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Radiolexikon: Idealgewicht

Es ist ein Ritual mit immer gleichem Ausgang: Morgens auf die Waage stellen, runterschauen aufs Display, mit Schrecken die mehr oder minder hohe Zahl sehen und sich schwören: Jetzt wird alles anders! Doch was ist das Idealgewicht?

Von Mirko Smiljanic | 15.05.2012
    Kaiserslautern im Messlabor der Human Solutions GmbH. Eine große runde Kabine, in der Mitte ein Podest, an der Seite stehen Computer.

    "Frau Lang, wir haben hier rechts eine Umkleidekabine, ich gebe Ihnen jetzt gleich die passende Messbekleidung, die ziehen Sie bitte an und dann kommen Sie von hinten wieder in den Scanner hinein."

    Anke Rissiek ist Bekleidungsingenieurin und hat die erste deutsche Reihenmessung mit Bodyscanning-Technologie betreut. 12.000 Deutsche wurden von den Hightech-Maschinen vermessen, digital und millimetergenau, ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung.

    "Die Kleidung passt einfach nicht mehr, die Hosen sind zu lang oder zu kurz, wenn ein Oberteil um den Körper herumpasst, sind die Armen viel zu lang."

    Ursache für das Durcheinander ist der Lebenswandel. Die Deutschen essen mehr und als noch vor 50 Jahren, ihre Kinder werden größer, das Gewicht klettert steil nach oben. Ein Problem für die Bekleidungsindustrie, ein Problem aber auch für Mediziner, die ihren Patienten gerne sagen würde, wie viel sie eigentlich wiegen dürfen – idealerweise.

    "Ich habe gerade mal meinen BMI ausgerechnet, ich liege gerade noch im grünen Bereich, ich wiege zwischen 68 und 70 Kilo,"

    … sagt Dr. Andrea Lambeck, Geschäftsführerin der Plattform Ernährung und Bewegung e.V., Berlin und Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Oecotrophologen. 68 Kilo wären ihr lieber, da würde manche Hose einfach besser passen – aber wäre das ihr Idealgewicht?

    "Das Idealgewicht, das Mediziner formulieren, unterscheidet sich von dem, was die Mode als Ideal ansieht. Das ist auch ein Problem, dass die Mode von einem Idealgewicht ausgeht, was von medizinischer Seite schon eher als Untergewicht angesehen wird."

    Was jede Leserin von Frauenzeitschriften bestätigt. Die dürren Gestelle können einfach nicht gesund sein, liegen aber offensichtlich im ästhetischen Trend. Wovon hängt denn das tatsächliche Gewicht des Menschen überhaupt ab?

    "Ganz entscheidend hängt das Gewicht ab von der Genetik, also wenn man seine Eltern kennt, weiß, wie Mutter, Großmutter, Vater, Großvater aussah, weiß man auch, in welche Richtung man sich entwickelt, und ganz entscheidend natürlich von Input und Output, also wenn man viel zuführt und wenig verbraucht, steigt natürlich das Gewicht enorm oder kann enorm steigen."
    Erklärt Dr. Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln. Gene und Verhalten bestimmen das Gewicht, und wer es klug anstellt – also eher wenig isst und sich eher mehr bewegt – tendiert Richtung Idealgewicht. Das sich übrigens auch berechnen lässt: Die älteste Methode stammt aus dem 19. Jahrhundert.

    "Das ist der sogenannte Broca-Index, die Körpergröße in Zentimeter minus 100, das ist das Normalgewicht, bei Frauen minus 15 Prozent und bei Männern minus 10 Prozent, das wäre dann das Idealgewicht. Das ist eine Formel, die dadurch besticht, dass man sie einfach ausrechnen kann und dass sie bei den meisten so Pi mal Daumen ganz gut einen Anhaltspunkt gibt."

    Eine 1,80 m große Frau hätte demnach ein Normalgewicht von 80 kg und ein Idealgewicht von 68 kg, gleichgroße Männer kämen auf ein Idealgewicht von 72 kg. Die Formel hat einen gewissen Charme, leider nur stellt der Broca-Index das Idealgewicht besonders großer und besonders kleiner Menschen falsch dar. Aus diesem Grund hat sich der Body-Mass-Index – kurz BMI – durchgesetzt.

    "Der sich so berechnet, dass man das tatsächliche Körpergewicht in Kilogramm durch die Körpergröße in Meter zum Quadrat teilt."

