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Radiolexikon: Abführmittel

Mütter geben sie ihren Töchtern, Freundinnen versorgen sich gegenseitig damit - behauptet jedenfalls die Werbung. Mehrere Hundert Millionen geben die Deutschen jährlich für Abführmittel aus.

Von Andrea Westhoff | 29.09.2009
    O-Ton Werbung: "Hallo mein Schatz – hallo Mama - geht's dir besser? – Mein Bauch ist immer noch so hart. – Ich hab Dir was mitgebracht."

    Wie viele Menschen diese Mittel nehmen, weiß niemand genau, denn sie sind frei verkäuflich. Schätzungen gehen davon aus, dass jede dritte Frau regelmäßig zu Abführmitteln greift, bei den Menschen im Rentenalter sind es noch mehr. Auf jeden Fall zu viele, warnen Experten!

    O-Ton Werbung: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker."

    Abführmittel – "Laxanzien" – das umfasst eine ziemlich große Menge von natürlichen und synthetischen Stoffen, sagt der Magen-Darm-Spezialist Professor Stefan Müller-Lissner von der Parkklinik Weißensee in Berlin:

    "Eigentlich muss man sagen, es ist alles, was man zu sich nimmt und was zu einer Volumenzunahme oder einer Häufigkeitszunahme des Stuhlgangs führt. Zum Beispiel die Ballaststoffe, die wir im Dünndarm nicht spalten können, die in den Dickdarm kommen und die dort Wasser binden und dadurch zu einer beschleunigten Darmpassage und häufigerem Stuhlgang führen."

    Nun würde kaum jemand Vollkornprodukte als Abführmittel bezeichnen, aber die Grenzen sind doch fließend. Nahrungsbestandteile wie Leinsamen oder Weizenkleie, indische Flohsamenschalen oder Milchzucker werden gezielt eingesetzt, ganz ähnlich sogenannte Osmolaxanzien, also stark wasserlösliche Substanzen:

    "Die kennt man unter den Namen Karlsbader Salz, Bittersalz, Glaubersalz, die binden auch Wasser im Darm und führen deswegen ab, das begleitet die Menschheit auch schon seit Jahrhunderten, der alte Goethe hat in Karlsbad regelmäßig Kuren gemacht, nicht zuletzt, weil er sich dort mit seiner Verdauung so wohl gefühlt hat."

    Nach einem anderen Prinzip funktionieren pflanzliche Präparate wie die Faulbaumrinde, Rhabarber- oder Sennesblätter, in denen vor allem die darin enthaltenen "Anthrachinone" abführend wirken:

    "Die haben einen doppelten Mechanismus. Einerseits hemmen sie die Wasseraufnahme aus dem Darminhalt durch die Darmschleimhaut und andererseits regen sie direkt die Muskulatur an. Und eine gleiche Wirkung hat die Substanz Bisacodyl mit ihrem Verwandten Natriumpicosulfat, die sind synthetisch und sind aber seit 60 Jahren im Handel."

    Vom früher häufig verwandten Rizinusöl raten Ärzte inzwischen dringend ab – die Nebenwirkungen sind einfach zu groß.

    O-Ton Werbung: "Verstopfung – gerade im Urlaub! - So unbeweglich ist dein Darm, wenn er verstopft ist."

    Es gibt durchaus medizinische Indikationen für Abführmittel:

    "Es gibt so eine Handvoll Medikamentengruppen, die eine schwere Verstopfung machen, und bei denen nicht immer, aber häufig die Co-Medikation mit Abführmitteln erforderlich ist; das sind bestimmte Psychopharmaka, das sind bestimmte Antiepileptika, das sind Opiate als ganz wichtige Gruppe; dann gibt es kleinere Patientengruppen, bei denen man unbedingt vermeiden will, dass sie die Bauchpresse betätigen, weil dabei der Blutandrang zum Kopf auch steigen kann. Aber das ist für die allgemeine Bevölkerung wenig relevant."

    Sehr viel häufiger ist die chronische Verstopfung als Folge einer ungesunden Lebensweise: Vor allem bei zu wenig Bewegung, zu wenig trinken wird der Darm träge. Und das kann dann zu großen Unterbauchbeschwerden führen, zu Divertikeln, also Aussackungen der Darmwand, oder zu Darmentzündungen. Hier ist eine Ernährungs- und Lebensumstellung nötig – und Abführmittel, aber nur für kurze Zeit!

    Die meisten Patienten aber, die meinen, ihrer Verdauung nachhelfen zu müssen, brauchen erst einmal Aufklärung, sagt der Arzt und Apotheker Dr. Wolfgang Becker-Brüser:

    "Viele wissen gar nicht genügend über den normalen Stuhlgang: zweimal am Tag oder zweimal die Woche, das liegt alles noch im normalen Bereich, und es gibt eben leider Menschen, die nahezu zwanghaft auf ihren täglichen Stuhlgang warten, und wenn das nicht klappt, dann führen sie ihn - oder versuchen ihn herbeizuführen, indem sie irgendwelche Abführmittel einnehmen."

