamen Wurzeln suchen und betonen dann zunächst nationale Eigenheiten stark.
"Wir nennen diesen sehr starken und übertrieben künstlichen Bezug auf das Lokale nennen wir "Lokalismus". Sozusagen parallel zu Nationalismus. Wobei auch der Nationalismus eine Art von Lokalismus ist. In der Globalisierung ist die Nation in Frage gestellt, die Nation-Konstruktion und der nationale Staat und dann genau in dem Moment bezieht man sich sehr stark drauf. So ist es auch bis ins kleinste Dorf zum Teil, nämlich indem die dörfliche Kultur durch die Globalisierung in Frage gestellt ist, wird sie besonders attraktiv, aber auf eine Art künstliche Art und Weise - und darin liegt das Problem."
Die vertraute Umgebung, der örtliche Dialekt, Musik, Dorffeste, Brauchtumspflege, all das kann das Selbstbewusstsein und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Diese Geborgenheit in der Gemeinschaft tut gut, vor allem, wenn man sich bedrängt fühlt.
Auch Gerhard Dinger, der mit vielen Jugendlichen und Erwachsenen Gespräche führte, beobachtete diesen Rückzug ins eigene Dorf oder Viertel:
"Was schon sehr erstaunlich war, ist diese Unterscheidung auch innerhalb von den einzelnen kleinen Einheiten, kleinen Gemeinden, das: Wer kommt von hier? Und wer kommt von außerhalb? - Also wer zu uns dazu gehört, auf den wird eher aufgepasst, der kann auch mal was Falsches machen, der fährt mal mit seinen Auto in den Graben, dann zieht man ihn mit dem Schlepper wieder raus. Das ist ja der Sohn vom Soundso. Während anders herum, wenn jemand von außerhalb kommt, der es sehr, sehr schwer hat da überhaupt rein zu kommen und auch akzeptiert zu werden."
Dass da etwas mit dem Selbstbewusstsein nicht stimmt, merkt man oft an Kleinigkeiten:
"Oft wird gelästert: Oh, bei mir ist nix los. Aber sobald es dann nach Außen geht, beziehungsweise sobald irgend jemand von außerhalb kommt, dann wird das eigene Dorf sehr hoch gelobt."
Das gibt es nicht nur im Rems-Murr-Kreis, derartige Verhaltensmuster sind weit verbreitet. Genauso haben Streitigkeiten mit dem Nachbarort Tradition. Aber: das Zusammenglucken zur Abwehr einer irritierenden globalisierten Welt hat eine andere Qualität, weil dabei alles Fremde in einen Topf geworfen wird. Josef Held beschreibt, wie daraus Fremdenfeindlichkeit entstehen kann:
"An Hand dieser Unterscheidung von - wir und die Anderen - bildet sich die eigene Identität dann auch. Und dann gibt‘s so eine Mischung aus ner nationalen Identität, also "Wir Deutsche", aber dann aber auch "Wir Waiblinger". Und das kann dann mit einander zusammen kommen. Und das sind dann wir. Und die Anderen, das sind dann sozusagen die Eingewanderten. Und nicht nur die Eingewanderten, es können auch die Homosexuellen sein, oder die Behinderten, oder wie immer. Auf jeden Fall es gibt sozusagen Außengruppen, von denen man sich abgrenzt und an Hand derer man seine eigene Identität zu bilden versucht. Und das ist ziemlich gefährlich."
Erstens, für die Betroffenen selbst, weil sie ihr Selbstwertgefühl nicht von eigenen Fähigkeiten und Leistungen, sondern von fremden Menschen abhängig machen.
Zweitens für die Einheimischen und die Fremden, weil man sie gar nicht kennen zu lernen versucht und ihnen obendrein Geborgenheit verweigert. Es könnte ja sein, dass die Fremden nette Leute und eine Bereicherung für die Gemeinschaft wären.
Und drittens für die politische Kultur, weil diese latente Fremdenfeindlichkeit für Rechtsradikale ein gefundenes Fressen ist.
Wenn es mit dem Selbstbewusstsein nicht weit her ist, kann das an den Erlebnissen in Kindheit und Jugend liegen. Es liegt aber - entgegen mancher Vorurteile - keine Vernachlässigung der Jugendlichen vor, fand Josef Held:
"Es ist nicht so, dass die Eltern sich zu wenig kümmern, sondern dass Problem ist eher, dass die Jungen im Unterschied zu früher gegen die Eltern gar nicht besonders rebellieren. Das heißt die Familie selbst ist ein Problem - zum Teil und damit sozusagen anfällig für Rechtsextremismus."