    Was eindeutig taschenrechnerpflichtig ist. Ein Beispiel: Die eingangs erwähnte 1,80 m große Dame wiegt 68 kg, womit sie einen BMI von 21 hat; der Mann käme auf 22.

    "Die Zahl, die da rauskommen sollte, liegt bei Frauen zwischen 19 und 24 und bei Männern zwischen 20 und 25, das wäre das Idealgewicht. Alles über 25 würde dann schon als Übergewicht gelten und ab 30 spricht man sogar schon von Adipositas."
    Diese Formel ist zwar vergleichsweise präzise, Anpassungsbedarf gibt es trotzdem: Das Alter treibt den BMI nach oben.

    "Für zehn Lebensjahre kann man noch mal einen Punkt drauf rechnen, sodass man bei einem Alter von 25 bis 35 bei 20 bis 25, bei 35 bis 44 bei 21 bis 26 und so weiter und so fort, sodass jemand der über 64 Jahre alt ist also bei einem BMI von 29 noch nicht übergewichtig wäre. Das hat was damit zu tun, dass die Körperlänge mit dem Alter abnimmt, weil sich die Substanz zwischen den Wirbel vermindert und die Wirbelsäule somit gestaucht wird mit dem Alter."

    Der BMI spiegelt das Idealgewicht deshalb ziemlich genau wider, weil er mit der Körperfettmasse korreliert. Wer einen hohen BMI hat, hat auch viel Fett, und genau das ist letztlich entscheidend bei der medizinischen Beurteilung des Gewichts. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das Fett in der Bauchgegend.

    "Und um das jetzt mit einem Risikofaktor in Verhältnis zu setzen, berechnet man das Verhältnis zwischen Taille und dem Hüftumfang, natürlich heißt das alles auf Englisch Waist to Hip Ratio und die sollte möglichst unter 0,72 sein, ein erhöhtes Risiko haben Frauen bei einer erhöhten Waist to Hip Ratio von 0,85 und Männer ab 1,0."

    Man kann auch einfach nur den Bauchumfang messen. Der sollte bei Frauen nicht über 88 Zentimeter liegen und bei Männern nicht über 102 cm, da beginnen jeweils die medizinischen Risikozonen. Idealerweise haben Frauen einen Bauchumfang von 80 cm und Männer einen von 95 cm. Aus medizinischer Sicht ist das Bauchfett ein entscheidender Risikofaktor und deshalb ein entscheidender Hinweis auf das anzustrebende Idealgewicht. Ob die Waist to Hip Ratio identisch ist mit dem idealen Modegewicht, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Da gelten, sagt Christine Graf von der Deutschen Sporthochschule Köln, andere Kriterien.

    "Es gibt eine Untersuchung, wie sich der BMI im Playboy zurückentwickelt hat und dass das jetzt alles nur noch magersüchtige Menschen sind, die da abgebildet werden, oder alternativ im Kindesbereich dieses pausbäckige Kind auf den Zwiebäcken, das ist auch immer schlanker geworden. Es ist natürlich schwierig, weil schlank mit schön und dick mit dumm und faul in Verbindung gebracht wird, das macht es natürlich nicht leichter."

    Wobei es hier und da schon Gegenbewegungen gibt. Die Zeitschrift "Brigitte" verzichtet etwa auf Profimodels, deren dürre Figuren regelmäßig fototechnisch fülliger gemacht wurden. Ideal ist deren Gewicht sicher nicht! Allerdings gibt es auch nur Annäherungswerte an diesen Zustand. Ob jemand sein Idealgewicht erreicht, hängt übrigens auch von den Eltern ab: Nicht nur die Gene beeinflussen, auch das Verhalten.

    "Erstens, aktive Eltern haben aktive Kinder! In der Regel sind es vielfach Akademikerfamilien, wo der Stellenwert entsprechend wieder gefordert ist, da sind wir beim Thema Politik, wenn Sie das Bildungsniveau anheben, haben sie auch eventuell auch weniger gesundheitliche Probleme. Wir versuchen an der Sporthochschule die Eltern zu schulen, dieses Bewusstsein zu schaffen, was das wert ist, es muss nicht immer der Sportverein sein, aber Schulwege zu Fuß zu gehen und nicht Kinder bis in die Klasse hineinfahren und ein ordentliches Schulbrot mitgeben, und Essen und Fernsehen gehören auch nicht zusammen, da kommuniziert man miteinander, da haben die Kinder mal die Möglichkeit, ihren Tagesablauf zu schildern und werden wahrgenommen, das ist das entscheidende!"