    Oft unterstützt durch entsprechende Gesundheitsliteratur: "Der Tod sitzt im Darm" lautet eine der Parolen. Dahinter steht die Idee, dass der Körper voller "Schlacken" ist, die die Zellen "ersticken" und für alle möglichen Krankheiten verantwortlich sind.

    "In Deutschland zumindest ist der Abführmittelmarkt traditionell ein Markt, der nicht nur auf eine akute Verstopfung hinzielt, sondern auch auf Darmreinigung, auf ein besonderes Körpergefühl, und da stehen wir glaube ich in Deutschland in einer besonderen Tradition. Die allerdings, das muss man betonen, letztendlich zum Schaden der Anwender führen kann."

    Und das gilt insbesondere dort, wo die Abführmittel als freiverkäufliche Substanzen aggressiv und irreführend beworben werden, meint Wolfgang Becker-Brüser, der Herausgeber der unabhängigen, pharmakritischen Fachzeitschrift "arznei-telegramm" ist:

    "Ich glaube, dass Abführmittel sehr häufig mit Assoziationen vermarktet werden, die schlichtweg unpassend sind: Abnehmen, dass man durch Abführmittel Gewicht verlieren kann, ohne das direkt anzusprechen, aber gerade Frauen, nehmen Abführmittel auch regelmäßig, um schlanker zu sein."

    Dieser Missbrauch von Abführmitteln hat in den letzten Jahren noch zugenommen, weil Schlankheitsmittel rezeptpflichtig geworden sind. Dabei funktioniert das Abnehmen durch Abführen schon rein physiologisch gar nicht: Man verliert nur Wasser und Darminhalt, während das Fettgewebe durch die Mittel überhaupt nicht angegriffen wird.

    O-Ton Werbung: "Die Verstopfung löst sich - Klingt vernünftig – Ja, denn Magen, Herz und Kreislauf werden praktisch nicht belastet."

    Sind Abführmittel nun "gut verträglich", "sanft" oder doch "gefährlich", wie man gelegentlich liest?

    "Die Abführmittel, von denen eine Gefährdung bekannt wurde, die sind vom Markt genommen, die kriegen sie gar nicht mehr; und über die Abführmittel, die im Handel sind, kann man eigentlich sagen, sie sind sicher"," sagt der Gastroenterologe Stefan Müller-Lissner,

    - "Jedenfalls, so lange man sie in der richtigen Dosierung nimmt.

    "Wenn man nur ab und zu mal ein Abführmittel einnimmt, dann besteht keine besondere Gefahr"," betont auch Wolfgang Becker-Brüser, fügt allerdings hinzu:

    "Das Risiko besteht dann, wenn die Einnahme zur Gewöhnung wird, wenn man es quasi täglich braucht, und wenn man ein Abführmittel regelmäßig einnimmt, dann ist auch eine Gefährdung da, dass man wesentliche Bestandteile des Körpers verliert, also Elektrolyte, Kalium, Natrium und so etwas, und das kann auch erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich ziehen."

    Im schlimmsten Falle können Herzrhythmusstörungen die Folge sein, wenn die Mittel zu lange angewendet werden. Höchstens 14 Tage mahnen Ärzte und auch die Beipackzettel.

    Und da liegt das Problem, wenn man die Gefahren von Abführmitteln wirklich beurteilen will: Zuverlässige Langzeituntersuchungen fehlen, da ein "Missbrauch" nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen sein kann. Aus der Praxis wissen aber viele Mediziner, dass der zu lange Gebrauch von Abführmitteln zu chronischen Entzündungen der Darmschleimhaut und zum Reizdarm führen kann, unter Umständen sogar zu Dickdarmpolypen.

    Und: Die Einnahme von Abführmitteln kann die Wirkung anderer Medikamente einschränken. Das kann gerade für ältere Menschen riskant sein, die zum Beispiel auf zuverlässig wirksame Herzmedikamente angewiesen sind. Und jüngere Frauen, die öfter mal zu Abführmitteln greifen, sollten wissen: Auch die Antibabypille kann dadurch unter Umständen wirkungslos bleiben!

    So fordert Wolfgang Becker-Brüser, als Arzt und kritischer Beobachter des Arzneimittelmarktes, zwar keine Verschreibungs- wohl aber eine Apothekenpflicht für Abführmittel:

    "Weil dort die Chance für eine Beratung immer noch am größten wäre. Abführmittel gehören zu den Arzneimitteln oder zu den Wirkstoffen, die kontrolliert angewendet werden sollten, die nicht übermäßig verwendet werden dürfen nicht langfristig verwendet werden dürfen, und das verbietet sich dann letztendlich über Reformhäuser, Versandhandel oder Ähnliches zu verkaufen."