Dass dieses gesunde Aufbegehren die überlieferten Werte auf die notwendige Probe stellt, und junge Menschen aus dieser Auseinandersetzung mit einem stärkeren Selbstbewusstsein hervor gehen, all das scheint hier oft zu fehlen. Ansichten von Eltern und Jugendlichen stimmen häufig überein:
"Zum Teil hat man sogar den Eindruck in Bezug auf politische Orientierung leiten die Jungen die Alten an. Es ist in Umwälz-Gesellschaften sowieso relativ häufig, dass die Jungen dann Einfluss nehmen auf die Alten, weil die Alten meinen, sie kommen nicht mehr richtig mit, mit der neuen Zeit usw. Und dann ergibt sich so ein Wechselspiel zwischen den Jungen und den Alten. Die wohnen ja auch zum hohen Prozentsatz bis zum Alter von 25 Jahren noch bei den Eltern und es ergibt sich dann so eine Interaktion, wo sich was aufschaukelt, wo sozusagen von den Familien aus die Dorfstruktur wieder nach rechts beeinflusst wird."
Grade weil man sich und seine Wertvorstellungen nicht durch Fremde oder Fremdes in Frage stellen lässt, entsteht eine Art Rückkoppelung, die solche Trends verstärkt.
"Das Neue an der jetzigen Situation in Bezug auf den Rechtsextremismus ist, dass der Rechtsextremismus eine ziemliche Faszination ausübt. Und zwar noch eine stärkere Faszination, als vor zehn Jahren - bei den jungen Leuten."
Gerhard Dinger hat - und das nicht nur im Rems-Murr-Kreis - beobachtet,
"dass es oft sehr unbedacht, vielleicht unbedacht, mit so Dinge wie "Hau doch den Bimbo um, oder den Neger!", dass da irgend wie auf dem vermeintlichen Witzniveau, geredet wird in Kneipen, auf dem Fußballplatz und, dass das in so fern sehr dramatisch ist, weil das natürlich Jugendliche und Kinder mitkriegen, schon sehr früh. Und das macht nen Zugang zu dem ganzen Gedankengut sehr viel niederschwelliger. Dass das wirklich auch so funktioniert habe ich auch in Interviews gemerkt mit einem Jugendlichen, der aus der rechten Szene kommt, der auch in der Zeit noch im Knast gesessen ist. Und der einfach gesagt hat: "Ja mir sind diejenigen lieber, die sagen es wenigstens, die Anderen denkens nur. "
In dieser Einschätzung werden diejenigen, die rechtes Gedankengut vertreten, allerdings auch durch die Haltung der Anderen bestätigt. Josef Held untersuchte Haltungen die den Rechtsextremismus fördern:
"Da haben wir Folgendes fest gestellt: Da ist einmal die Haltung der Duldung. Also man sagt: Ja so schlimm sind sie ja gar nicht. Sind doch eigentlich unsere Jungs und man sollt nicht immer alles gleich so hoch ziehen, usw. Das Zweite ist das Ignorieren. Also wir haben das oft erlebt in Schulklassen auch: Die Schüler haben uns gesagt: Hier sind sie die Nazis, und haben alle aufgezählt und die so genannten Nazis haben dann von sich aus gesagt: Ja, wir sind Nazis. Und dann haben wir die Lehrer gefragt und dann wussten sie von nichts - angeblich, aber vielleicht auch tatsächlich."
Wer rechte oder fremdenfeindliche Aussagen kritisiert, statt sie zu dulden, hat es schwerer. Wer genau hin schaut, der muss sich mehr Gedanken machen und früher oder später auch mal Stellung beziehen. Das fällt besonders im Verein schwer, wo man es sich nicht mit dem Vorstand oder dem Trainer verderben will.
"Das Dritte ist so ein alltäglicher Rassismus, der an ganz bestimmten Orten sich entwickeln kann. Zum Beispiel auf dem regionalen Fußballplatz. Es gibt sozusagen Orte, da darf man sagen, was man will, nach dem Motto. Und dieses "was man will" das hat dann oft einen rassistischen Hintergrund: Also dass man dann, wenn ein Schwarzer in der Fußballmannschaft irgend etwas falsch macht, dass man dann Geräusche wie von Affen macht. Und man amüsiert sich köstlich drüber. Das ist sozusagen der Alltagsrassismus, den es in vielfältiger Weise gibt und der dann einfach nur Spaß macht. Und das darf man dann natürlich nicht so ernst nehmen, man wird ja noch ein Witzchen machen dürfen. Aber auf dem Weg wird sozusagen auch Akzeptanz geschaffen."
