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Radikaler Nonkonformist

Er war der erste große Aussteiger und Konsumkritiker der Vereinigten Staaten, der Philosoph und Essayist Henry David Thoreau. Seine Schriften über die Natur der Freiheit und die Pflicht zum zivilen Ungehorsam prägen bis heute die internationalen Protestbewegungen. Am 6. Mai 1862 starb er in Concord, Massachusetts.

Von Holger Teschke | 06.05.2012
    Henry David Thoreau in einer zeitgenössischen Aufnahme
    Henry David Thoreau in einer zeitgenössischen Aufnahme (picture alliance / dpa)
    "Ich möchte bald fortgehen und an einem See leben, wo ich nur den Wind im Schilf flüstern höre. Meine Freunde fragen, was ich dort tun werde? Habe ich nicht genug zu tun, wenn ich den Wechsel der Jahreszeiten beobachte?"

    Diesen Wunsch vertraute Henry David Thoreau Weihnachten 1841 seinem Tagebuch an und erfüllte ihn sich vier Jahre später, am 4. Juli 1845, zum amerikanischen Unabhängigkeitstag.

    Der erste große Aussteiger der Vereinigten Staaten wurde 1817 in Concord, Massachusetts geboren. Er verbrachte den größten Teil seines Lebens in dieser idyllischen Kleinstadt, die als das "Weimar Amerikas" in die Geistesgeschichte Neuenglands einging. Neben seinem Lehrer, dem Philosophen Ralph Waldo Emerson, lebten hier der Schriftsteller Nathaniel Hawthorne und die Journalistin Margaret Fuller. Thoreau studierte an der Harvard University und arbeitete als Lehrer und Landvermesser in Concord, bis er sich 1845 mitten im Wald eine Blockhütte baute. Hier schrieb er das Buch, das zu einer der einflussreichsten amerikanischen Schriften des neunzehnten Jahrhunderts werden sollte.

    "Als ich folgende Seiten schrieb, wohnte ich eine Meile weit von meinem nächsten Nachbarn am Ufer des Walden-Sees allein im Wald und verdiente meinen Lebensunterhalt mit meiner Hände Arbeit. Ich wollte ungebunden sein und den wesentlichen Dingen des Lebens gegenübertreten, damit ich nicht in meiner Todesstunde erkennen müsste, dass ich nie gelebt habe."

    Thoreaus Bericht von einer Lebensweise jenseits der Gesetze und der alles beherrschenden Ökonomie machte nicht nur auf seine Zeitgenossen Eindruck. Auch Mahatma Gandhi und Martin Luther King nutzten seine Schriften für ihre Protestbewegungen. Doch Thoreaus Versuch, mit "Walden" eine Alternative zu der durch Konsum und Gewalt geprägten Gesellschaft der Vereinigten Staaten aufzuzeigen, stieß nicht überall auf Sympathie. Schließlich rüttelte sein Buch an den Grundfesten einer kapitalistischen Wachstumsideologie, die ihren Bürgern bis heute als alternativlos dargestellt wird.

    "Die meisten Luxusgüter und viele der sogenannten Bedürfnisse des täglichen Lebens sind nicht nur entbehrlich, sondern sogar Hindernisse für die Entwicklung des Menschen. Ein Mensch ist so reich wie die Anzahl der Dinge, auf die er verzichten kann."

    Als Thoreau im Juli 1846 nach Concord zurückkehrte, wurde er wegen Nichtentrichtung einer Wahlsteuer für eine Nacht ins Gefängnis gesteckt. Dieser Akt staatlicher Willkür empörte ihn so sehr, dass er zwei Jahre später seine Schrift "Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat" veröffentlichte, in der er die Rechte des Einzelnen auf zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand einklagt.

    "Ist die Demokratie, wie wir sie kennen, wirklich die letztmögliche Verbesserung im Regieren? Ist es nicht möglich, einen Schritt weiterzugehen bei der Anerkennung der Menschenrechte? Ich mache mir das Vergnügen, mir einen Staat vorzustellen, der zu allen Menschen gerecht sein kann und das Individuum als Nachbarn behandelt."

    Von neoliberalen Marktwirtschaftlern bis zur Occupy-Bewegung berufen sich heute gesellschaftliche Kräfte auf diese Forderung nach den Rechten des Individuums gegenüber den Machtansprüchen der Staats- und Wirtschaftsapparate. Ab 1850 engagierte sich Thoreau für die "Underground Railroad", auf der entflohene Sklaven aus dem amerikanischen Süden über die kanadische Grenze entkamen. Er solidarisierte sich mit dem Sklavenbefreier Captain John Brown und schrieb nach dessen Hinrichtung im Jahr 1859 eine flammende Verteidigungsschrift. Zwei Jahre später begann der amerikanische Bürgerkrieg, dessen blutiges Ende Thoreau nicht mehr erleben sollte. Er hinterließ 39 Tagebuchbände, die heute als sein eigentliches Hauptwerk gelten. Trotz aller Widerstände und Rückschläge verlor er bis zu seinem Tod am 6. Mai 1862 nicht den Glauben an das Menschenrecht auf Freiheit und Gleichheit, das er in der Natur schon vorweggenommen sah.

    "Die Natur arbeitet langsam, aber sicher. Sie ist wie die Schildkröte, die das Rennen durch Beharrlichkeit gewinnt. Sie weiß, dass ihre Samen noch anderen Zwecken dienen als nur der Erhaltung der Art."