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Radiolexikon Gesundheit: Borreliose

Einige Zehntausend Menschen erkranken jährlich an der äußerst unangenehm Lyme-Borreliose, eine Infektion, die das Bakterium Borrelia burgdorferi auslöst. Meist ist es ein Zeckenstich, bei dem das Bakterium in den menschlichen Körper gelangt, sich dort vermehrt und Symptome auslöst, die denen grippaler Infekte gleichen.

Von Mirko Smiljanic | 26.07.2011
    Natur pur, irgendwo in Deutschland: ein paar Büsche, hier und da Bäume, Wucherblumen und Weißklee, Klatschmohn und Hirtentäschelkraut, und natürlich der Löwenzahn, dessen Samen wie kleine Fallschirmspringer durch die Luft segeln. Ein wunderschöner Tag - würde in diesen Wochen auf den Wiesen nicht noch ganz anderes geschehen, ...

    " ... eine Zecke habe ich mir rausgemacht und circa sechs, sieben Wochen später hatte ich eine Wanderröte am Bein,..."

    ... berichtet dieser Patient, dessen Zeckenstich übrigens ein Jahr zurückliegt. Über den großen roten Fleck auf seiner Haut hat er sich natürlich gewundert, ihm aber zunächst keine Beachtung geschenkt. Das war ein Fehler, denn kurze Zeit später ging es ihm immer schlechter. Er klagte über ...

    " ... leichtes Fieber, Gelenkschmerzen, Muskel-Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Schwächegefühl, und das hat sich dann mit der Zeit immer mehr verstärkt, da kamen dann hinterher neurologische Symptome hinzu, sprich Gleichgewichtsstörungen, Gedächtnisstörungen."

    Er ließ sich von Kopf bis Fuß untersuchen, gefunden hat aber niemand etwas: Weder Grippe noch Rheuma, weder orthopädische Probleme noch einen Hirntumor - die Ärzte waren ratlos. Bis einem Mediziner auffiel, dass die Symptome so auch bei der Lyme-Borreliose beschrieben werden, einer Infektionskrankheit, die Borrelien auslösen, spiralförmige Bakterien im Darm von Zecken. Der Name Lyme-Borreliose leitet sich von den Orten Lyme und Old Lyme im US-Bundesstaat Connecticut ab, in dem das Krankheitsbild 1975 erstmals mit Zeckenstichen in Verbindung gebracht wurde. Erstaunlich spät für eine Krankheit, die es schon Jahrtausende gibt, allerdings in geografisch unterschiedlicher Konzentration: Nicht jede Zecke ist Träger von Borrelien.

    "Man geht davon aus, in Norddeutschland etwa acht bis zehn Prozent der Zecken, die mit Borrelien infiziert sind, hier im mittleren Bereich der Bundesrepublik sind es etwa um die 30 Prozent und im Süden Deutschlands, auch nach Österreich rüber, auch in die Tschechoslowakei, geht man bestimmt von 50 bis 60 Prozent der infizierten Zecken aus, ... "

    ... sagt der Bonner Neurologe Dr. Dietrich Rosin. Sommerliche Wandertage in Süddeutschland bergen also durchaus ein gewisses Risiko. Etwa jeder zehnte Zeckenstich, so eine Studie der Universität Heidelberg, führt in den südlichen Hochrisikogebieten zu einer Borreliose; in Norddeutschland sinkt das Risiko. Wie viele Menschen sich jedes Jahr mit Borrelien infizieren, ist unklar; die Zahlen schwanken zwischen 50.000 bis 160.000. Wen es erwischt und wer sich nicht sofort behandeln lässt, muss mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen rechnen.

    "Die Borreliose ist eine Multisystemerkrankung, das heißt, wenn man den Zeitpunkt der Infektion verpasst, indem man zum Beispiel keine Rötung sieht, dann entwickelt sich daraus eine chronische Borreliose, die dann zu einem Befall fast aller Organe führen kann, die Muskulatur, die Gelenke, die hirnorganischen Leistungen können betroffen sein, Sehstörungen können auftreten und im Vordergrund eigentlich immer eine schwere Erschöpfung, manchmal Fieberschübe, vermehrtes Schwitzen, und man muss immer bei diesen Symptomen daran denken, es kann differenzialdiagnostisch auch etwas anderes sein, es muss nicht immer Borreliose sein."

