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Radiolexikon Gesundheit: Koma

Jeder dürfte mal eine Ohnmacht erlebt haben, weil der Kreislauf in den Keller ging. Sehr viel ernster ist dagegen ein Koma: eine lang andauernde, manchmal nie mehr endende Bewusstlosigkeit. Experten schätzen, dass in Deutschland rund 40.000 Patienten in einem solchen Dämmerzustand verharren.

Von Thomas Liesen | 02.04.2013
    Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Neurologie. Ein junger Mann ringt mit seinem Leben. Er atmet selbstständig, aber sonst zeigt er keinerlei Regungen. Seine Augen sind geschlossen - und das seit fast einer Woche. Der Fachausdruck für seinen Zustand lautet: Koma.

    "Ein Komapatient zeigt typischerweise keine spezifische Reaktion auf äußere Reize. Der Komapatient hat entweder die Augen geschlossen oder wenn er die Augen geöffnet hat, fixiert er nicht, guckt ins Leere. Wenn sie ihn zu etwas auffordern, einen Arm zu heben oder sonst was zu machen, reagiert er nicht spezifisch, er reagiert auch nicht spezifisch auf Reize, auch nicht auf Schmerzreize."

    Der 26-Jährige bekam plötzlich starke Kopfschmerzen, fühlte sich unwohl. Nach wenigen Minuten wurde er bewusstlos. Er ist seitdem nicht wieder aufgewacht. Tomografien seines Gehirns zeigen die Ursache: Ein Gefäß ist geplatzt, ein sogenanntes Aneurysma. Das austretende Blut hat innerhalb kürzester Zeit den Druck in seinem Gehirn erhöht und zuerst die Funktion der Hirnnerven beeinträchtigt, sie praktisch auf stumm geschaltet. Schließlich starben viele der Nerven ab.

    Eine solche, massive Schädigung des Gehirns ist die eigentliche Ursache für jedes Koma. Häufig fallen auch Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzung ins Koma oder Patienten, deren Gehirn einen Sauerstoffmangel erlitt, zum Beispiel nach einem Herzstillstand. Die bange Frage lautet jedes Mal: Wird der Patient jemals wieder aufwachen? Prof. Alfons Schnitzler, Direktor des Instituts für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie der Uniklinik Düsseldorf:

    "Man kann untersuchen, ob das Gehirn reagiert. Also wenn sie einen Nerven reizen an der Hand, können sie mit dem EEG die Reizantwort von der Schädeloberfläche ableiten. Und je nachdem, welche Reizantwort sie dann noch haben, ist die Prognose besser oder schlechter. Ein wichtiger Punkt ist auch der Zeitverlauf. Wenn sie einen Patienten am ersten Tag nach einem Akutereignis untersuchen, dann ist die Aussagekraft natürlich noch viel geringer, als wenn sie die Verlaufsuntersuchung gemacht haben nach ein paar Tagen, nach einer Woche, nach zwei Wochen und sie sehen, da kommt was zurück, dann ist das prognostisch günstiger."

    Einige Patienten wachen nach einem Koma wieder auf und bald ist alles wie vorher. Doch nicht immer verläuft es so glücklich, beschreibt Marcello Ciarrettino, Diplompflegepädagoge und spezialisiert auf die Pflege von Komapatienten:

    "Alles, was schwere neurologische Situationen darstellt, führen erst in ein Koma, und dann können diese Patienten entweder nach diesem Koma wieder aufwachen oder aber sie kommen ins Wachkoma. Und Wachkoma ist aber auch ein Konglomerat an Symptomen, also das sind ganz viele verschiedene Symptome, das ist nicht als eine Krankheit zu verstehen, sondern wirklich als ein Syndrom, wo ganz viele Auswirkungen da sind. Und deswegen ist jeder Wachkoma-Patient auch anders."

    Manche Wachkoma-Patienten haben regelmäßige Wach- und Schlaf-Phasen. Manche können sogar lächeln, andere wiederum geben Laute von sich. Und jeder Wachkoma-Patienten hält die Augen geöffnet, wenn er denn wach ist. Trotzdem ist es schwer, Kontakt mit ihm aufzunehmen.

    "Erguckt ins Leere und mit allen zur Verfügung stehenden möglichen Mitteln, haben wir das Gefühl, dass er kein Bewusstsein in dem Sinne hat."

    Erläutert der Neurologe Alfons Schnitzler. Doch es ist umstritten, was diese Patienten tatsächlich mitbekommen und ob zu viele von ihnen nicht vorschnell aufgegeben werden. Marcello Ciarrettino:

    "Wir müssen uns schulen, um den Menschen im Wachkoma zu verstehen und Kommunikationsmöglichkeiten zu erkennen. Also es bringt mir nichts zu sagen: Der Patient schwitzt. Sondern ich muss diesen Unterschied immer wieder dokumentieren. Wenn ich ihn raussetze, schwitzt er jetzt zum Beispiel mehr als gestern, als ich ihn rausgesetzt habe. Und dadurch kann ich letztendlich eine Aussage treffen, ob er gestresst ist oder ob er vielleicht Schmerzen hat, weil ich da einfach den Patienten anders betrachte und anders kennen lerne."

    Marcello Ciarrettino bildet mittlerweile Wachkoma-Pflegepersonal aus. Und er beobachtet, dass die Unsicherheit im Umgang mit diesen Menschen nach wie vor groß ist. Das zeigen viele Beispiele aus seiner Praxis.

