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Radiolexikon Gesundheit: Medikamente richtig entsorgen

Abgelaufene Tablettenpackungen, brüchige Salbentuben, angebrochene Tropfenfläschchen: Alte Medikamente angemessen zu entsorgen, kann zur regelrechten Odyssee ausarten. Ein Überblick.

Von Franziska Badenschier | 13.08.2013
    Unscheinbar ist die grüne Mülltonne, wie sie da auf dem Neuköllner Recyclinghof der Berliner Stadtreinigungsbetriebe steht – zwischen großen Containern, in die Menschen Stühle, Farbeimer und Elektroschrott werfen. Aber ein Schild verrät: Das hier ist eine Mülltonne nur für Medikamente. Der verantwortliche Mitarbeiter Mario Oertel wirft einen Blick hinein.

    "Von der Anti-Baby-Pille über Zäpfchen bis zu Vitamintabletten, Hustensaft, Wund- und Heilsalbe, Kopfschmerz-Tabletten ist hier alles vertreten. Also es sammelt sich doch eine Menge an. Man kann das hier alles in die Medikamenten-Tonne reintun und dann geht das alles in die Müllverbrennung bei uns im Heizkraftwerk im Spandau."

    Dann werden die Medikamente bei mindestens 950 Grad Celsius verbrannt. Der Rauch geht durch Filter und kommt dann sauber aus dem Schornstein. So werden Medikamente umweltfreundlich entsorgt. Die Schadstoff-Sammelstelle ist der beste Ort, um abgelaufene oder nicht mehr benötigte Medikamente loszuwerden. Oertels Medikamenten-Container füllt sich in einer Woche gut zur Hälfte. Es dürften wohl gerne mehr Menschen kommen.

    "Normalerweise kommt am Tag pro Stunde circa ein Kunde mindestens, der hier Altmedikamente entsorgen will, aber leider warten wir schon zwei Stunden vergeblich."

    "Manchen ist das eben wirklich zu weit: die Mühe. Die sind einfach zu faul, hierherzukommen."

    Dabei haben die Berliner Stadtreinigungsbetriebe noch weitere Schadstoff-Sammelstellen in der Stadt. Aber die Bürger müssten eben Zeit und Weg auf sich nehmen.

    Wie bequem es da wäre, Ohrentropfen und Hustensaft in den Ausguss zu schütten. Tatsächlich kippt etwa jeder Zweite flüssige Arzneimittel zumindest bisweilen ins Waschbecken oder in die Toilette; manche taten das sogar immer. Das hat eine Umfrage des Instituts für sozial-ökologische Forschung im Jahr 2006 ergeben. Darüber hinaus entsorgte etwa ein Sechstel der Befragten zumindest gelegentlich auch Tabletten im Klo.

    Indes: Dieser Weg der Medikamentenentsorgung ist der schlimmste. Warum, das erklärt Riccardo Amato vom Bundesumweltamt:

    "Wenn das passieren sollte, würden die aktiven Substanzen über das Abwassersystem in den Kläranlagen laden, die leider nicht in der Lage sind, die Wirkstoffe vollständig zurückzuhalten. Das heißt: Über diesen Pfad können Arzneimittel, die nicht eingenommen werden, in die Umwelt gelangen."

    Ein klassisches Beispiel ist Ethinylestradiol. Das ist eine Substanz, die wie ein weibliches Geschlechtshormon wirkt und deswegen in vielen Anti-Baby-Pillen vorkommt. Zwar werden die Pillen nicht direkt ins Abwasser geworfen, aber ein Teil der geschluckten Substanz wird mit dem Urin ausgeschieden und gelangt so in die Umwelt.