    Die Symptome sind zunächst unspezifisch und lassen sich auch bei anderen Krankheiten beobachten, weshalb manche Ärzte viel Diagnostik mit wenigen Resultaten veranlassen. Immerhin zählt die Wanderröte zu den untrüglichen Zeichen einer Borreliose - allerdings tritt sie nur bei 30 bis 50 Prozent aller Infizierten auf. Laborchemische Untersuchungen sind vor allem in der Anfangsphase der Infektion nicht immer aussagekräftig; erschwerend kommt hinzu, dass die Laborwerte nur schwer zwischen einer schon abgeheilten und einer noch aktiven Borreliose unterscheiden. Weil die Borrelien nicht nur Organe, Gelenke und Muskeln der Patienten angreifen, sondern auch deren Gefühlswelt, vermuten manche Ärzte fälschlicherweise psychische Leiden hinter den Symptomen. So riet ein Arzt diesem Patienten, ...

    " ... ich soll mich mit einer Psychologin zusammensetzen, weil man ja keine Schmerzen in irgendeiner Weise nachverfolgen konnte. Da ich dann das Gespräch dort geführt habe und dann auch einen anderen Psychologen aufgesucht habe, der dann aber festgestellt hat, dass die psychologische Einschränkung in keiner Weise da ist, also, dass ich ganz normal - noch - bin."

    Die Borreliose wird mit Antibiotika therapiert, wobei im Frühstadium der Krankheit Tetracycline und Makrolide an erster Stelle stehen. Sie dringen leichter als andere Antibiotika in die Zellen ein und wirken deshalb effektiver. Dr. Dietrich Rosin rät zu einer ...

    "...Behandlung von mindestens vier bis sechs Wochen, im Spätstadium einer Borreliose mindestens drei Monate, aber generell zwei bis drei Monate, die Amerikaner gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen, wenn Symptome weiterhin bestehen, dann auch eine Antibiose für die Dauer von ein bis zwei Jahren."

    Je früher die Therapie beginnt, desto besser!

    "Wenn eine Rötung auftritt, sofort eine antibiotische Behandlung, keine Labordiagnostik vorschieben, die wird eh erst nach vier bis acht Wochen positiv. Dann ist aber das therapeutische Fenster, was wir haben bei der akuten Borreliose, das ist dann vorbei."

    Startet die Antibiotikabehandlung unmittelbar nach dem Zeckenstich, ist eine vollständige Heilung möglich; chronische Borreliosen gelten als unheilbar und können auch nach Phasen relativer Ruhe immer wieder aufflammen, ...

    "...das heißt, immer dann, wenn die immunologische Abwehrlage geschwächt wird, kann es zu einem neuen Borrelioseschub kommen. Das kann passieren nach einer normalen Grippe, das kann genauso passieren nach einer normalen Impfung, nach einer Grippeimpfung im Herbst, nach einer Schweinegrippeimpfung haben wir auch gesehen, dass danach Schübe auftraten, oder Sie wollen nach Ägypten und wollen eine Hepatitisimpfung haben, danach kann auch wieder ein neuer Schub auftreten. "

    Erschwerend kommt hinzu, dass nach einer längeren Behandlung andere Infektionen die Oberhand gewinnen, ...

    "...dass heißt, es kann ein Zeitpunkt entstehen, da steht die Borreliose gar nicht mehr im Vordergrund, sondern die Infektion mit Yersinien, Chlamydien oder Mykoplasmen als Begleitinfektionen oder eben Co-Infektionen wir Babesien, Bartonellen, Q-Fieber, Rickettsien, Ehrlichien. "

    Die Lyme-Borreliose zählt zu den sträflich vernachlässigten Krankheiten; und sie zählt zu den Krankheiten mit steigender Tendenz. Diskutiert wird etwa, ob Mückenstiche Borrelien auf den Menschen übertragen - ein Problem, das sich durch den Klimawandel verstärkt.

    Vor einem Jahr hat sich dieser Patient mit Borrelien infiziert, mittlerweile geht es ihm besser: Es war kein leichter Weg!

    "Ja, ich merk es. Ich merke es körperlich, ich merke es geistig, ich bin nicht mehr ganz so begriffsstutzig, vor sechs, sieben Wochen war ich nicht in der Lage, ein Buch zu lesen, weil, das hätte ich immer wieder neu anfangen müssen, und so etwas macht einfach keinen Spaß, es geht aufwärts, ich spür es!"