Tiark Tiwary ist das, was man einen Radiofreak nennt. Der Physikstudent aus Friedrichshafen am Bodensee wechselt gerne mal die Sender, erkundet, was da so alles empfangbar ist. Doch wenn er das Regionalprogramm SWR 4 des Südwestrundfunks wählt, entdeckt er Erstaunliches: Statt des Angebots aus dem Studio Friedrichshafen, gerade mal vier Kilometer von seiner Wohnadresse entfernt, hört er stattdessen das, was über 200 Kilometer weiter weg produziert wird.
"Das liegt daran, dass mein Kabelnetzbetreiber, das ist in diesem Fall die Telekom, leider die falsche Regionalversion von SWR 4 einspeist."
Und das ist nicht nur bei dem für die Region vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Programmangebot so: Den geografisch nächstgelegenen privaten Lokalsender Radio Seefunk findet Tiark Tiwary in seinem digitalen Kabelangebot nicht, wohl aber Energy Bremen News. Dass die Hörfunkprogramme aus seiner Region nicht empfangbar sind, die von weiter weg aber schon, empfindet der junge Radiofreak als ausgesprochenes Ärgernis:
"Das birgt tatsächlich das Problem, dass man die Regionalnachrichten aus Stuttgart hört und gar nicht mehr das mitbekommt, was in der Region vor der Haustür passiert. Und das ist jetzt natürlich in Zeiten von Corona unvorteilhaft, weil man dann halt das Problem hat, dass man Informationen darüber bekommt, wie sich Corona auf die Region Stuttgart auswirkt, aber gar nicht so gut weiß, wie jetzt eigentlich die Infektionszahlen hier im Bodenseekreis oder Kreis Ravensburg sind."
Nicht nur ein Problem der Telekom
Oder ein wenig drastischer formuliert: Für diejenigen Radiohörer, die am Digitalkabel der Telekom hängen, sind die auf die Region zugeschnitten Informationen der lokalen Sender schlichtweg für die Katz‘ – mit all den Folgen beispielsweise auch für die Teilhabe der Hörer am kommunalpolitischen Diskurs in ihrem Umfeld. Und: Dieses Problem taucht nicht nur auf baden-württembergischer Seite der Bodenseeregion auf, so Tiark Tiwary:
"Ich habe mal recherchiert und mir die Senderliste für Nordrhein-Westfalen angeguckt. Und da ist das auch so, dass beim WDR nicht die Regionalprogramme eingespeist werden. Das heißt, dass man da bei WDR 2 auch nur diese 'Lokalzeit' aus Köln hören kann und nicht die zum Beispiel aus Düsseldorf."
Das Problem ist nicht nur auf das digitale Kabelangebot der Telekom beschränkt. Beispiel Friedrichshafen: Wer dort Kunde des digitalen Angebotes von Vodafone ist, landet, wenn er das regionale Hörfunkprogramm des Südwestrundfunks wählt, unweigerlich beim Stuttgarter Programm – und nicht bei dem aus der eigenen Stadt.
Technische und historische Ursachen
Die Ursachen hängen zusammen mit tiefgreifenden Veränderungen in der Verbreitung digitaler Hörfunkprogramme: Die Ausspielung der Sender auf analogen UKW-Frequenzen im Kabel wird immer weiter zurückgefahren; in Sachsen und Bayern sind sie bereits ganz abgeschaltet. Wichtig: Bei dieser analogen Verbreitung waren die ortsüblich empfangbaren Programme stets mit dabei. Im, wie es von den Anbietern heißt, "Zukunft weisenden" digitalen Angebot ist genau dies aber nicht mehr der Fall.
"Die regionale Ausprägung ist aufgrund des Wegfalls der analogen Verbreitung leider nicht mehr gegeben", so Jean-Pasacal Roux, Leiter des Bereiches "Wohnungswirtschaft" bei der Deutschen Telekom. Rundfunkanbieter müssten im digitalen Zeitalter den Kabelnetzbetreibern die jeweiligen Programme regelrecht zuliefern; sie können nicht mehr einfach via Antenne abgegriffen werden. Im vorliegenden Fall werde für Baden-Württemberg eben nur ein einziges Regionalprogramm, nämlich das aus Stuttgart, zugeliefert, nicht jedoch die ganze Fülle der Programmangebote für die verschiedenen Regionen.
Bei den regionalen Privatsendern verhalte es sich ähnlich. Grundsätzlich sei man bereit, diese Programme einzuspeisen. Gerade kleinere Stationen verfügten da aber nicht über die notwendigen technischen Voraussetzungen.
"Nicht jeder regionale Radiosender hat eben auch die Möglichkeit, zentral über einen IP-Stream uns das Signal zuzuführen. Das wäre aber die Grundvoraussetzung dafür."
Oder einfach auf UKW-Empfang setzen
Das alles könnte man auch als "Geburtsfehler" der voll digitalen Verbreitung von Hörfunkprogrammen bezeichnen, der sich gerade jetzt, mitten in der Coronakrise, besonders schmerzlich bemerkbar macht. Doch gerade die Coronakrise mit dem gestiegenen Bedarf nach Regionalprogrammen sei auch ein Anlass, nachzubessern.
Man stehe in Verbindung mit den Landesrundfunkanstalten, um zukünftig das Signal aller regionalen Hörfunkprogramme zu erhalten und einspeisen zu können. Bis das geschieht, könnten aber noch Monate vergehen. Unterdessen könnten sich Radiofreaks mit Interesse am Regionalen eher unkonventionell behelfen, so der Telekom-Experte:
"Der einfachste Trick 17, um das Problem zu umgehen, ist einfach, den Radioempfang ganz normal über einen handelsüblichen UKW-Radiosender oder im Autoradio zu empfangen. Das ist ein Mittel, wie Sie sehr schnell dieses regionale Fenster auf jeden Fall weiterhin empfangen können."