Dabei spielt auch das rege Vereinsleben auf dem Lande eine wichtige Rolle. Umgekehrt befinden sich die, die im Ort oder im Verein das Sagen haben, auch oft in einem Zwiespalt:
"Diese Ambivalenz drückt sich so aus, dass sie sagen: Ja, das stört mich auch, aber ich möchte den Kontakt nicht zu denen verlieren. Weil wenn ich den Kontakt verliere, dann hab ich keine Kontrolle mehr drüber. Und in dieser Balance, dass man einerseits das nicht will, aber andererseits sie auch nicht ausschließen will, diese Balance die kann immer leicht kippen in die Richtung, dass man den Rechtsextremismus zu stark akzeptiert."
In einem Ort waren Skinheads so gut integriert, dass sie öffentlich Bänke für den Dorfplatz bauten. Die Klischees über Rechte und Rechtsextreme, das seien doch alles zu kurz gekommene Ewiggestrige stimmen nicht mehr. Es gibt rechte Biedermänner:
"Man kann grob unterscheiden bei diesen vielfältigen Milieus zwischen zwei Gruppen von Rechtsextremen: Nämlich einmal - so nannten wir das - die Rechtsextremen diesseits der roten Linie der Akzeptanz, und die Rechtsextremen jenseits der roten Linie. Die diesseits der roten Linie, die wollen akzeptiert werden von ihrer eigenen Umgebung. Und, was für mich neu war, sie wollen nicht nur akzeptiert werden, sondern sie versuchen die Akzeptanz auch für sich selber her zu stellen, indem sie sich nützlich machen, also indem sie hohes bürgerschaftliches Engagement zeigen. Und dadurch geraten natürlich alle Repräsentanten in eine ambivalente Situation, weil die aktivsten Mitglieder, die sie brauchen, sind gleichzeitig aber Nazis - vielleicht. Jugendliche, die dann auffallen in solche Feste, das sind eher diejenigen, wo dann auch wirklich zielgerichtet auf Ärger aus sind, Lust haben sich sinnlos voll zu saufen und dann Ärger zu machen."
... ergänzt Gerhard Dinger. Das sind dann auch eher Menschen, die durch schwierige Kindheit, geringe Bildung, und wenig Erfolg am Arbeitsplatz geprägt wurden. Jemand, der sich dagegen engagiert, den will man nicht vor den Kopf stoßen, oder ausschließen, indem man ihm Grenzen setzt. Jedoch:
"Das ist sehr wichtig, dass man sehr, sehr deutliche Grenzen zieht und, dass man wenig zulässt. Und die Polizei, die sich um Rechtsextremisten kümmert, die handeln auch in dieser Art und Weise, sozusagen: Keine Toleranz gegen Rechtsextremisten."
Dulden oder Wegsehen wird nämlich von Rechten als schweigende Zustimmung und wie ein "Roter Teppich" empfunden, der für sie ausgelegt ist:
"Der Ausdruck "Roter Teppich" ist ganz richtig, weil man muss wirklich aufpassen, dass man die Phänomene, die wir beschrieben haben, dass man die nicht mit Rechtsextremismus identifiziert. Selbst diese Vorfälle auf‘m Fußballplatz, das sind noch keine Beispiele für Rechtsextremismus, sondern, dass ist der Beginn von einer Möglichkeit. Und diese Möglichkeit besteht darin, dass Rechtsextreme immer einen Ort brauchen, an dem sie andocken können."
Wo der alltägliche Rassismus, wo Fremdenfeindliche Sprüche keine Folgen haben, da lohnt es sich eher für rechtes Gedankengut zu werben, als etwa in den Betrieben, wo die gute Zusammenarbeit mehr zählt, als der politische Standort.
"Wir haben festgestellt in unserer Untersuchung, dass in den Orten, die auffällig Aktionen aufzuweisen hatten von Rechtsextremisten, dass in diesen Orten auch im Durchschnitt der Befragten eine stärkere Tendenz nach rechts ging. Das heißt die Rechtsextremen siedeln sich nicht irgendwo an, versuchen nicht irgend wo Fuß zu fassen, sondern an den Orten, wo sie eben denken, dass sie dort auch landen können."
Nachlässigkeit, Gutmütigkeit und Gedankenlosigkeit tragen also mit dazu bei, dass sich rechte Ansichten verbreiten können. Josef Held:
"Deswegen interessieren wir uns genau für solche Andockpunkte und Anknüpfungspunkte. Und da hat sich heraus gestellt, dass das wirklich etwas sehr Wichtiges ist. und, dass man auch - was bisher nicht so beachtet wird - bei den Programmen gegen Rechtsextremismus weniger an den Rechtsextremisten selber ansetzen sollte, sondern ziemlich stark ansetzen sollte an den Strukturen, die den Rechtsextremismus begünstigen. Und wir sagen dazu: An der politischen Kultur muss man ansetzen. Das Wichtigste wäre in Schulen, Vereinen, Betrieb usw. genau hin zu gucken, was ist da überhaupt, weil oft weiß man‘s gar nicht und dann unmittelbar und vor Ort einzuschreiten."