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Radiolexikon Gesundheit: Brustkrebs bei Männern

Mammakarzinome zählen zu den häufigsten Tumorarten der Brustdrüse. Viel Forschung wird betrieben, Aufklärungs- und Präventionskampagnen sind an der Tagesordnung. Doch es gibt beim Brustkrebs eine erstaunliche Informationslücke: Nicht nur Frauen bekommen ihn, sondern auch Männer.

Von Mirko Smiljanic | 03.01.2012
    So fängt es fast immer an:

    "Es war einfach so, dass ich irgendwann mal nach dem Sport geduscht hab,"

    erzählt der 62-jährige Peter Jurmeister aus einem Dorf bei Karlsruhe.

    "Und noch einen freien Oberkörper hatte und die Tagesschau mir angucken wollte und mich dann vor den Fernseher gesetzt hab und dann ganz unbewusst die Hand über die Brust streifte und dann gemerkt habe, unter der Brustwarze, da ist irgendwie ein Knubbel."

    Ein Knubbel unter der Brustwarze, nichts, worüber Männer sich Sorgen machen, wenn sie ihn denn überhaupt registrieren. Ein Fehler: Kaum einer weiß, dass ein solcher Knubbel Brustkrebs sein kann. Nicht nur Frauen erkranken an Mammakarzinomen, sondern auch Männer! Einziger Unterschied: Sie sind seltener betroffen, sagt Professor Peter Mallmann, Direktor der Frauenklinik am Universitätsklinikum Köln.

    "Man sagt hundertmal seltener als der Brustkrebs der Frau, das heißt, eine von acht Frauen bekommt einen Brustkrebs, einer von 800 Männer bekommt aber nur einen Brustkrebs."

    Peter Jurmeister ließ den Knubbel nicht auf sich beruhen, sondern ging zu seinem Hausarzt; der schickte ihn, was in solchen Fällen typisch ist, zum Dermatologen; der wiederum konnte den kleinen Knoten unter der Brustwarze zwar auch nicht einordnen, erkannte aber das Gefahrenpotenzial und überwies den Mann zu einer Frauenärztin.

    "Ja, da wurde ein Ultraschall gemacht, und das kennt ja jeder, wie das so aussieht, man bekommt auch ein Bild davon, man konnte dann sehen, dass unter der Haut so eine Stelle ist, die dunkel war und wo drum herum helle Streifen lagen, man konnte sehen, dass es schön abgekapselt war, und die Frauenärztin sagt mir, und das würde eigentlich nicht sehr beunruhigend aussehen, das sei alles verkapselt, ja, und wenn es mich dann beunruhigen würde, dann könnte sie mir mal einen Termin in der Frauenklinik machen."

    Was sich als Glücksfall erwies, denn die Ärztin im Brustzentrum nahm den Knoten sehr viel ernster und entnahm sofort mit einer Biopsiestanze winzige Gewebeproben, die im Labor untersucht wurden. Ein paar Tage später lag das Resultat auf dem Tisch: Brustkrebs.

    "Also, ich habe sicher schon mal davon gehört, aber in dem Moment, wie die Stanze in der Klinik gemacht worden ist, habe ich auch gar nicht im geringsten daran gedacht, dass ich das haben könnte."
    Fast alle Männer denken so, kaum einer kennt das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Überhaupt ist das Wissen über den männlichen Brustkrebs vergleichsweise dünn. Selbst die Frage, warum er 100 Mal seltener vorkommt als bei Frauen, lässt sich nicht eindeutig beantworten.

    "Wir wissen es nicht, weil der Brustkrebs bei der Frau ist eine Zivilisationskrankheit, hängt so bisschen vom Lebensstandard ab, bei Männern wissen wir's nicht, wir wissen nur, dass es auch hier eine genetische Belastung gibt, also die Familien mit einer genetische Belastung, Mutter, Großmutter, über viele Generationen immer wieder Brustkrebsfälle, dass er dann auch schon bei jungen Männern auftritt, aber sonst ist das klassische Risikoalter bei Männern nach 60, die also Herzmedikamente nehmen, eine Gynäkomastie haben, eine Brustentwicklung haben durch Fett, weil hier offenbar durch das Gewicht und durch Überernährung gewisse Risikofaktoren zusammenkommen."