    "Von dem Wirkstoff ist bekannt, dass es in ganz kleinen Konzentration, also im Nanogramm-Bereich – das muss man sich so vorstellen: Ein Nanogramm entspricht ungefähr der Konzentration, wenn man einen Würfelzucker im Wannsee auflöst, also sehr, sehr gering. Und das heißt, dass sehr, sehr geringe Mengen von diesem Hormon, von diesem Ethinylestradiol ausreichen, um Fisch-Populationen zu beeinträchtigen, zu verweiblichen, so dass die Fischpopulation auch zurückgehen kann."

    Deswegen steht auch in so mancher kommunaler Abwassersatzung: Wer Medikamente über den Ausguss oder die Toilette entsorgt, der begeht eine Ordnungswidrigkeit.

    Besser sei ein anderer Abfallort, sagt Riccardo Amato vom Umweltbundesamt: der Hausmüll.

    "Rein rechtlich gesehen gehören die Arzneimittel oder können die Arzneimittel den Siedlungsabfällen zugeordnet werden und das heißt, dass sie über Hausmüll entsorgt werden dürfen und können."

    "Dann möchten wir aber bitte darauf hinweisen, die Arzneimittel so zu entsorgen, dass sie unkenntlich gemacht werden, zum Beispiel in Zeitungspapier eingewickelt werden, weil immer die Gefahr bestehen könnte, dass zum Beispiel spielende Kinder auf die Vielzahl der Medikamente zugreifen und versehentlich verschlucken."

    Der Berliner Stadtreinigung behagt es nicht so recht, wenn die Hauptstädter ihren Müll einfach in die Tonne im Hof werfen. Dass Kinder weggeworfene Tabletten für Bonbons halten können und naschen, das ist ein Grund. Ein anderer Grund ist: In Berlin wird nur gut die Hälfte des Hausmülls verbrannt. Die andere Hälfte wird in Anlagen lediglich getrocknet – da werden die Medikamente nicht zerstört. Hingegen wird zum Beispiel in München der gesamte Hausmüll verbrannt.

    Um also mit ruhigem Gewissen die ausrangierte Hausapotheke zum Müllcontainer zu tragen, müsste man erst einmal herausfinden, wohin in der eigenen Kommune der Hausmüll kommt und was dann daraus wird. Das klingt schon wieder aufwendig.

    Könnte man nicht einfach die Medikamente dorthin bringen, woher man sie hat: in die Apotheke? Das klingt logisch und wird gerne empfohlen, nicht zuletzt vom Umweltbundesamt. Aber auch hier gibt es einen Haken: Apotheken sind nicht verpflichtet, Arzneimittel zurückzunehmen.

    "Bis Anfang 2009 gab es ein Rücknahme-System, das über die Pharmaindustrie finanziert wurde. Und das Rücknahmesystem ist über die Apotheke letztendlich abgelaufen. Selbst zu diesem Zeitpunkt, als die Apotheken das noch zurückgenommen haben, waren die Apotheken nie verpflichtet, die Arzneimittel zurückzunehmen."

    Medikamente zu entsorgen, kann also ganz schön kompliziert sein. Zusammengefasst: Abgelaufene oder nicht mehr benötigt Medikamente gehören auf keinen Fall in den Ausguss oder in die Toilette. Arzneimittel in den Hausmüll zu werfen, ist rechtlich okay, aber nur dann auch umweltfreundlich, wenn der Hausmüll verbrannt wird. Man kann ausrangierte Präparate auch zur Apotheke bringen – diese ist aber nicht verpflichtet, den Medizin-Müll anzunehmen und zu entsorgen. Und ehe man mehrere Apotheken umsonst anläuft, ist es vielleicht doch weniger mühsam, einfach gleich zum garantiert besten Medikamenten-Mülleimer zu gehen: zur Schadstoff-Sammelstelle. Auch wenn man sich dazu erst einmal aufraffen muss.


    Links in Netz zum Thema:

    Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zur Entsorgung von Altmedikamenten

    Broschüre "Humanarzneimittelwirkstoffe: Handlungsmöglichkeiten zur Verringerung von Gewässerbelastungen. Eine Handreichung für die Praxis" (pdf-Datei zum Download)