    "Es gab einen Patienten, da war Mundpflege so gut wie unmöglich. Jedes Mal wurde dokumentiert: Mundpflege nicht möglich, der Patient beißt zu und man kommt nicht an die Zunge heran. Die Zunge war mittlerweile total belegt gewesen, borkig gewesen, das war also ein richtig großes Pflegeproblem. Letztendlich konnten wir das auflösen, indem wir den Patienten erstens anders positioniert haben, das heißt also, Mundpflege wurde da nicht im Liegen durchgeführt, also die Pflegekraft ist dann von oben herab an den Patienten herangetreten, sondern die Position wurde insofern verändert, dass die Pflegekraft von der Seite herangegangen ist. Sie ist auch nicht sofort an den Mund gegangen, sondern hat erst mal über eine Initial-Berührung an der Schulter erst mal eine Berührung überhaupt aufgebaut und so dann sich langsam sozusagen vorgearbeitet."

    Es hat nur wenige Tage Training gedauert und der Patient hat am Ende sogar freiwillig seinen Mund geöffnet. Offenbar hat er bis dahin die Annäherung des Pflegepersonals als Bedrohung empfunden. Das Beispiel zeigt, dass auch im Zustand des Wachkomas offenbar eine gewisse Form von Bewusstsein vorhanden sein kann.

    Untersuchungen von Alfons Schnitzler bestätigen das. Der Neurologe hat vor einiger Zeit mit seinem Team eine Wachkoma-Patientin untersucht. Sie war 41, hielt ihre Augen zwar offen, schien aber nichts von ihrer Umwelt wahrzunehmen. Doch die Forscher wollten es genau wissen: Sie positionierten die Patientin in die Röhre eines Magnetresonanz-Tomografen. Dann baten sie verschiedene Personen, diese Frau anzusprechen. Schließlich baten sie auch die Kinder der Wachkoma-Patientin, sie anzusprechen. Ergebnis: Äußerlich war bei der 41-Jährigen keinerlei Reaktion erkennbar. Doch der Tomograf zeigte ein anderes Bild: Der sogenannte Mandelkern, ein Hirnbereich, der bei der Entstehung von Emotionen beteiligt ist, zeigte deutliche Aktivität. Aber nur, wenn die Frau die Stimmen ihrer Kinder vernahm.

    Marcello Ciarrettino:
    "Wachkoma-Patient werden unterschätzt. Also es wird auch unterschätzt, dass auch viel mehr Wachkoma-Patienten wieder erwachen, wann man das so plakativ sagen darf. Dieses Erwachen ist halt nicht: Da macht jemand Schnips und dann ist er wach. Sondern es ist ein lang andauernder Prozess. Da kann drei Tage sein, das kann über Wochen sein, das kann tatsächlich sogar, zugegebenermaßen in seltenen Fällen, auch über Jahre sein. Es gibt Fälle, jetzt ein Mann aus Texas, der 19 Jahre lang diesen Weg mitgemacht und mittlerweile Interviews geben kann. Aber immer noch sehr desorientiert ist und immer noch glaubt, dass er 19 Jahre alt ist, obwohl das schon 19 Jahre her ist."

    Der Pflegepädagoge plädiert auf jeden Fall dringend dafür, jedem Komapatienten, egal in welchem Zustand er äußerlich scheint, immer respektvoll zu begegnen. Ähnlich sieht es Alfons Schnitzer:

    "Weil wir letztendlich nicht ganz sicher sagen können, nicht mit 100prozentiger Sicherheit sagen können, ob ein Wachkoma-Patient in einem bestimmten Zustand irgendetwas minimal bewusst mitbekommt, ja oder nein. Das heißt, es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass man diese Patienten genauso behandelt wie Patienten mit einem ganz normalen Bewusstseinszustand."

    Ein etwas anderer Komazustand ist - trotz der ähnlich klingenden Bezeichnung - das künstliche Koma. Künstliches Koma ist gleich bedeutend mit Narkose, auch wenn es sich manchmal um eine lange Narkose handelt, die über Tage oder sogar Wochen aufrecht erhalten wird. Dem Patienten werden in diesen Zeitraum ständig handelsübliche Narkosemittel per Infusion gegeben - die gleichen, die auch bei jeder normalen Operation verwendet werden. Der Grund:

    Alfons Schnitzler:
    "Wenn jemand schwere Verletzungen im Rahmen eines Autounfalls beispielsweise hatte, ist das eigentlich der einzige Zustand, in dem man den gesamten Körper des Patienten vernünftigerweise kontrollieren und wieder auf den Weg bringen kann. Das wäre das künstliche Koma. Das ist ein ärztlich kontrollierten, anästhesiologisch kontrollierter Zustand."

    Auch bei Hirnverletzungen versetzen Ärzte die Patienten häufig ganz gezielt ins künstliche Koma. Denn in dieser Narkose verbraucht das Hirn rund ein Drittel weniger Energie im Vergleich zum wachen Zustand. Es lebt praktisch auf Sparflamme. Und das kann ein Segen sein, wenn zum Beispiel durch eine Hirnblutung der Druck im Gehirn steigt und dadurch die Versorgung und Energiezufuhr der Nervenzellen abgedrückt wird. Denn Nervenzellen reagieren sehr empfindlich auf jeden Mangel an Energie und Nährstoffen. Die Folge: Sie sterben ab. Und der Patient fällt - möglicherweise unwiederbringlich - in ein Koma.