    Männer, die Herzmedikamente wie Betablocker einnehmen, haben ein erhöhtes Brustkrebsrisiko; das gleiche gilt bei angeborenen Hodenveränderungen oder nach Infektionskrankheiten wie Mumps und Masern, die zu einer Hodenentzündung führen; das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, steigt aber auch bei massiven Leberschäden durch Alkoholmissbrauch und bei sehr starkem Übergewicht. Wird ein Mammakarzinom diagnostiziert, ist in jedem Fall Eile geboten, denn Tumore der männlichen Brustdrüse sind in aller Regel aggressiver als bei Frauen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt,

    "...aber die Tatsache, dass er so selten auftritt, führt doch sehr häufig zu schlechten klinischen Verlauf. Spät erkannt, weil man nicht dran denkt, schlecht oder unprofessionell behandelt, weil keiner so große Erfahrung damit hat, das führt dazu, bis es häufig zu einer Streuung führt, und dadurch die Prognose schlechter ist."

    Die Behandlung des Brustkrebses bei Männern und Frauen unterscheidet sich kaum voneinander.

    "Das heißt, auch beim Mann wird der Lymphknoten, der Wächterlymphknoten, entfernt, oder wenn die Lymphknoten befallen sind, werden die Achsellymphknoten entfernt, und auch hinterher führt man bei Männern die gleiche antihormonelle Therapie, die gleiche Chemotherapie wie bei der Frau."

    In den grundsätzlichen Abläufen mag die Behandlung bei Frauen und Männern zwar gleich sein, in den Nebenwirkungen gibt es allerdings schon Unterschiede.

    "Die Therapie sieht so aus, dass man sogenannte Aromatasehemmer gibt, Aromatase verhindert, dass aus dem Testosteron, das beim Mann ist und das die Frau auch hat, Östrogene bilden. Das hat allerdings beim Mann das Problem, dass beim Mann das Östrogen direkt aus den Hoden kommt teilweise, und dass es nicht reicht, dass man diese Aromatasehemmer gibt, sondern man muss gleichzeitig auch sogenannte GnRH-Analoga geben, das heißt, man unterbindet beim Mann praktisch die Funktion der Hoden, was für einen Mann natürlich sehr belastet ist, und ich bin mir sicher, dass ich diese Therapie nicht solange durchziehen werde, wie es eigentlich vorgesehen ist."

    Eine Tumorerkrankung zu verarbeiten, braucht Zeit, von heute auf morgen ist das nicht möglich! Darauf verweist das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg und führt weiter aus, dass dies gerade bei Brustkrebspatienten von Bedeutung ist. Die Behandlung dauert vergleichsweise lange und führt zu Nebenwirkungen, die die Lebensqualität beeinträchtigen. Männer müssen darüber hinaus noch mit dem Unglauben und Unverständnis von Freunden und Bekannten rechnen. Frauen dürfen bei der Diagnose "Mammakarzinom" auf Mitgefühl hoffen, Männer müssen sehr viel mehr erklären. Männliche Brustkrebspatienten haben keine gesundheitspolitische Lobby.

    "Das ist natürlich ein großes Dilemma das für uns eine Herausforderung, das in die Öffentlichkeit zu bringen, dass der Brustkrebs keine Frauenkrankheit ist, sondern dass der Brustkrebs genauso auch Männer, wenn auch in deutlich geringerer Zahl, betrifft."

    Es ist wirklich ein Dilemma: Auf der einen Seite wird Brustkrebs mit jährlich 60.000 Neuerkrankten in Deutschland als Volkskrankheit angesehen, andererseits tauchen die jährlich rund 500 Männer neu erkrankten Männer in keiner Statistik auf. Vor dem Hintergrund einer als therapeutisches Ideal ausgegebenen "individualisierten Medizin" sei dies ein unhaltbarer Zustand, sagt Peter Jurmeister, der mit anderen Männern das "Netzwerk Männer mit Brustkrebs" ins Leben gerufen hat – bezeichnenderweise unter dem Dach und mit finanzieller Förderung der "Frauenselbsthilfe nach Krebs". Zukünftig sei viel Lobbyarbeit nötig, sagt der Kölner Frauenarzt Peter Mallmann, vor allem aber empfiehlt er Männern, sorgfältig ihren Körper zu beobachten.

    "Ja, man denkt immer, Gott sei Dank, ich bin ein Mann, mich kann dieses Schicksal nicht ereilen, was meine Mutter, meine Großmutter erwischt hat, aber das ist leider falsch, es kann auch, zwar seltener, jeden treffen beim Brustkrebs."

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